So, die Überlinger haben also alle Oberbürgermeister, die seit Reinhard Ebersbachs Abschied 1977 im Rathaus saßen, „nach jeweils einer Amtsperiode wieder in die Wüste geschickt“? So jedenfalls schreibt die „Stuttgarter Zeitung“ am 5. Januar und der ebenfalls in Stuttgart beheimatete „Staatsanzeiger“ übernimmt diese Aussage in einem Artikel vom 12. Januar. Schwingt da der Neid der artigen Württemberger auf die rebellischeren Badner mit?

Hier, im Hegau, gerade am Ende der schwäbischen Sehnsuchtsautobahn A81, gründeten aufständische Bauern 1493 die „Bundschuh-Bewegung“ und bereiteten den Bauernkrieg vor. 355 Jahre später rief der Abgeordnete Friedrick Hecker in Konstanz die Revolution aus. Und 1977 feierte die Anti-Atomkraft-Bewegung ihren ersten großen Sieg im südbadischen Wyhl, wo sie den Bau des allerersten geplanten Atomkraftwerks in Deutschland verhinderte.

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Nur in einem Fall wurde wirklich jemand abgewählt

Da passt eine solche Rebellennatur wie die der Überlinger Wähler doch perfekt ins Bild. Doch diese Hauptstadtsicht auf die jüngste Geschichte der Provinz bedarf dringend einer Korrektur.

Seit 1993 hätten sich drei Rathauschefs nur je acht Jahre im Amt gehalten, meint man unterm Fernsehturm. So weit ist der Weg von der Landeshauptstadt hinunter über die Autobahn A81 in den wilden badischen Süden doch nun wirklich nicht. In die Wüste geschickt haben die Überlinger nur ein Stadtoberhaupt, nämlich Sabine Becker, die am 27. November 2016 mit 12 Prozent der Stimmen abgewählt wurde. Bei ihre beiden Amtsvorgängern sieht es ganz anders aus.

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Nachdem Reinhard Ebersbach (SPD) nach 24 Jahren nicht mehr kandidierte, wählten die Überlinger 1993 Klaus Patzel, der bis zu diesem Zeitpunkt auf der Bühne der Landespolitik agiert hatte. Der hoch gebildete Feingeist mit Ausbildungsjahr an der legendären französischen Verwaltungsschule „Ecole Nationale d‘Administration“ war in Stuttgart parlamentarischer Berater im Rang eines Parlamentsrates gewesen, bevor er sich 1993 um das Oberbürgermeisteramt in Überlingen bewarb. Übrigens betonte Genosse Patzel immer wieder, dass er großen Respekt sowohl vor der reichtsstädtischen Geschichte als auch vor der badischen habe.

Bedeutende Spuren erinnern bis heute an Klaus Patzel

Patzel hinterlässt eine Erfolgsbilanz, die ihresgleichen sucht. Weggefährten von damals sagen, ohne ihn gäbe es keine Überlinger Bodensee-Therme, er trieb die Umgestaltung der Innenstadt zur Fußgängerzone voran, fädelte die Zusammenarbeit mit privaten Investoren im Bürgerfond ein, was in die Sanierung von Greth und Steinhaus mündete. Und er holte das Salem College in die Stadt. Seine Kulturbegeisterung, die auch Kritiker hatte, mündete – unter anderem – in die Landesliteraturtage 1997, das 20 Jahre andauernde Festival WortMenue und in überregional beachtete Ausstellungen wie „Rückkehr der Moderne“.

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Patzel war der einzige Überlinger Bürgermeister, der im Amt starb

Keine Abwahl, sondern der Tod beendete Klaus Patzels Amtszeit nach nur sieben Jahren. Er starb am 16. Juni 2000 im Alter von erst 57 Jahren. Weil er als allererster Bürgermeister in der langen Geschichte Überlingens im Amt verstorben war, ehrten ihn Stadt und Bürger mit einem besonderen Abschied, den die Menschen damals Staatsbegräbnis nannten. Mit allem Glanz, den die ehemals freie Reichsstadt aufzubieten vermag. Auf den Sarg, abgedeckt mit der reichsstädtischen Flagge mit schwarzem Adler und rotem Löwen, folgten Schwerttanzkompanie, Trachten, Stadtkapelle, Feuerwehr und eine schweigende Trauergemeinde, die sich kilometerlang durch die gesamte Innenstadt zog. Wenn es ein Gegenteil gibt von „in die Wüste schicken“, dann sieht es genauso aus.

Auch Oberbürgermeister Volkmar Weber wurde nicht in die Wüste geschickt oder von Rotten räuberischer badischer Freischärler geteert und gefedert. Patzels Nachfolger entschied 2008, nach einer Amtsperiode und mit 59 Jahren, sich nicht um eine zweite Amtszeit zu bewerben. In den Würdigungen zum Abschied spiegelte sich eine solide, tadellose und unaufgeregte Amtsführung wider.