Was war zuerst da: die Liebe zur Musik oder zur Sprache?
Magdalena Stoll: Meine Mutter hat gesagt, dass ich schon gesungen hätte, als ich noch kein Wort sprechen konnte. Ich habe aber auch schon immer gern Texte verfasst und Gedichte interpretiert. Mich in menschliche Gefühle hineinzuversetzen, hat mir schon damals Freude gemacht, aber ich habe nie gedacht, dass ich das mal in meinen Beruf einflechten kann.
Dina Regniet: Bei mir ist es ganz ähnlich. Ich habe auf Hochzeiten erst nur den gesanglichen Part übernommen. Dadurch habe ich sehr viele freie Trauungen erlebt – manche waren richtig gut, manche waren langweilig und unpersönlich. Das hat mich so gewurmt, dass ich dachte, das Brautpaar hat etwas Besseres verdient. Ich habe mich dann weitergebildet als Rednerin und biete seitdem das Komplettpaket an.
Frau Stoll, Sie haben regelmäßig mit trauernden Menschen und tragischen Schicksalsschlägen zu tun. Wie schaffen Sie es, angesichts dessen Ihre Fröhlichkeit nicht zu verlieren?
Stoll: Die Trauerfeiern haben mich von Anfang an sehr berührt. Zunächst habe ich Angst gehabt, dass ich zu sensibel werde, denn ich bin die Letzte, die das darf. Trotzdem ist es mir eine Ehre, in so einem einmaligen Moment dabei zu sein, wenn Menschen verabschiedet werden. Ich bin von außen, aber ich darf in diese Gemeinschaft hineintauchen und den Menschen zur Seite stehen.
Regniet: Das ist so wertvoll, was du da machst! Es ist unglaublich, was es den Hinterbliebenen bringt.
Stoll: Ich nehme die Dinge auf, die mir die Menschen erzählen. Manches ist aufheiternd, manchmal gab es aber auch Konflikte. Ich kann das von mir trennen, aber ich möchte auch mitfühlen, damit die Menschen spüren, dass ich bei ihnen bin. Meine Kraft, für die Menschen da zu sein, schöpfe ich aus meinem Glauben.

Frau Regniet, lässt sich während der Pandemie mit Hochzeiten Geld verdienen? Oder wäre es an der Zeit, auf Trauerrednerin umzusatteln?
Regniet: Tatsächlich biete ich das auch an, aber Trauerfeiern habe ich erst sehr viel später auch mit Worten begleitet, weil ich noch persönlich reifen musste, damit ich mir das zutraue. Wie du sagst, Magdalena, ich darf da vorne nicht weinen und muss für die Angehörigen da sein. Während der Pandemie habe ich das vermehrt gemacht, weil alle meine Hochzeiten abgesagt wurden. Letztes Jahr habe ich vielleicht 20 Prozent meines normalen Umsatzes gemacht. Ich habe dann gedacht, 2021 wird das Jahr, und jetzt verschieben alle auf 2022 oder sagen ganz ab.
Bekommen Sie in dieser Zeit staatliche Unterstützung?
Stoll: Ich konnte arbeiten, aber ich habe gemerkt, dass es weniger war. Da ich mich erst im Herbst 2019 selbstständig gemacht habe, konnte ich keine vergleichbaren Zahlen vom Vorjahr vorlegen. Daher fällt das leider für mich weg. Ich kann auch schlecht Terminausfälle nennen, da viele Leute gar nicht erst auf mich zugekommen sind.
Regniet: Ich habe die Novemberhilfe bekommen, aber auf die Dezemberhilfe und die Solo-Selbstständigen-Hilfe warte ich noch. Letztes Jahr habe ich eine Soforthilfe bekommen, die ich aber nur für betriebliche Ausgaben hätte nutzen dürfen. Da ich kein Auto und kein Büro habe, habe ich letzten Endes nichts gehabt. Es muss jetzt echt wieder losgehen, und ich hoffe so sehr, dass die Menschen wenigstens in kleinerem Rahmen feiern.
Wer sind Ihre Kunden?
Regniet: Bei Hochzeiten gibt es einerseits die Leute, die aus der Kirche ausgetreten sind, aber trotzdem ein schönes Fest mit langer Zeremonie und Gesang haben wollen. Andererseits gibt es diejenigen, die gläubig sind, aber in der Kirche nicht den Raum für ihre eigene Geschichte finden.
Stoll: Bei Trauerfeiern ist es kunterbunt: Manche Menschen sind zwar in der Kirche, aber es fehlt ihnen das Persönliche. Bei den Menschen, die nicht in der Kirche sind, gibt es solche, die eine andere Spiritualität haben, und es gibt Menschen, die an überhaupt nichts glauben. Vor diesen Fällen hatte ich am meisten Angst, aber auch dafür gibt es eine Lösung, wie man den Menschen zur Seite stehen kann.
Wie erstellen Sie die ganz persönlichen Reden? Wie nahe kommen Sie emotional den Brautleuten und den Trauernden?
