„Heute geht es um die Belange der Fußgänger, dem schwächsten Glied im öffentlichen Verkehrsraum“, begrüßte der neue Baubürgermeister und Noch-Stadtplaner Thomas Kölschbach die kleine Runde. Die Stadtverwaltung hatte zum zweiten Teil des Fußverkehrs-Checks eingeladen. Nach der Auftaktveranstaltung im Oktober 2021 standen jetzt Begehungen von zwei Bereichen im Stadtgebiet an. Die ursprünglich im Dezember geplanten Termine waren wegen der hohen Corona-Zahlen verschoben worden.
Bei winterlichen Temperaturen und leichtem Regen fanden sich fünf Bürgerinnen und Bürger auf der Hofstatt ein, wo Lukas Schroeder-Schilling von der Planersocietät aus Dortmund die Begehung der Innenstadt leitete. Das Unternehmen begleitet fachlich das vom Ministerium für Verkehr in Baden-Württemberg geförderte Projekt. „Sie sind die Experten vor Ort“, erklärte er den Anwesenden und betonte, wie wichtig Hinweise und Erfahrungsberichte der Einheimischen für die Bewertung der Gegebenheiten wären.
Hineinversetzen in Menschen mit Behinderung
„Beim Fußverkehr geht es immer um Sicherheit und Barrierefreiheit. Wenn die Wege für Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen geeignet sind, sind sie auch gut nutzbar für alle anderen“, so Schroeder-Schilling weiter. Damit die Teilnehmer besser diesen Blickwinkel einnehmen konnten, verteilte er Brillen, die die Sehkraft unterschiedlich stark einschränkten. Einige probierten einen Langstock aus, wie ihn Blinde und Menschen mit einer Sehbehinderung nutzen, um den Untergrund vor ihnen auf Hindernisse oder Stufen abzutasten.

So ausgerüstet ging es zur Bushaltestelle am Landungsplatz. Hier werden künftig die Bordsteine so angepasst, dass Fahrgäste aus Niederflurbussen barrierefrei aussteigen können, berichtete Thomas Kölschbach. Das würde sukzessive im gesamten Stadtbereich umgesetzt. Auf der neu gepflasterten Promenade lobte Schroeder-Schilling das verwendete, ebene Material und auch den Streifen in der Mitte aus durchgehenden Platten. Wäre dieser Bereich kontrastreicher abgesetzt, könnten ihn Sehbehinderte leichter identifizieren, lautete sein einziger Kritikpunkt, den die „Brillenträger“ aus der Gruppe bestätigten.
Fußgängerzone Münsterstraße ist zu vollgestellt
In der Fußgängerzone Münsterstraße lautete der fachliche Hinweis: „Achten Sie mal darauf, was alles im Weg steht!“ Die Teilnehmerin mit dem Langstock musste einer Baustelle, Kleiderständern und zahlreichen sogenannten Kundenstoppern ausweichen. Der Experte aus Dortmund lobte zwar die ansonsten ausreichenden Platzverhältnisse, vermisste aber eine einheitliche Gestaltung. Dem pflichtete Kölschbach bei: „Da schaudert es jeden Stadtplaner.“

Wunsch nach Verkehrskonzept während der LGS
Im weiteren Verlauf fielen den Fußgängern fehlende Beschilderungen auf, die nicht Ortskundigen zum Beispiel am Übergang zur Hofstatt oder bei den Rathaustreppen, den alternativen barrierefreien Weg anzeigen. Den Bereich an der Kreuzung Münster- und Franziskanerstraße nannte Schroeder-Schilling einen „neuralgischen Punkt“. Ein Bürger merkte an, dass hier die Busse oft zu schnell fahren und in der Saison sowie an Wochenenden zu viel Verkehr herrsche. „Die Verkehrsführung im letzten Jahr zur LGS war besser“, sagte eine Teilnehmerin, der sich alle anschlossen. Thomas Kölschbach wies darauf hin, dass die Gremien bereits den Beschluss gefasst hätten, das Verkehrskonzept zur Zeit der LGS wieder zu implementieren und bestimmte Bereiche zwischen 10 und 20 Uhr für den Durchgangsverkehr zu sperren.
Bürgersteige sind gerade in Altstädten sehr eng
Weiter ging es in die Christophstraße, wo die Gruppe bald nur noch hintereinander den Bürgersteig nutzen konnte. Der Dortmunder Experte informierte, dass der Gehweg hier teilweise unter einen Meter breit sei. Planer kalkulierten für einen Erwachsenen mit Kind rund 1,40 Meter, ein Sehbehinderter mit einem Langstock benötige 1,20 Meter. „Das ist in historischen Innenstädten schwer umsetzbar. Hier muss man abwägen.“ Ein Bürger fand, dass enge Wege in vielen Städten Europas den Charme von Altstadtkernen ausmache.

Ähnlich schwierig ist der Weg hinab vom Aufkircher Tor für Menschen mit körperlichen Einschränkungen zu meistern. Die Wege sind eng, dazu erschweren Bürgersteige mit Schrägen in Längs- und Querrichtung die Trittsicherheit. Weiter unten nehmen Parkplätze, Werbeaufsteller, Blumenkübel und Treppenaufgänge viel Raum ein und zwingen die Fußgänger teilweise auf der Straße zu gehen.

Viel Kritik an Pflasterung in der Pfarrhofstraße
Viel Kritik von den Teilnehmern erntete schließlich die Pflasterung der Pfarrhofstraße. Die großen Fugen und lockeren Steinen wären für Fußgänger und Fahrradfahrer problematisch. „Das ist das schlimmste Pflaster in ganz Überlingen“, sagte ein älterer Herr. Die Pfennigturmgasse neben dem Rathaus wäre zwar noch schlimmer, aber das müsse bleiben. „Das gehört zum Altstadtflair.“
Beim zweiten Teil der Begehung widmete sich einen Tag später eine ähnlich kleine Gruppe dem Bereich rund um die Lippertsreuter Straße. Hier ging es beispielsweise um alternative Fußwege parallel zur Hauptstraße und eine Beschilderung, die nicht Ortskundige besser leitet. Es wurden kritische Punkte entlang der Kreisel identifiziert und die Notwendigkeit einer besseren Gestaltung des ausgewiesenen Sanierungsgebiets betont.