Zehn Männer, Zoten, Zeitler-Witze, Zeitungsschelte, zauberhaft – das ist der Dorferschoppen. Zuverlässig ist er nicht für Frauen gemacht, die da nämlich gar nicht zugelassen sind. Und ganz im Ernst, er ist diesmal weniger vulgär, als er es in früheren Jahren schon war, dafür nun inhaltsstärker. Das „Unterhaus der Überlinger Fastnacht“, wie Chef-Läfere Jörg Bohm die Veranstaltung nennt: „Gosch halten ist uns nur schwer möglich“ – und wenn sie es doch tun würden? Es würde etwas fehlen, ohne Witz.

Jörg Bohm: „Mir schwätzen noch nach alter Rechtschreibung.“
Jörg Bohm: „Mir schwätzen noch nach alter Rechtschreibung.“ | Bild: Hilser, Stefan

Der Dorfer, eine Überlinger Traditionsveranstaltung an der Fastnacht, entstanden im Stadtteil Dorf, ist eine sehr spezielle Form des Jahresrückblicks. Corona-bedingt mussten drei Jahre rekapituliert werden, was sich durchaus in die Länge zieht.

Jörg Bohm ist der Conférencier unter den Läfere, wie die Akteure in der Dorferbutte heißen. Mit schwerer Glocke und vollem Mostkrug eröffnet Bohm den Nachmittag. Dem Oberbürgermeister, der eigentlich keinen Alkohol trinken mag, verordnet er Schnaps. Und Most, den Messwein vom Dorfer. Hilft‘s? Jan Zeitler, der den Läfere direkt gegenüber sitzt, gemeinsam mit Pfarrer, Bänker, Politprominenz, schafft es jedenfalls, tapfer auch dann noch alles wegzulächeln, als zum x-ten Mal Spott über ihm und seiner Verwaltung ausgeschüttet wird.

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Themen, die sich in drei Jahren ansammelten

Jan Zeitler ohne Helm beim Fahrradfahren ist so ein Running Gag. Seine Rede beim Neujahrsempfang wird mehrfach hoch genommen. Die OB-Wahlen im nächsten Jahr werden als, sagen wir mal „spannend“ vorhergesagt. Und auch die Knöllchen wegen illegalen Schnellens und abstandslosen Skifahrens während der Corona-Pandemie werden mehrfach thematisiert. Es gab ja auch lange keine Fastnacht mehr, in der der Narr der Obrigkeit den Spiegel vorhalten konnte.

Frank Neumann: „Früher hatten wir noch keinen Kleber, da hätte man sich auf der Straße festnageln müssen.“
Frank Neumann: „Früher hatten wir noch keinen Kleber, da hätte man sich auf der Straße festnageln müssen.“ | Bild: Hilser, Stefan

„Ein Volkstribun wirst Du nicht mehr“, sagt Frank Neumann an den OB gerichtet. Neumann macht den Julius Cäsar, „mit Tora, Lorbeerkranz und Allefanz“. Es ist wohl seine bisher großartigste Rolle im Dorfer, in der er als Stimmenimitator schwindelfrei die Rollen des Römischen Kaisers mit der von Kaiser Franz und dem Papst von Rom (Johannes Paul II) verknüpft.

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Stadtkapelle beim Dorferschoppen Video: Hilser, Stefan

Musik als Rahmen einer mostfreundlichen Männerrunde

Die Musik beim Dorferschoppen wird in vielfältiger Weise dargeboten. Instrumental von der Stadtkapelle, die zu den schräg gesungenen Trink- und Schunkelliedern gerade Töne spielt. Zudem stellt sie den Tusch an der richtigen Stelle und den Anti-Tusch, wenn der Gag verreckt.

Die Leitung hat dieses Jahr Philipp Häfele, die besten Genesungswünsche gelten Ralf Ochs. Den Choral bilden pro Veranstaltung gut 300 Männerkehlen, mit Most geölt. Legendär, wie sich das Publikum von Matthias Wigger nichts sehnlicher wünscht, als mit ihm gemeinsam „Ein weißer Schwan“ zu singen. Und ein Glanzstück, wie Chris Herr im Wechsel die Gäste aus Galgen und Krone zu „Sierra Madre“ dirigiert.

Herbert Gomeringer: „Der große Bruder vom Büble Bier ist die BÜB+, mit eigenem Braukessel im Rathaus.“
Herbert Gomeringer: „Der große Bruder vom Büble Bier ist die BÜB+, mit eigenem Braukessel im Rathaus.“ | Bild: Hilser, Stefan

Themen, die über dem Verfallsdatum liegen

Doch fangen wir mal bei Herbert Gomeringer an, der männlichen Ausgabe einer Zahnfee, der „allen Schlofern den Zahn gezogen hat, die uns auf den Sack gehen“. Also ihm und anderen Läfere auf den Sack gehen. Die BÜB+ beispielsweise. Mit MHD sei nicht das Mindesthaltbarkeitsdatum gemeint, sondern Müller-Hausser-Diestel, deren MHD bei genauerer Betrachtung aber dann ja wohl doch abgelaufen sei.

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Harald Messner: „Das Licht bewegt sich schneller als der Schall. Deswegen erscheinen Amtspersonen hell im Einzelfall – bis man sie hört.“ | Bild: Hilser, Stefan

Längst über dem Verfallsdatum liegt für Harald Messner „der ganze Genderwahnsinn“. Der Wortführer aller Steueropfer sagte: „Ich bin transfinanziell – eigentlich stinkreich, stecke aber im Körper einer armen Sau.“ Die Klimapolitik habe hierzulande den Status einer Religion angenommen. „Die Welt setzt auf Kernenergie. Wir auf Windmühlen, Brenngläser und Furzgas.“ Und dann sind da noch Messners Probleme im Bett, die er wohl persönlich zu verarbeiten versucht, indem er sexistischen Mist formuliert.

