Stefanie Thum hätte ihr Kind gerne in Überlingen zur Welt gebracht. Ihren ersten Sohn konnte sie noch dort entbinden. Weil sie damals gute Erfahrungen im Helios Spital gemacht hatte, wollte sie auch ihr zweites Kind dort bekommen. Ihr Entbindungstermin lag in der letzten Augustwoche, doch zum 1. August wurde die Geburtsstation auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die 43-Jährige erzählt im Gespräch: „Ich hatte die Hoffnung, dort entbinden zu dürfen.“
Obwohl die Station nach Thums Schilderung Anfang Juli bereits kurzfristig geschlossen war, seien weiter Kreißsaal-Führungen angeboten worden. Also habe Thum gefragt, ob sie sich für die Geburt anmelden könne. Das sei ihr bestätigt worden. Hebammengespräche fanden statt, ebenso Ultraschalluntersuchungen. Erst nach der Anmeldung folgte der Hinweis auf der Webseite, der Kreißsaal sei vorerst geschlossen. Die Vorsorge hat die Überlinger Klinik erbracht, geboren wurde das Kind aber woanders.
Schließung nicht zu verhindern
Weshalb die Station bis auf Weiteres geschlossen wurde, beantwortet die Klinik auf Nachfrage: „Aufgrund unbesetzter Facharztpositionen im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe am Helios Spital Überlingen mussten wir den Fachbereich seit dem 1. August bis auf Weiteres von der Versorgung abmelden.“ Die Entscheidung sei aus medizinischer Sicht unumgänglich gewesen. „Eine Patientenversorgung für Mutter und Kind kann nur dann aufrechterhalten werden, wenn wir diese in der gebotenen medizinischen Qualität gewährleisten können.“ Nachfragen, welche Konsequenzen die vorübergehende Schließung für Personal und Klinik hat, blieben unbeantwortet.
Frauen schildern Verunsicherung
Schon während der Geburtsvorbereitung, im Gespräch mit Hebammen und anderen Frauen habe sich laut Stefanie Thum abgezeichnet, dass die Station für Geburtshilfe auf wackeligem Fundament steht. Das Resultat: Verunsicherung. Auch sei in den Monaten zuvor die Geburtsstation zeitweise immer wieder geschlossen gewesen. „Bewusst wird die Verunsicherung der Frauen in Kauf genommen“, sagt Hebamme Marie-Luise Stotz aus Nußdorf. „Frauen suchen sich einen Ankerpunkt. Wenn der nicht sicher ist, suchen sie einen anderen Hafen.“ Die Konsequenz seien daher letztlich weniger Geburten in Überlingen.

Nach eigenen Angaben betreute Stotz zwischen 60 und 80 Frauen, die ihre Kinder im Helios Spital zur Welt brachten. Die haben ihr gegenüber immer wieder ihre Sorge geschildert, dass das Haus schließt, sagt Stotz. Wie bei Stefanie Thum hätten bei den Schwangeren dort Vorsorgeuntersuchungen stattgefunden, die Entbindung konnte jedoch nicht im Helios Spital erfolgen. Zwischen Mitte 2024 und Mitte 2025 sei das monatlich vorgekommen. So erlebte es auch Stefanie Thum, weshalb sie sich schon früher mit dem Gedanken angefreundet habe, ihr Kind vermutlich nicht in Überlingen zur Welt bringen zu können. „Die Garantie, in einer bestimmten Klinik entbinden zu dürfen, hat man ohnehin nirgendwo“, sagt die zweifache Mutter.
Lange Wege für werdende Mütter
Dass die Geburtsstation nun geschlossen ist, bringt Schwangere nach Ansicht von Stotz in Schwierigkeiten. Frauen aus der Region Überlingen müssen längere Wege zurücklegen. Lange Wege, die Stress bedeuten. Und Stress sei der größte Einflussfaktor für Komplikationen bei der Geburt. Diese erzeugten letztlich wieder höhere Kosten fürs Gesundheitssystem. „Man spart am falschen Ende“, sagt Stotz.
Eine Zahl, die dabei immer wieder eine Rolle spielt, sind 500 Geburten im Jahr. Laut eines Gutachtens zur Krankenhauslandschaft in Baden-Württemberg von Anfang 2025 ist das die medizinisch-organisatorische Untergrenze, „bei deren Unterschreitung Versorgungsqualitäten und Wirtschaftlichkeit gefährdet sind“, heißt es darin. Nach Klinikangaben sank die Zahl über die vergangenen Jahre deutlich. 2022 seien es noch 510 Geburten, 2023 rund 400 und 2024 nur noch knapp 300 gewesen.
Hätte etwas getan werden können?
Die Kinder und Enkel des Überlinger Gemeinderat Robert Dreher sind dort noch zur Welt gekommen. Er sagt: „Wenn Helios es geschafft hätte, mit einem guten Team eine stabile Station aufzubauen, hätte man die 500 Geburten im Jahr locker geschafft, da bin ich mir sicher. Doch wenn die Station immer wieder wochenlang abgemeldet wird, klappt das natürlich nicht.“
Beispielsweise eine Hebammensprechstunde hätte nach Ansicht von Marie-Luise Stotz dazu beitragen können, Frauen schon früh ans Krankenhaus in Überlingen heranzuführen, sodass 500 Geburten möglich gewesen wären, sagt sie. „Es hätte dafür gesorgt, Unsicherheiten zu lösen und den Frauen ermöglicht, zum Haus Vertrauen aufzubauen.“
Eine Familie aus Überlingen und Friedrichshafen
Stefanie Thum bekam ihr Kind Ende August im Klinikum Friedrichshafen. Es war nicht die Geburt, die sie sich erhofft hatte. Statt auf natürlichem Wege wurde die Geburt medikamentös eingeleitet. Dennoch sagt sie: „Auch wenn es für mich nicht schön war, hatte ich dort gute Erfahrungen.“ Alles habe gut funktioniert. Sie selbst ist in Friedrichshafen zur Welt gekommen, ihr Mann in Überlingen. Nun, wo je ein Kind in Friedrichshafen und eines in Überlingen geboren wurde, steht für sie am Ende der Odyssee eine runde Geschichte.