Einen Zufallsfund nennen es Juristen, wenn die Polizei beispielsweise jemanden wegen einer Zwangseinweisung abholen will und in der Wohnung Cannabis-Pflanzen entdeckt. So geschah es Anfang vergangenen Jahres in Überlingen. Ein Mann sollte in eine psychiatrische Klinik gebracht werden, als die Beamten durch den typischen Geruch auf die professionell angebauten Hanfgewächse stießen. Seit April 2024 ist der Anbau von drei Pflanzen pro Erwachsenem im Haushalt legal. Diese Regel wird als geltendes Recht bei aktuellen Verfahren angewandt, auch wenn der Fund länger zurückliegt.

Der Angeklagte, der sich jetzt vor dem Amtsgericht Überlingen verantworten musste, ist mehrfach einschlägig vorbestraft und räumt offen ein, seit Jahren regelmäßig Cannabis zu konsumieren.

Angeklagter wird aggressiv

Auch sein Verteidiger bestreitet den Anbau nicht, sieht aber „keine Möglichkeit einer Verurteilung, da kein Tatvorwurf nachweisbar ist“. Ohne einen Durchsuchungsbeschluss hätten die Beamten nicht in der Wohnung nachschauen dürfen. „Dieser Zufallsfund sei demnach nicht rechtmäßig“, fügt er an und zitiert ein Urteil, das vor einigen Jahren von einem Kölner Gericht in einem ähnlichen Fall gefällt wurde.

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Der Staatsanwalt räumt ein, dass die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung ein wichtiges Gut sei, aber bei der Entdeckung von Straftaten abgewogen werden müsse. Richter von Kennel will eine Brücke bauen und fragt offen nach dem strafrechtlichen Interesse des Staates. Dazu befinde sich der Angeklagte, der seit einem halben Jahr Arbeit hat, auf einem guten Weg. Das verfängt bei dem Beschuldigten nicht, der zunehmend aggressiv wird und die geltende Regel als „Schwachsinn“ bezeichnet. „Ich brauche meinen Konsum, daher muss ich es auch anbauen können“, lautet seine Schlussfolgerung.

„Mit null kommen Sie hier nicht raus“

Richter Alexander von Kennel versucht weiter, eine pragmatische Lösung zu finden und macht die Hoffnung des Beschuldigten auf einen Freispruch mit dem Hinweis zunichte: „Mit null kommen Sie hier nicht raus.“ Dem schließt sich der Staatsanwalt an. Die folgende Beratung zwischen Verteidiger und Angeklagtem bringt keine vorzeitige Beendigung des Prozesses: Der Beschuldigte will einer Verfahrensverständigung nicht zustimmen.

Das macht die Befragung von zwei Zeugen nötig. Beide sind Polizeibeamte, die an dem Tag Dienst hatten und involviert waren. Der Angeklagte fragt dauernd dazwischen, provoziert und geht die Zeugen verbal an, bis ihn sein Verteidiger lautstark darauf hinweist, dass er gerade kein Rederecht habe.

Beschuldigter duzt Staatsanwalt

„Es ist, wie es ist, der Angeklagte hat sich strafbar gemacht und die erlaubte Menge überschritten“, beginnt der Staatsanwalt sein Schlussplädoyer. Die Unverletzlichkeit der Wohnung sei ein hohes Gut, aber die Notwendigkeit, bei einer Zwangseinweisung die Räume zu betreten, gegeben. Damit könne der Fund verwertet werden. Er räumt Einschränkungen durch die psychische Erkrankung des Angeklagten ein. Dass er „sich nicht so ganz im Griff“ habe, sei vor Gericht deutlich geworden. Wegen der ausgeschlagenen „goldenen Brücken“ und den einschlägigen Vorstrafen fordert er 180 Tagessätze auf einem seinem Gehalt angemessenen Niveau.

Daraufhin wird der Angeklagte laut. „Du verdienst sicher mehr!“, geht er sein Gegenüber im Gerichtssaal aggressiv an. Richter von Kennel schreitet ein und stellt klar, wenn er anfange, den Staatsanwalt zu duzen, stünde gleich das nächste Verfahren an.

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Verteidiger wirkt genervt

Danach ist der Rechtsanwalt an der Reihe, der sein Plädoyer mit einem Seufzer beginnt: „Manchmal nervt der Beruf!“ Er wiederholt seine Sicht der nicht zulässigen Durchsuchung der Wohnung. Fügt aber gleich die Bitte an, falls dem nicht stattgegeben werde, die Tagessätze auf 30 zu reduzieren, wie ursprünglich im Strafbefehl.

Alexander von Kennel verurteilt den Angeklagten zu 90 Tagessätzen und damit einer Strafe von 4500 Euro plus Gerichtskosten, außerdem wird die Ausstattung zum Anbau von Cannabis eingezogen. Die Polizei habe rechtmäßig gehandelt und nicht die Rechtsordnung verletzt. Dem Angeklagten attestiert der Richter zwar Einsichtsfähigkeit, aber auch eine eingeschränkte Steuerung. Wie zum Beweis des Gesagten redet der Beschuldigte dauernd dazwischen. Bevor der Angeklagte den Saal mit dem Hinweis verlässt, er wolle Berufung einlegen, mahnt ihn der Vorsitzende, künftig „im Rahmen des Legalen“ zu bleiben.