Die Eintrittskarte zum Dorferschoppen war wie ein ungedeckter Scheck. Die männliche Kundschaft kaufte sich das Ticket, ohne zu wissen, ob der „Dorfer“ wirklich stattfindet. Er fand statt, trotz der Kalamitäten um das Gasthaus Krone. Und der bestens aufgelegte Conférencier dieser närrischen Veranstaltung, Jörg Bohm, dankte dem Publikum: „Ihr habt etwas gekauft, von dem ihr gar nicht gewusst habt, ob es das überhaupt gibt.“

Die Besucher in den zusammengelegten Gasthäusern Galgenhölzle und Krone sind von dem fünfstündigen Programm, das am Freitag und am Montag geboten wurde, angetan. In der ersten Reihe sitzen Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die ungefiltert ihr Fett wegkriegen, allen voran Oberbürgermeister Jan Zeitler, an dessen knappem Wahlsieg sich die Akteure in der Butte abarbeiten. 111 Stimmen Vorsprung, eine Schnapszahl, das ist eine Einladung für jeden Büttenredner.

Eine Abordnung der Stadtkapelle begleitet den Dorfer mit vielen Tuschs – nur einmal verweigern sie ihn.
Eine Abordnung der Stadtkapelle begleitet den Dorfer mit vielen Tuschs – nur einmal verweigern sie ihn. | Bild: Hilser, Stefan

Neu in diesem Jahr ist der Auftritt von Julian Filipp und Martin Lang. Eine wirkliche Bereicherung. Da trotz ihres Auftritts keiner der alten Läfere, wie die Akteure in der Butte heißen, zurücktritt, kommen die beiden Novizen dazu. Es sind einschließlich Bohm nun zehn Läfere. Der Einzelne muss sich kürzer fassen. Das ist gut so.

Zum Start ein Prosit, von links: Jörg Bohm, OB Jan Zeitler, Stadtmusikdirektor Ralf Ochs.
Zum Start ein Prosit, von links: Jörg Bohm, OB Jan Zeitler, Stadtmusikdirektor Ralf Ochs. | Bild: Hilser, Stefan

Herbert Gomeringer

In den zehn Minuten ist denn auch wirklich alles gesagt, was Herbert Gomeringer in seiner Rolle als Hänsele 2.0 zu sagen hat. Über Überlingens westliche Nachbarn weiß Gomeringer zu sagen: „Intelligentes Licht gibt es in Sipplingen nicht.“ Normalerweise werden auch Flachwitze von der Stadtkapelle mit einem Tusch honoriert, sobald Kapellmeister Ralf Ochs den Dirigentenstab in die Höhe hält. In diesem Fall aber verweigert Schlagzeuger Jörg Widenhorn, ein stolzer Sipplinger, den Auftakt, die Kapelle bleibt stumm – was den größten Lacher in Gomeringers Beitrag erzeugt.

Julian Filipp

Viele Tuschs gibt es beim folgenden Auftritt von Julian Filipp, der seine eigene Läfere-Werdung inszeniert. Die Verkleidung des Neulings in der Dorferbutte besteht aus einem windigen Nachthemd. Er checkt in einer Überlinger Fastenklinik ein, mit einem versteckten Vorrat an Landjägern. Als man ihm die abnimmt und stattdessen ein Klistier reicht, türmte er in die Stadt und sucht hungrig nach einem Restaurant. Vergeblich. Im Dorf schreckt ihn der in der Suppe hängende Bart, im Weinstein die OB-Wahl-Party, am Mantelhafen der Altersdurchschnitt anderer Gäste, im Anusch‘s die BVB-Fans. Das Waldhorn vermisst er komplett, findet nur Geröll. Philipp: „Manches werd‘ ich nie begreifen, hier sieht es aus wie im Gazastreifen.“ Als er sich in der Not schon ein Dosenbier öffnet, leuchtet von der Münsterstraße ein Lichtlein der Hoffnung her – Krone und Galgen. Es ist Dorferschoppen, in dem Filipp umjubelt als neuer Läfere ins Weinfass steigt.

Harald Messner

Formatfüllend tritt Harald Messner in das Fass. In der Kutte eines Mönchs zieht er predigend durchs Land, im Namen des Volkes. „Das Volk ist der Chef“, lautet seine Losung. Er kanzelt einen Deal in der Diözese ab: Überlingen werde „entkront“, wenn man das Nikolaus-Münster an die Pfarrei in Markdorf verhökert. Die Wiederwahl Zeitlers findet seine Freude, „so wird eine Becker 2.0 verhindert“. Während sich Messner in früheren Auftritten von Zote zu Zote hangelte, überzeugt er diesmal mit politischem Witz, aber auch nachdenklicheren Äußerungen. „Ein Ruck nach rechts ist nicht die Lösung“, sagt er. „Was die Welt am besten hätte, ist Putin an der Kette.“

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Martin Lang

Martin Lang, mit reicher Erfahrung aus dem Männerkaffee ausgestattet, tritt erstmals in die Dorferbutte – und überzeugt mit seinem hessischen Singsang als Neigschmeckter. Er widmet sich Überlingens Verkehrsdesaster, hervorgerufen durch den horrormäßigen „Pollergeist“ an der Kapuzinerkirche. Für die Verkehrsbelastung im „Kuhgebiet“ präsentiert Martin Lang dieses Verkehrsschild: „Passstraße gesperrt: Schneekettenpflicht.“ Bei Röther werde das erste Biwak errichtet „und dann abkassiert, wenn im Juni einer nicht seine Schneeketten montiert hat“. Fortan fahren alle brav über Brünnensbach.

