Die Sonne taucht die Weinreben in warmes Licht, als die Braut zu den Klängen von „Hallelujah“ nach vorne schreitet. Im Hintergrund ragt die Birnau empor, bleibt an diesem Tag jedoch bloß Kulisse. Annika und Christian Ortlepp haben sich für eine freie Trauung entschieden – für das frischvermählte Paar die richtige Wahl. „Für uns war das die Traumhochzeit schlechthin“, sagt die 32-jährige Braut. Beide bezeichnen sich als nicht besonders gläubig, wünschten sich aber eine schöne Feier mit allen Freunden und Verwandten. Eine freie Zeremonie sahen sie als persönlichste Möglichkeit einer Trauung: „Da wird ganz anders auf uns eingegangen, da geht es wirklich um das Brautpaar.“
Brautpaare möchten im Mittelpunkt stehen
Dina Regniet, die die Ortlepps getraut hat, sieht dieses Bedürfnis bei vielen Paaren im Vordergrund. Zwar gebe es auch die, die nicht oder nicht mehr in der Kirche seien oder das zweite Mal heirateten, doch viele wählen ihr zufolge eine freie Trauung, weil diese mehr Platz für die eigenen Wünsche und die individuelle Geschichte biete. „Wenn es den Paaren nur um das Fest und die Liebe geht, entscheiden sie sich oft für die freie Trauung“, so die Traurednerin. Diese Form der Eheschließung sei in den vergangenen Jahren daher sehr im Kommen gewesen.

Kirchliche Trauungen bleiben beliebt
Bedeutet das im Gegenzug, dass die kirchliche Trauung aus der Mode gerät? Der Überlinger Pfarrer Bernd Walter verneint dies, auch wenn es bedingt durch Corona in den vergangenen Monaten weniger Hochzeiten gegeben habe: „Der Wunsch, kirchlich zu heiraten, ist ungebrochen“, sagt der Leiter der katholischen Seelsorgeeinheit Überlingen.

Seine evangelische Kollegin Regine Klusmann ergänzt: „Nach der Sanierung der Auferstehungskirche haben wir eine deutliche Zunahme kirchlicher Trauungen – auch von außerhalb.“ Die Dekanin im evangelischen Kirchenbezirk Überlingen-Stockach betont, dass den Paaren der kirchliche Segen für die Ehe wichtig sei.

Dina Regniet, die als Sängerin auch bei kirchlichen Hochzeiten auftritt, sagt, dass der Rahmen in der Kirche oft etwas starrer sei. So seien manche Pfarrer sehr streng, was beispielsweise die Liederauswahl betreffe; auch seien die Gäste oft unsicher, ob geklatscht, gelacht oder gejubelt werden dürfte. „Ich glaube aber nicht, dass Gott etwas dagegen hätte“, so Regniet, die selbst kirchlich geheiratet hat.
Rituale geben Halt
Bernd Walter könnte diese Aussage vermutlich unterschreiben: „Das Brautpaar hat sehr viele Möglichkeiten, sich bei der Gestaltung aktiv mit einzubringen“, erläutert er und verweist auf die musikalische Gestaltung, die vom klassischen Hochzeitsmarsch bis zum Schlager „Ein Stern“ reiche. „Die kirchliche Zeremonie bietet einen feierlichen Rahmen und gibt dem Ganzen einen besonderen Charakter“, ergänzt der Pfarrer.
Auch Regine Klusmann betont, dass die kirchliche Trauung kein starres Ritual sei – „obgleich Rituale sehr tragfähig sind, Halt geben und Worte für Unsagbares bieten“. Der Schritt in die Ehe sei ein Versprechen, das eigentlich Menschenmögliches übersteige, weswegen die Segnung des Paares und ein Bibelwort auf den Lebensweg wichtig sei. „Ansonsten sind wir in Ablauf und Gestaltung sehr flexibel und gehen auf fast alle Wünsche des Paares ein, die nicht quer zur Würde des Raumes und des Anlasses liegen“, unterstreicht die Dekanin.
Worin liegt dann der Unterschied zwischen kirchlichen und freien Trauungen? Dina Regniet orientiert sich ebenfalls an einem Grundgerüst – der Einzug, das Ja-Wort und der Ringtausch dürfen natürlich nicht fehlen. Für die konkrete Planung des Ablaufs bespricht sie sich ausführlich mit den Brautleuten. „Es ist mir eine absolute Herzensangelegenheit, dass es für das Brautpaar der schönste Tag im Leben ist“, sagt die Traurednerin. Die Lieder und die gewünschten Hochzeitsrituale seien frei wählbar, die Rede über das Paar ganz individuell. „Wenn man sich für die Kirche entscheidet, muss einem klar sein, dass es ein Gottesdienst ist und dass das ebenso im Mittelpunkt steht“, stellt die Rednerin heraus.
Ohne Standesamt geht es nicht
Bleibt noch die Möglichkeit, sich auf eine standesamtliche Trauung zu beschränken – die einzige Form der Eheschließung, die tatsächlich rechtskräftig ist. „Der kurze Gang zum Standesamt muss immer sein“, erklärt Dina Regniet. Dieser könne ebenfalls schön gestaltet werden, sei allerdings auch ohne Pandemie meist zeitlich und bezogen auf die Gästezahl beschränkt. „Der Traum ist doch meist, eine richtig schöne Zeremonie zu haben mit weißem Kleid, da will man mehr als den rechtlichen Akt“, erzählt sie von ihren Kunden.
Auch Verwaltungsakte können festlich sein
Andrea Winkler berichtet, dass das Überlinger Standesamt sehr gefragt sei: Etwa 200 Trauungen könnten pro Jahr durchgeführt werden, sodass sie regelmäßig ausgebucht seien, sagt die Pressesprecherin der Stadt Überlingen. Dabei seien alle Beteiligten bemüht, die Wünsche der Paare bestmöglich zu erfüllen. Bei einem Vorgespräch könnten musikalische Beiträge, persönliche Worte von Angehörigen oder Wünsche in Bezug auf Rituale abgesprochen werden. Die Traurede sei auf das Paar abgestimmt, jedoch aus zeitlichen Gründen nicht gänzlich individuell. „Unsere Trauungen sind sehr festlich, es sei denn, die Brautleute wünschen sich den reinen Verwaltungsakt, was auch immer wieder vorkommt“, sagt Andrea Winkler.

