Es ist der letzte Samstag im August, das Wetter scheint sich nicht so ganz entscheiden zu können: Im Wechsel fallen warme Sonnenstrahlen und schmale Tropfen vom Himmel. Am Himmel bleibt das bunte Farbenspiel aus, einen Regenbogen gibt es trotzdem – mitten in Wutöschingen.
Rund 250 Menschen haben sich auf dem Platz vor der Alemannenhalle versammelt, um unter dem Motto „Für ein buntes Dorf“ den ersten CSD im Landkreis zu feiern. Vor fünf Jahren hatten die Organisatoren angefangen, den Christopher Street Day als Zeichen der Toleranz und Vielfalt, privat im Freundeskreis zu feiern. Dieses Jahr haben sie sich dazu entschieden, die Veranstaltung für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und queeren Menschen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auf dem Platz vor der Alemannenhalle gibt es Reden, Poetry Slam, eine Geschichte über ein schwules Pinguin-Paar, und ein kleines Regenbogenfähnchen für jeden, der will.
Viele der Teilnehmer tragen ihre ganz eigenen Interpretationen des Regenbogens. Als Strähnchen im Haar, Glitzer im Gesicht, auf T-Shirts und in Form eines Regenschirmes blitzten die Farben auf dem Hallenplatz in der Menge hervor.
Mehr als bunte Anstecker
Dass es beim CSD jedoch um mehr als farbenfrohe Accessoires geht, stellt Schirmherr Markus Meßmer gleich zu Anfang seiner Rede klar: „Mit der Regenbogenflagge möchten wir heute offen, bunt und laut dafür stehen, queer zu sein oder Solidarität für ein buntes und friedliches Miteinander zu bezeugen.“
Es sei wichtig, queere Menschen sichtbar zu machen – auch und gerade auf dem Land: „Wir sind hier aufgewachsen und Teil der Gesellschaft.“ Es sei aber auch wichtig, Vorbehalte oder Ängste abzubauen, und damit Unsicherheiten im gegenseitigen Umgang zu beseitigen.
„Queere Aufklärung bedeutet, Wissen zu teilen“

Vorbehalte abzubauen – darum geht es auch bei Ronja Ebners Beitrag über queere Geschichte. Sie erklärt die Hintergründe der Regenbogenflagge und berichtet über den Kampf um Gleichberechtigung. Rebeka Robold, eine der Teilnehmerinnen, findet gut, dass man etwas dazu lernt: „Das war sehr informativ, viele Begrifflichkeiten wurden erklärt.“ Neben ihr steht Nina Petit, sie hat ein großes Herz auf ein Plakat aus Pappe gemalt. Ihr erster CSD sei es nicht, das erste Mal mit Regenbogenflagge auf dem Dorf aber schon. Sie finde es „super wichtig“, dass der Christopher Street Day auch im ländlichen Raum angekommen sei, „damit die Leute, die es betrifft, wissen, sie können sie selbst sein“.
Dominik Beck ist einer von denen, „die es betrifft“. Mitte Juni haben sein Mann und er sich als erstes homosexuelles Paar in der katholischen Kirche in Degernau segnen lassen. Für den CSD ist er extra aus Freiburg angereist. Dass sich auf dem Hallenplatz jetzt so viele Menschen in Solidarität versammelt haben, freut ihn: „Das zeigt Akzeptanz und gerade bei der aktuellen politischen Entwicklung, ist es wichtig, dass man nicht zu Hause auf der Couch bleibt, sondern rausgeht und etwas tut.“
Bunte Ketten und queere Pinguine
Als Beck seinen Satz beendet, läuft gerade das Lied „Same Love“ an. Zwei Frauen nehmen sich in den Arm und summen mit. Kinder toben durchs Bild, einer trägt eine bunte Kette. Sie stellen sich am Infostand der offenen Kinder- und Jugendarbeit an und lassen sich von Marius Mehlin die verschiedenen Flaggen erklären.
Erzieherin Linda Ebner betritt als letzte die Bühne und betont, wie wichtig es sei, Vielfalt schon früh zu vermitteln: „Wenn ein Junge rosa Glitzer und Einhörner liebt oder ein Mädchen kurze Haare hat, werden sie oft ausgelacht oder ausgegrenzt.“ Ebner erzählt deshalb die Geschichte von Roy und Silo, einem schwulen-Pinguin-Paar, das gemeinsam ein Ei ausbrütet. Das Besondere an der Kindergeschichte: In der Natur gebe es tatsächlich gleichgeschlechtliche Tierpaare.
Wie heißt CSD auf Alemannisch?
Das Publikum ist ungemein vielfältig. Senioren, Kinder in der Tragetasche, Jugendlichen mit bunten Haaren, Zugezogene und Einheimische haben sich im Farbenmeer versammelt. Das beeindruckt: Lilian Crowley ist mit ihrer Familie erst vor Kurzem nach Wutöschingen gezogen, und räumt ein, dass sie nun viele ihrer ganz eigenen Vorurteile überdenken müsse.
Denn was das Dorf der Stadt beim CSD in puncto Größe nachsteht, macht es durch Vertrautheit wieder wett. Man kennt sich, man spricht den gleichen Dialekt – da hört man zu. „Das Schönste war, dass die Leute so aufmerksam waren“, meint auch Markus Meßmer. Viele folgen seinem Aufruf, und verweilen nach dem offiziellen Teil noch ein wenig auf dem Platz, kommen ins Gespräch – fast wie auf dem Wochenmarkt.
Kirche auf dem CSD?
Den Beitrag eines Pfarrers hätte man in der Stadt wohl auch vermisst. Anna Katharina Chavier geht auch die Bühne, in ihrer Hand hält sie das Grußwort von Florian Bosch, das sie stellvertretend für den alt-katholischen Pfarrer vorträgt. Bosch ist selbst schwul, im Pfarrhaus in Dettighofen lebt er mit seinem Mann. In seiner Rede betont er: „Kirche auf dem CSD – was für eine Zumutung oder vielleicht auch was für eine Chance.“
Der persönliche Bezug des Pfarrers und der anderen Redner gefällt vielen Besuchern. Lena Sandro sagt, dass sie es schätzt, dass die Redner nicht aus der hochrangigen Politik kommen, wie bei großen CSDs: „Das hatte mehr von einer politischen Kundgebung und weniger von einer Party. Und es haben Menschen gesprochen, die die Leute hier kennen.“
Nächstes Jahr gibt es vielleicht sogar eine Parade
Das Organisationsteam hat sich bewusst entschieden, vor allem Freunden und Familie eine Plattform zu geben. Mit dem Zuspruch sind Markus Meßmer und seine Mitstreiter so zufrieden, dass der CSD im nächsten Jahr auf jeden Fall wieder stattfinden soll. Sogar eine Parade sei vorstellbar. „Dafür brauchen wir aber einen richtigen Verein“, erklärt er und grinst. Eine entsprechende Liste für Interessierte ist bei der Veranstaltung ausgelegt. Als der Platz sich langsam leert, ist sie bis auf die letzte Zeile vollgeschrieben.