Pro: Mündige Bürger? Das war einmal

„Seitdem die Stadtpolitik den Klimanotstand ausgerufen hat, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der mündige Bürger ...
„Seitdem die Stadtpolitik den Klimanotstand ausgerufen hat, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der mündige Bürger zunehmend bevormundet wird. Auf den Unmut der Bürger muss die Stadt nicht mehr warten, denn es brodelt bereits unter der Oberfläche“, meint Aurelia Scherrer. | Bild: Scherrer, Aurelia

Endlich 18! Endlich erwachsen und ein mündiger Bürger. Was hat man diesem sagenumwobenen Geburtstag entgegengefiebert. Jeder denkt, ab diesem Zeitpunkt steht die Welt offen, und man kann für sich selbst entscheiden. Das war einmal, zumindest in Konstanz. Seitdem die Stadtpolitik den Klimanotstand ausgerufen hat, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der mündige Bürger zunehmend bevormundet wird.

Den Maßnahmen könnte möglicherweise erzieherischer Charakter zugeschrieben werden. Das fängt beim Essen an. Nicht nur in der Schulmensa, sondern auch den Veranstaltern von Seenachtfest oder Weihnachtsmarkt wird vorgeschrieben, wie viel vegetarisches oder veganes Essen aufzutischen ist. Allein der Vorstoß, dass sich die Stadtpolitik in den privaten Speiseplan einmischen will, weckt selbst bei friedlichen Menschen die Lust auf eine deftige Protest-Wurst vom Glocke-Stand.

Die erzieherischen Konsummaßnahmen gipfeln seit diesem Jahr in der Verpackungssteuer. Händler hatten ihre liebe Not bei der Umstellung und der Otto-Normal-Konstanzer fügt ketzerisch an: Ich zahle doch schon Müllgebühren. Da fragt sich mancher: Geht es der Stadtpolitik wirklich um Umweltschutz oder doch eher um das Füllen der ach so leeren Stadtkasse? Schließlich freuen sich viele Stadträte über die Millionen, die durch die Tourismus- und Klimaschutzabgabe (Bettensteuer) eingenommen werden.

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Hauptsache Geld fließt und im Titel steht Klimaschutz. Das gilt auch für das leidige Thema Mobilität: Radfahrer werden bevorzugt und Fußgänger laufen zunehmend Gefahr, unter die Zweiräder zu kommen. Autofahrer werden mit Missbilligung gestraft und mit immer höheren (Anwohner-)Parkgebühren bei zunehmend reduzierten Stellplätzen belastet.

Immer weiter wird so in den Geldbeutel des kleinen Bürgers gegriffen, in einer Stadt, in der die Lebenshaltungskosten ohnehin schon mehr als grenzwertig sind. Dabei wird es nicht bleiben, denn der Mobilitätspass wird kommen. Wie teuer er wird und ob alle Einwohner oder nur Autofahrer zur Kasse gebeten werden, das bleibt abzuwarten.

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Auf den Unmut der Bürger muss die Stadt hingegen nicht mehr warten, denn es brodelt bereits unter der Oberfläche. Der Klimaschutz hat nämlich Auswirkungen auf das gesellschaftliche Klima. Manche Konstanzer fühlen sich gegängelt und bevormundet, andere fragen sich mit Blick auf ihr mickriges Budget, wie lange sie sich ein Leben in der Konzilstadt noch leisten können. Und was bekommen die Einwohner im Gegenzug? Wer ein dringendes Bedürfnis hat und den Toilettenwagen auf Klein Venedig aufsuchen muss, mag dann wohl denken: Ach, so wenig bin ich der Stadt als steuerzahlender Bürger wert.

Contra: Auch die Freiheit hat ihre Grenzen

„In dieser Demokratie hat sich Konstanz durch einen einstimmigen Ratsbeschluss zum Beispiel zum Klimaschutz verpflichtet – damit sich ...
„In dieser Demokratie hat sich Konstanz durch einen einstimmigen Ratsbeschluss zum Beispiel zum Klimaschutz verpflichtet – damit sich auch nachfolgende Generationen noch frei entfalten können. Das kann, das darf nicht folgenlos bleiben. Auch nicht auf dem Essensteller der Schüler“, äußert Jörg-Peter Rau in seinem Beitrag. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Konstanz – die Stadt der Verbote, die ihre Bürgerinnen und Bürger vor allem umerziehen will. So hört man es immer wieder, ob es um Tempo 30, um Sicherheitskonzepte bei Veranstaltungen, um das Essen in den Schulmensen, das Theaterprogramm oder um Einweg-Kaffeebecher geht. Überall, so die Wahrnehmung gerade an den digitalen Stammtischen namens Facebook und Co., wird geraunt, gemutmaßt, gemeckert. Doch stimmen muss das alles noch lange nicht.

Die Kritik an einer angeblichen Gängelung sagt zunächst einmal etwas aus über manche derjenigen, die sie vorbringen. Sie verbitten sich eine Einmischung in ihre eigenen Lebensbereiche und vergessen darüber bisweilen, dass es eben auch die Lebensbereiche anderer Menschen sind. Auch sie zu schützen, gehört zu den ureigensten Aufgaben eines Gemeinwesens und der dafür Verantwortlichen. Die Freiheit des Einzelnen, heißt es immer, hört dort auf, wo die Freiheit anderer eingeschränkt wird. Das zeigt sich auch vor Ort, wenn unterschiedliche Bedürfnisse gegeneinander aufzuwiegen sind.

Dafür, dass das funktioniert, gibt es eine wunderbare Einrichtung namens Demokratie. In dieser Demokratie hat sich Konstanz durch einen einstimmigen Ratsbeschluss zum Beispiel zum Klimaschutz verpflichtet – damit sich auch nachfolgende Generationen noch frei entfalten können. Das kann, das darf nicht folgenlos bleiben. Auch nicht auf dem Essensteller der Schüler, deren Eltern ja immer noch die Freiheit haben, ihrem Nachwuchs jeden Morgen Leberwurstbrote und jeden Abend einen Rinderbraten zu servieren.

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Ähnlich ist es mit den Fahrradstraßen, mit Tempolimits (die übrigens ausdrücklich zum Schutz von Anwohnern, Schulkindern und älteren Fußgängern erlassen werden), und auch mit der Verpackungssteuer. Was ist denn falsch daran, die Verursacher von Problemen – ob Abgaswolken oder Müllberge – für die Folgen ihres Handelns in die Pflicht zu nehmen? Ist es nicht das, was ein funktionierendes Gemeinwesen ausmacht, wenn eben nicht jeder immer nur das treiben kann, was ihm oder ihr jetzt halt gerade am besten passt?

Halt, könnte man sagen: Das können vernünftige Menschen doch selbst entscheiden, da können doch alle selbst Verantwortung übernehmen, das kann doch der Markt richten? Schön wäre es, doch die Erfahrung lehrt anderes. Auch eine Stadtgesellschaft kann und darf sich Grenzen setzen.

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Das hat mit Erziehung übrigens viel weniger zu tun, als es gelegentlich behauptet wird. Es ist einfach eine Frage, wie ein Gemeinwesen sein Zusammenleben organisiert. In Konstanz arbeiten viele Menschen daran engagiert mit, und sie freuen sich über alle, die sich beteiligen wollen. Nur in der Ecke zu sitzen und über eine angebliche Verbotskultur zu schimpfen, ist dagegen wenig produktiv.