Hochzeit unter freiem Himmel
Annika und Christian Ortlepp haben ihre standesamtliche Trauung, die am Wohnort Waiblingen im kleinen Kreis stattfand, in der Tat als sehr schön und persönlich wahrgenommen. Ausschlaggebend für die freie Trauung im Nachhinein war jedoch der Wunsch, alle Freunde dabeizuhaben. „Wir wollten die Hochzeit mit einer schönen Feier besiegeln“, bekräftigt die Braut. Für diese reisten sie gern in die Bodenseeregion, in der der Bräutigam verwurzelt ist. Von Markdorf, wo seine Eltern wohnen, war es nur ein Katzensprung bis zu den Weinbergen oberhalb der Birnau, wo der Wunsch nach einer Hochzeit unter freiem Himmel in Erfüllung ging.

Freie Ortswahl bei freien Trauungen
Bei der Ortswahl seien den Ideen der Brautleute keine Grenzen gesetzt, sagt Dina Regniet in Bezug auf freie Trauungen. Ob auf der Wiese der Tante, im Ferienhaus auf Sizilien oder allein in den Bergen auf der Wiese – Einschränkungen gebe es höchstens durch das Wetter.
Doch auch bei standesamtlichen Trauungen sind die Möglichkeiten vielfältiger, als man vielleicht glauben mag. Die Überlinger Haupt-Trauräume seien zwar im historischen Rathaus und im städtischen Museum, doch man könne auch im Sitzungszimmer des Torhauses heiraten oder in fast jedem Teilort vom Ortsvorsteher getraut werden, zählt Andrea Winkler auf. Bis zum Ende der Landesgartenschau wurde auch im Grünen Salon und bei schlechtem Wetter im Pflanzenhaus getraut.
Kirchen bieten Auswahlmöglichkeiten
Wer evangelisch heiraten möchte, kann neben den Kirchen auch einen Ort im Grünen oder eine Trauung auf dem Boot wählen, sagt Regine Klusmann. „Da ist viel möglich, sofern es die zeitlichen Rahmenbedingungen nicht sprengt.“ In der katholischen Seelsorgeeinheit Überlingen werde überwiegend im Münster und der Franziskanerkirche geheiratet, berichtet Bernd Walter. „Katholische Trauungen sind ausschließlich in katholischen Kirchen und Kapellen möglich“, erklärt der Pfarrer. „Und davon haben wir ja in unserer Region ganz schöne.“