Stoll: Es ist abhängig von der Offenheit der Menschen. Manche sind sehr zurückhaltend. Trotzdem versuche ich dann, zu erspüren, was den Trauernden Trost bringt und wie ich sie in diesem schwierigen Moment einfühlsam begleiten könnte. Und es gibt Menschen, die wahnsinnig viel verraten. Dann versuche ich, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, damit die Trauerrede nicht den Rahmen sprengt.
Regniet: Bei freien Trauungen treffe ich mich mit den Paaren immer persönlich. Manchmal dauert das Gespräch vier Stunden! Bei Trauerreden kann ich bestätigen, was du gesagt hast, Magdalena. Da ist es ein bisschen anders, weil du nicht den schönsten, sondern den traurigsten Moment begleitest und du trotzdem den Leuten so viel Trost geben musst, dass es für sie erträglich wird. Daher bin ich vor einer Beerdigung viel aufgeregter als vor einer Trauung. Wahrscheinlich, weil ich es auch noch nicht so oft gemacht habe.
Stoll: Das ist auch meine Erfahrung: Bevor ich angefangen habe, hat mich diese Verantwortung schon etwas gedrückt. Aber ich mag Menschen und du strahlst das auch aus, Dina, und ich glaube, du kannst das auch. Meine Sorge, etwas falsch zu machen, ist abgefallen, wenn wir uns menschlich auf einer Ebene getroffen haben.

Welcher Einsatz ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Regniet: Ich hatte letztes Jahr eine freie Trauung am Starnberger See. Es hatte schon ein bisschen getröpfelt, aber das Paar wollte das unbedingt draußen machen und hatte extra einen Pavillon aufgestellt. Vor dem Ja-Wort hat es angefangen, unglaublich zu schütten, und dann ist der Pavillon weggeweht! Wir sind alle reingerannt und mussten drinnen improvisieren, aber die Braut hat am Ende auch wieder gelacht.
Stoll: Ein Mann um die 50 ist verstorben, er war Motorradfahrer. Es war ein heißer Tag, ein Platz voller muskulöser Männer mit dunklen Brillen und teilweise Glatze – alle stehen völlig andächtig da, manche weinen. Es war so eindrucksvoll für mich, dass in dem Moment, wenn wir trauern, wir alle …
Regniet: … gleich sind. Ja, das ist Wahnsinn.
Sehen Sie es als Konkurrenz oder als Ergänzung, dass Sie beide seit kurzem hier in Überlingen tätig sind?
Regniet: Ich sehe es als Bereicherung, auch weil ich es total spannend finde, weil du dich ja mehr auf Trauerreden konzentrierst und ich mich auf Traureden. Und wir können gegenseitig sehr viel voneinander lernen. Und wenn eine von uns viele Anfragen hat, kann sie der anderen was vermitteln. Besser geht‘s doch nicht!
Stoll: Finde ich auch!
Regniet: Als ich erfahren habe, dass es da noch jemanden gibt, dachte ich mir: Wie schön, dann bin ich nicht allein. Es gibt auf der Welt so viel Neid und Missgunst und gerade wir Künstler müssen einfach zusammenhalten.
Sie sind beide verheiratet: Wer hat an Ihrer Hochzeit die Traurede gehalten und gesungen?
Stoll: Bei mir hat meine Schwägerin Barbara Stoll gesungen, sie ist Schauspielerin und hat eine geniale Altstimme. Es war eine kirchliche Hochzeit – in meiner Heimat ist das normal, dass man eine Messe feiert.
Regniet: Ich habe 2008 geheiratet und damals waren freie Trauungen noch nicht so publik wie jetzt. Jetzt würde ich wahrscheinlich eine freie Trauung machen. Aber wir hatten Glück, wir hatten einen polnischen Pfarrer …
Stoll: Ach was, ich hatte auch meinen aus Polen hergeholt!
Regniet: Das war die Urlaubsvertretung und ich war total glücklich. Der hatte auch Musikwissenschaft studiert und war so nett. Ich hatte keinen Gesang, aber meine ehemalige Geigenlehrerin hat gespielt – und abends auf der Feier musste ich dann selbst singen.
Hoffen wir, dass es noch lange bis dahin dauert, aber wer sollte an Ihrem Grab sprechen und welches Lied sollte gesungen werden?
Stoll: Ich möchte sicherlich etwas Kirchliches. Aber ich weiß nicht, was ich dann mögen werde – vielleicht muss ich einfach meine Familie auf dem Laufenden halten, was mir gerade so am meisten gefällt. Und wer reden soll, keine Ahnung.
Regniet: Wer weiß, wann man stirbt und wer dann noch lebt? Wenn ich jetzt sterben würde, würde ich sagen, du, Magdalena. Halt einfach jemand, den man nett findet und der Herzblut reinsteckt. Und als Lied würde ich auf jeden Fall „Amoi seg‘ ma uns wieder“ wählen. Ich singe das so gern auf Trauerfeiern.
Stoll: „Von guten Mächten“, wenn es jetzt sein soll.
Regniet: Ja, das ist auch toll. Ich würde wahrscheinlich fünf Lieder haben wollen und das würde auch dazugehören. Darin liegen so viel Hoffnung, Liebe und Güte. Aber ich hoffe, dass es noch ganz lange dauert.
Stoll: Genau, das hoffe ich auch, dass ich mir das noch zigmal überlegen kann.