Wird die Energiewende auf Kosten der landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktion vollzogen? Und warum ist die frühere Mülldeponie in Tiengen eigentlich als besonders schützenswertes FFH-Gebiet eingestuft? Die Beschlussfassung einer Stellungnahme der Stadt Waldshut-Tiengen zu den geänderten Plänen des Regionalverbandes Hochrhein-Bodensee zur Ausweisung von Flächen für Photovoltaikanlagen bot einmal mehr Anlass für viel Kritik an Plänen wie Verfahren. Doch ein Irrtum überlagerte die Diskussion.
Was war Anlass für die erneute Debatte?
Bereits vergangenes Jahr musste die Stadt Waldshut-Tiengen sich im Rahmen der Teilforschreibung des Regionalplans mit Schwerpunkt Ausbau der Erneuerbaren Energien Stellung beziehen. Mangels Wind geht es in Waldshut-Tiengen vor allem um Vorrangflächen Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen.
Insgesamt kalkuliert die Stadt mit einem Bedarf von 78 Hektar für Freiflächen-PV-Anlagen, um genügend Energie zur Erreichung der städtischen Klimaziele zu erzeugen. Damit soll ein Prozent der Gesamtgemarkung von Waldshut-Tiengen für die Energieproduktion vorgesehen werden, wie Susanne Kaufmann, stellvertretende Bauverwaltungsamtsleiterin, darstellte. Im ersten Entwurf hatte der Regionalverband neun potenzielle Vorrangflächen für PV-Anlagen mit einer Gesamtfläche von 109 Hektar vorgesehen. Gefordert worden sei der Nachweis von 40 Hektar Vorrangflächen.
Folglich hatte die Stadt in ihrer ersten Stellungnahme vergangenes Jahr einige Änderungswünsche und Anmerkungen zur Regionalplanung eingereicht. Diese betrafen vor allem Flächen rund um den Ortsteil Aichen, deren landwirtschaftlicher Wert als zu hoch eingestuft worden war. Neben einigen Streichungen wurde unter anderem die frühere Mülldeponie Tiengen als Vorrangfläche ins Rennen geschickt.
Welche Änderungen sollen vorgenommen werden?
Nicht nur die städtischen Hinweise, sondern auch die von Trägern öffentlicher Belange führten zu einer Neufassung des Planes, die eine erneute Bearbeitung durch Bauausschuss und Gemeinderat von Waldshut-Tiengen erforderte. Im Bereich Aichen seien die Vorschläge der Stadt nur teilweise berücksichtigt worden, bedauert Kaufmann. Hier ist jetzt eine 18,5 Hektar große Fläche als Vorrangfläche festgelegt worden. Derweil sei eine etwa 28 Hektar große Fläche aus der Planung gestrichen.
Überraschend kam auch die vorgeschlagene Fläche der früheren Deponie Tiengen in der Regionalplanung nicht zum Zuge. „Die gesamte Fläche befindet sich in einem FFH-Gebiet“, so Kaufmann. Das könne in der konkreten Flächennutzungsplanung zwar behoben werden, aus regionalplanerischer Sicht sei dies aber ein Rückstell-Kriterium.
Zurückgestellt werden muss bis auf Weiteres ebenfalls eine 21 Hektar große Fläche in Indlekofen. Diese könnten den Infrastruktur-Modernisierungsplänen der TransnetBW ins Gehege kommen, wie Kaufmann verdeutlichte.
Wie positioniert sich die Stadtverwaltung?

Geblieben sind unterm Strich 55 Hektar Vorrangflächen. Doch wie Oberbürgermeister Martin Gruner betonte, biete die jetzt vorgelegte Planung noch größte Flexibilität. „Wir setzen hier den Rahmen fest. Vor allem bleiben wir durch die Ausweisung von Vorrangflächen Herr des Verfahrens“, verdeutlichte er. Denn durch die Festlegung von Vorrangflächen könne der „Wildwuchs“ von PV-Anlagen verhindert werden. Das mag aus Sicht des einzelnen Landwirts oder Grundstücksbesitzers an einigen Stellen schwierig sein, so Gruner: „Wir müssen aber im Blick behalten, wo wir als Stadt bleiben.“
Dass aus regionalplanerischen Gesichtspunkten bestimmte Flächen herausgenommen worden seien, darauf habe die Stadt keinen Einfluss, wie die Erste Beigeordnete Petra Dorfmeister verdeutlichte: „Wir können das Verfahren nicht stoppen und haben keine Handhabe gegen die regionalplanerischen Kriterien. Wir können lediglich zu den Änderungen Stellung nehmen.“
Was sagt der Gemeinderat dazu?
Ein großes Missverständnis überlagerte die Diskussion des Gemeinderats, das die Bauverwaltung erst im Nachgang zu den Sitzungen von Bauausschuss und Gemeinderat auf Nachfrage unserer Zeitung beseitigen konnte: Entgegen früherer Informationen, hat der Regionalverband Hochrhein-Bodensee inzwischen nämlich auch seine Haltung zu den so genannten Agri-PV-Anlagen revidiert. Diese Anlagen ermöglichen, dass Weiden und Äcker weiterhin genutzt werden können, während Energie produziert wird.
Der Regionalverband hatte solche Anlagen für die Region verboten, diese Haltung aber aufgrund zahlreicher Hinweise aus Ministerien, Behörden und betroffenen Kommunen inzwischen überdacht: „Damit kann einem insbesondere von vielen Kommunen und der Landwirtschaft eingebrachten Anliegen Rechnung getragen werden. Die Anpassung der Regelung bietet mehr Flexibilität für die Bauleitplanung“, begründet der Verband dies in einer Einschätzung.

Tatsächlich hatte die Aussicht, dass landwirtschaftliche Flächen für die Energiegewinnung „geopfert“ werden könnten, im Gemeinderat wie im Bauausschuss für viel Kritik gesorgt. Unter Verweis auf die Klimaziele der Stadt Waldshut-Tiengen betrachtet Susanne Kaufmann die Agri-PV-Anlagen allerdings als zweischneidiges Schwert. Denn nicht nur seien die Anlagen wesentlich teurer als konventionelle Freiflächen-PV-Anlagen. Aufgrund der Aufständerung hätten wesentlich weniger Paneele pro Hektar Platz, sodass auch weniger Energie erzeugt werden könne. „Wenn ich tatsächlich klimaneutral werden will und mir das entsprechende Dachflächenpotenzial fehlt, muss ich bei der Errichtung von Agri-PV, wiederum auf weitere Landbauflächen zurückgreifen, um den Jahresstromverbrauch der Haushalte, Gewerbe- und Industriebetriebe decken zu können.“ Mithin gediehen auch nicht alle Pflanzen gleichermaßen unter Sonnenkollektoren.
Dass derweil die Deponie Tiengen als Solarstromfläche ausscheidet, sorgte im Gemeinderat für Kopfschütteln: „Die Deponie ist eine tickende Zeitbombe, bei der man nicht weiß, was alles im Boden liegt. Dass die Oberfläche als so schützenswert gilt, ist nicht nachvollziehbar“, brachte Dieter Flügel auf den Punkt.