Frank Neumann

Als Stimmenimitator überzeugt einmal mehr Frank Neumann, diesmal als Franz Beckenbauer. Mit Blick auf die OB-Wahl kommentiert er aus Trainersicht die Rolle des „Biohendl“, das an 111 Stimmen scheiterte: „Der hat seinen Elfmeter an die Eckfahne gesetzt.“ Hedi Wigger, die ins Team Zeitler wechselte, habe der Kandidat aus Bonndorf zu früh ausgewechselt. „So gewinnst Du neeeed“, schnoddert Neumann auf „Beckenbauerisch“.

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Michael Braun

Michael Braun tritt wieder als „kleiner Mann“ in die Butte. Er hält es für keinen Zufall, dass sich die OB-Wahl in einer Narrenstadt an schnapsigen 111 Stimmen entscheidet. „Wenn man bloß 50,61 Prozent schafft, ist man doch eigentlich ein Teil-Zeitler“, kombiniert Braun. Direkt an den OB gewandt, sagt Braun: „Im Wahlkampf waren Sie ein Voll-Zeitler. Bleiben Sie es jetzt auch!“ Wie am Freitagabend in der „ZDF-Heute-Show“, nahm auch der „kleine Mann“ die angeblich in Überlingen wohnende Alice Weidel aufs Korn. Braun: „Heute hier, morgen dort, hauptsächlich weit fort.“

Badnerlied beim Dorferschoppen Video: Hilser, Stefan

Michael Jeckel

Michael Jeckel kündigte an der Fastnacht 2024 seinen Rücktritt vom Dorfer an, erinnert sich in seiner Rolle als „Schlofkapp“ an der Fastnacht 2025 aber nicht mehr daran. „Es gibt Leute, die machen es mir schwer, ‚d Gscho zu halten.“ Jeckel würde fehlen. Seine Sportlerschau, bei der er große Namen lokal verortet, ist gut gemacht. So kommt Kugelstoßerin Ogunleye laut seiner Lesart aus Sipplingen. Um das zu verdeutlichen, stellt sich Schlofkapp Jeckel in halsbrecherischer Weise vor das Publikum und tut so, als stoße er einen Kropf.

Chris Herr

Chris Herr hält als Reporter mit wuscheligem Mikrophon eine ausgefeilte Rede für Meinungs- und Pressefreiheit. „Ohne Demokratie gibt‘s keine Narrenfreiheit.“ Er wunderte sich über den AfD-Wahlerfolg bei der Bundestagswahl, insbesondere „über ältere Männer, die mehr Angst vor dem Heimlaufen haben als junge Frauen in der Stadt“, womit er auf die Spaltung der Gesellschaft durch Angstverbreitung anspricht. „Ist die Angst erstmal platziert, wählt sich‘s gänzlich unreflektiert.“ Herr wirbt für eine differenzierte Betrachtung der Wähler und ruft seinen Zuhörern zu: „Nicht jeder, der blau ist, trägt einen braunen Kittel.“ Er gibt seinem bierseligen und teils verdutzt wirkenden Publikum mit auf den Heimweg: „Sprache verändert Bewusstsein, Bewusstsein verändert Handeln, Handeln verändert die Welt.“

Achim Friesenhagen

Bevor das Publikum nach fünfstündiger Veranstaltung in den Abend entschwindet, schlüpft Achim Friesenhagen abermals in seine Paraderolle als Horst Schlämmer. Er grunzt sich durch Nußdorfs Narrenjubiläum: „Hundertjährige Schnecken fallen eigentlich nicht in mein Beuteschema.“ Herrlich, wie er das Liebesspiel der Schnecken auf die Nußdorfer Maske münzt. Wie er dem Antialkoholiker Zeitler einen Doornkaat andreht. Und wie er vom eigenen Fitnesszähler schwärmt, einen Besucher ins Visier nimmt und ihm zuruft: „Bei Dir würde ein Bewegungsmelder reichen.“

Matthias Wigger

Den schönen Schlusspunkt platziert Matthias Wigger, hier behelmtes Mitglied der Schweizergarde. Er zählt auf, was es im Städtle alles zu bewachen gäbe. Er macht aber nur Andeutungen: „Mehr sage ich nicht, ich bin ja neutral“, und schwenkt dabei als Schweizer Landsmann seine Flagge mit dem weißen Kreuz. Dieser Auftritt des Neutralen hat einen doppelten Sinn. Er wurde von seinen Vorrednern mehrfach für seine Rolle als Gastgeber der OB-Wahl-Party aufs Korn genommen. Nun dreht er den Spieß seiner Hellebarde einfach um, vereidigt Zeitler ein zweites Mal und gibt ihm einen Schweizer Schutzschirm mit ins Amt.