Die Poller-Frage sorgt für Diskussionen in der Stadt. Wann immer sie auf der Tagesordnung des Gemeinderats steht, ist eine lebhafte Debatte zu erwarten. So auch am Mittwoch, als das Gremium darüber beriet, ob der Pfosten über die Testphase hinaus bestehen bleiben soll. Besonders besorgt zeigte sich Ex-Klinikchef und FDP-Gemeinderat Raimund Wilhelmi.

Probezeit seit Anfang des Jahres

Im März 2024 hatte der Gemeinderat nach einem zweistündigen Disput die Installation eines Pollers in der Klosterstraße beschlossen. Er soll den Verkehr in der Innenstadt reduzieren und so für mehr Ruhe in der verkehrsberuhigten Zone Jakob-Kessenring-Straße/Klosterstraße sorgen.

Die Entscheidung stieß auf Widerstände, besonders aus Sorge, der Poller könnte dem Handel in der Innenstadt schaden. Aktuell ist er zwischen 5.30 und 11 Uhr sowie 18 und 19 Uhr für Lieferverkehr und Anlieger abgesenkt. Die Probephase sollte zunächst bis Ende Oktober laufen.

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Fehlende Verkehrszahlen verhindern Erfolgsmessung

Um die Wirksamkeit der Maßnahme bewerten zu können, wollte die Stadtverwaltung in diesem Jahr eine Messung der Verkehrszahlen umsetzen. Wie Manfred Schlenker am Mittwoch jedoch bedauerte, sei dies „aufgrund von Personal- und Infrastrukturausfällen“ nicht gelungen. „Nicht besonders erfreulich“, so Schlenker, zumal die Zahlen eine wichtige Grundlage für weitere Entscheidungen seien.

Eine vorliegende Messung der Christophstraße sei jedoch ein Anhaltspunkt: Im September wurden dort an fünf Tagen täglich rund 2000 Fahrzeuge gezählt – ein Rückgang im Vergleich zu früheren Zahlen von 5000 Fahrzeugen pro Tag. Eine umfassende Erhebung werde man im kommenden Jahr nachholen, versicherte Schlenker.

Wilhelmi mahnt vor Belastung für das „Kurviertel“

Besonders kritisch sprach sich Stadtrat Raimund Wilhelmi zu einer Verlängerung der Probephase aus. Der ehemalige Geschäftsführer der gleichnamigen Fastenklinik bemängelte, dass der Verkehr durch die „Sperrung der Innenstadt“ stärker nach Überlingen West – umgangssprachlich „Kurviertel“ verlagert werde. Im Gegensatz zur Planung würden viele Autofahrer nicht über Brünnensbach, sondern direkt durch Überlingen West fahren, was die Patienten der Kliniken dort belaste.

Raimund Wilhelmi (FDP)
Raimund Wilhelmi (FDP) | Bild: Hilser, Stefan

„Die Patienten kommen oft von weit her, zahlen hohe Tagessätze und sind auf ein erholsames Umfeld angewiesen,“ führte Wilhelmi aus. Sein Sohn plane große Investitionen in der Fastenklinik, fuhr er fort, doch „unter den aktuellen Verkehrsbedingungen kann ich ihm diese Investition nicht empfehlen“.

Zudem hinterfragte Wilhelmi die wirtschaftlichen Auswirkungen des Pollers: „Ist es unsere Aufgabe, Unternehmen zu fördern, die Arbeitsplätze schaffen, Steuereinnahmen generieren und Gäste nach Überlingen bringen? Dann tun wir momentan genau das Gegenteil.“

Gegenstimmen: „Die Innenstadt ist nicht gesperrt“

Mehrere Ratsmitglieder wiesen Wilhelmis Argumente zurück. Günter Hornstein (CDU) etwa betonte, dass die Verkehrszahlen in Überlingen West nicht gestiegen seien. „Dieses Schreckensszenario hat sich in keiner Weise bestätigt.“ Hornstein bekannte sich als anfänglicher Poller-Skeptiker, doch er sei eines Besseren belehrt worden: „Die Maßnahme war richtig. Und wir sollten sie zunächst beibehalten, wenn es auch ärgerlich ist, dass wir die Verkehrszahlen nicht haben.“