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Michael Braun: „Lange, bevor das Gas teuer wurde, haben Sie angefangen, Mitarbeiter zu verheizen, im Rathaus Sipplingen ist es aber noch minder.“ | Bild: Hilser, Stefan

Die beiden Michael mit den inhaltsstärksten Nummern

Michael (Mimi) Braun reitet als Goldener Reiter auf allem rum, was in der Stadt nicht läuft. Auf abartigen Baugruben und verbauten Blühwiesen. Auf der Geldverfeuerung fürs Feuerwehrhaus. Auf dem Plan des Pfarrers, das in Überlingen ersonnene Hospiz in Owingen zu verhökern. „Sie sind Seelsorger und nicht Makler.“ Einen Kranz flicht er den Bewohnern der Fischerhäuservorstadt, für ihren Kampf um den letzten Flecken an ästhetischer Architektur, „dass er nicht auch noch mit den immer gleich schwarz-weißen Klötzen zugeschissen wird“. An Zeitler gewandt sagt er: „Oberbürgermeister wäre so ein schöner Beruf, wenn der Bürger nicht wäre.“

Michael Jeckel: „Waffen-Mayer von der Knarrenzunft.“
Michael Jeckel: „Waffen-Mayer von der Knarrenzunft.“ | Bild: Hilser, Stefan

Der andere Michael (Jeckel) lief nicht weniger zur Hochform auf. In seiner Rolle als Dammglonke, mit Saugglocke auf dem Kopf, schlürft er alle Peinlichkeiten aus dem Siphon, die sonst in den Abflussrohren zwischen Sipplingen und Sibirien verschwunden wären. Alice Weidel bezeichnet er als „die Wanderlegende von Überlingen, die in Berlin auf den Boden stampft wie ein kleines Kind“. Dass ‚Lützi lebt‘, das sei ja schön. „Aber Sipplingen halt leider auch noch.“ Den hier muss man auch weitergeben, weil er einfach gut ist: „Erdogan will jetzt, dass man Türkei englisch ausspricht: Turkey. So wie das englische Wort Turkey, für Truthahn. Und wie heißt ein weiblicher Truthahn? Richtig: Putin.“

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Achim Friesenhagen und Stefan Mayer: „Auf alten Pferden lernt man das Reiten, oder wie man in Überlingen sagt: Mit alten Büchsen lernt man Schießen.“ | Bild: Hilser, Stefan

Die größten Hüte trägt die mexikanische Zwei-Mann-Band aus Achim Friesenhagen (Gitarre) und Stefan Mayer (Trompete), im richtigen Leben Narreneltern. Ihre Raumfülle an Hut und Ton ist phänomenal. Witze reißen sie über sich selbst als junges Paar. Lustig, wie die Narrenmutter sorgfältig alle diesjährigen Fastnachtstermine im Kalender vermerkte, versehentlich 2024, „und sich dann gewundert hat, dass der Schmotzige Donnerstag auf einen Freitag fällt“.

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Chris Herr: „Die neue Mamä hat als Sternzeichen Kuckuck und ist sehr zahm, von der bin ich saumäßig angetan.“ | Bild: Hilser, Stefan

Den Preis für das kreativste Kostüm – hier sei Maskenbildnerin Waltraud Späte erwähnt – gebührt Chris Herr. Als Biergit Kraft von der Rothausbrauerei schenkte er es den Braumeistern der benannten Skifahreraffäre ein. Wenn nicht er, der damals selbst auf den Skiern gestanden hat, wer dürfte dann?

Matthias Wigger: „Die Kirche gendert nicht. Sie hat keine Kardinalinnen.“
Matthias Wigger: „Die Kirche gendert nicht. Sie hat keine Kardinalinnen.“ | Bild: Hilser, Stefan

Und zum Schluss noch eine Grußbotschaft an den SÜDKURIER

So bietet der Dorfer die gute Gelegenheit, die Dinge ins recht richtige Licht zu rücken. Matthias Wigger etwa nimmt sich als Marktfrau den SÜDKURIER zur Brust. Es geht um eine kritische Kritik zum Narrenkonzert, die er als närrischer Kritiker kritisiert. Das ist ja auch sein Job als Narr mit Handspiegel. Aufreger war das Oberlippenbärtchen von Oliver Hardy im Narrenkonzert, das aus Zeitungssicht die verblüffende Ähnlichkeit mit dem Bart eines deutschen Diktators hat.

Wiggers Satire dazu, das sei respektvoll anerkannt, kam komplett ohne Hitlerbärtchen aus (war nur Blut vom Rasieren über seiner Lippe). Ach, die Lügenpresse: Der von ihm verwendete Kampfbegriff von AfD, Querdenken-Szene und anderen hat allerdings einen Bart (und ein paar andere Schwierigkeiten). Dem nicht ganz zufällig anwesenden Mann vom SÜDKURIER reichte er nach einer verbalen Ohrfeige die Hand in Form eines schönen Ordens, einem gefüllten goldenen Gummihandschuh und dem Wunsch für „ein glückliches Händchen“ in der Fastnachtsberichterstattung. Narrenfreundlich soll sie sein. Wir bemühen uns, überlassen dem Narr das Kritisieren und sagen, wie bestellt: Beim Dorfer war alles super.