Zudem stellte Hornstein klar: „Die Innenstadt ist nicht gesperrt.“ Sie als solche zu bezeichnen, kommentierte er als „Fehler“ seitens Ratskollege Wilhelmi. Auch Ulrich Krezdorn (CDU) fand klare Worte: „Wer das Wort Sperrung in den Mund nimmt, der schadet unserer Stadt. Jedes Haus, jedes Geschäft ist 24 Stunden erreichbar.“

„Wer das Wort Sperrung in den Mund nimmt, der schadet unserer Stadt“, stellte Ulrich Krezdorn im Gemeinderat klar.
„Wer das Wort Sperrung in den Mund nimmt, der schadet unserer Stadt“, stellte Ulrich Krezdorn im Gemeinderat klar. | Bild: Maike Stork

Positive Effekte für den Einzelhandel

Die befürchteten negativen Auswirkungen des Pollers auf den Handel konnte Kirsten Stüble (SPD) entkräften. Im Gegenteil: Stüble, selbst Einzelhändlerin in der Innenstadt, berichtete von der neuen Kundschaft, die durch die Verkehrsberuhigung angezogen werde. „Ja, es gibt Kunden, die nicht mehr kommen, aber wir haben viele Neukunden dazugewonnen“, erklärte sie. Viele Menschen hätten erst jetzt in die Klosterstraße gefunden, die früher nur wenig attraktiv war.

Außerdem warnte Stüble davor, die Pollerzeiten zu verändern oder ihn ganz abzuschaffen, da viele Anwohner und Kunden sich gerade erst an die Maßnahme gewöhnt hätten.

Fokus auf der Aufenthaltsqualität

Auch andere Räte hoben die positiven Veränderungen in der Stadt hervor: „Welche Lebendigkeit, welche Lebenswertigkeit die Stadt gewonnen hat, ganz unvergleichbar“, sagte etwa Bettina Dreiseitl-Wanschura (LBU/Grüne). „Es ist ein großartiges Beispiel für Überlingen, da müssen wir dran bleiben.“

Parteikollegin Bernadette Siemensmeyer pflichtete bei: „Die Regelung ist ein ganz wichtiger Meilenstein, um unsere Innenstadt für die Zukunft aufzustellen.“ Sie erinnerte zudem daran, dass der Status Überlingens als Kneippheilbad maßgeblich von der Verkehrsberuhigung abhänge. 

Bänke und Pflanzen sollen für mehr Aufenthaltsqualität im verkehrsberuhigten Bereich sorgen.
Bänke und Pflanzen sollen für mehr Aufenthaltsqualität im verkehrsberuhigten Bereich sorgen. | Bild: Maike Stork

Stadt arbeitet an Verbesserungen

Trotz kontroverser Diskussionen herrschte im Rat über eine Sache Einigkeit: Die Verkehrsführung und Beschilderung in der Innenstadt müssen verbessert werden. Manfred Schlenker betonte, dass vor allem die Kennzeichnung an der Abfahrt Brünnensbach optimiert werden müsse. Zudem wolle man ein Verkehrsleitsystem installieren und das Parkleitsystem verbessern. Dafür soll ein externer Verkehrsplaner herangezogen werden.

Die Beschilderung Richtung Westen soll verbessert werden, damit Autofahrer künftig verlässlicher über Brünnensbach umgeleitet werden – ...
Die Beschilderung Richtung Westen soll verbessert werden, damit Autofahrer künftig verlässlicher über Brünnensbach umgeleitet werden – und nicht durch Überlingen West fahren. | Bild: Maike Stork

Mehrheit stimmt für Verlängerung der Testphase

Schließlich konnte der Rat die Poller-Frage – zumindest vorerst – beantworten und sprach sich bei zwei Enthaltungen und einer Gegenstimme mehrheitlich für die Verlängerung der Testphase aus. Raimund Wilhelmi nahm an der Abstimmung nicht teil, nachdem mehrere Räte Bedenken wegen möglicher Befangenheit geäußert hatten.