Wie man ein Stadtoberhaupt aus dem Amt kegelt, weiß Jan Zeitler. Als er vor acht Jahren bei den OB-Wahlen in Überlingen seinen Hut in den Ring warf, sondierte er die Lage und stellte fest, dass die Chancen für ihn, einen Verwaltungswissenschaftler, gut stünden. Die Überlinger haderten seinerzeit mit ihrer Oberbürgermeisterin Sabine Becker, einer Rechtsanwältin. Zeitler kam, präsentierte sich in seiner kühl analytischen Art als der personifizierte Gegenentwurf zu Becker – und siegte. Im zweiten Wahlgang erhielt er 50,1 Prozent der Stimmen, Becker nur zwölf.

Nun ist Zeitler der Herausgeforderte, wenn die Überlinger am kommenden Sonntag, 10. November, zur OB-Wahl aufgerufen sind. Fünf Männer, keine Frau, stellen sich ihm als Konkurrenten in den Weg. Darunter Martin Hahn, Landtagsabgeordneter der Grünen, Ehemann von Sabine Becker. Ein Überlinger, der hemdsärmelig auftritt. Einer, der für Überlingen „brennt“, wie es auf einem Wahlplakat heißt. Ein ganz anderer Typ als Zeitler.
Vom Kuhstall in den Landtag ins Rathaus?
Martin Hahn, Jahrgang 1963, trat nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl den Grünen bei. Bevor er 2011 in den Landtag gewählt wurde, bewirtschaftete er den elterlichen Helchenhof in Überlingen-Bonndorf, der unter seiner Ägide auf Ökolandbau (Demeter) umgestellt wurde. Er saß als Stimmenkönig im Gemeinderat. Der vierfache Vater kennt Hinz und Kunz. Er kommt nicht aus der Verwaltung, verweist aber auf seine vielen Begegnungen mit Verwaltungen, die er als Abgeordneter habe.
Auffallend an Hahns Wahlkampf ist seine Betonung von Nähe. Nähe zu den Menschen. Zu nahe sei er manchen Leuten, wie Kritiker empfinden. Viele Überlinger kennt er persönlich und ist, so steht es auch in seinem Wahlprospekt, mit vielen „politisch Handelnden“ befreundet. Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Sport, Handwerk und Kultur lassen sich mit Hahn für Wahlwerbefotos ablichten, dazu Schlagworte wie „mehr Miteinander“ und „zuhören“. „Pragmatisch“ wolle er sein, „ein Ermöglicher“. Das ist kein Zufall, sondern es sind die Eigenschaften, die Zeitler angeblich nicht ausreichend pflegt, wie dessen Kritiker sagen.
Zeitler, Jahrgang 1970, SPD-Mitglied, wirbt mit den Schlagworten „zuverlässig“ und „zielorientiert“. Er charakterisiert sich damit zutreffend als ein Typus von Stadtoberhaupt, der auf der Prozessebene sicher unterwegs ist. Ein Verwalter eben. Die fachliche Eignung und Kompetenz sprechen ihm seine Kritiker nicht ab, einigen ist er aber zu hölzern. Zeitler ist jemand, der sich, am Schreibtisch sitzend, in die Akten fuchst. Er ist keiner, der das Bad in der Menge herbeisehnt. Wenn er dafür kritisiert wird, dass er nicht immer greifbar sei, verweist er auf die Vielfalt seines Amtes und seiner Aufgaben. Er verweist auf den Gemeinderat als das Hauptorgan im Rathaus, der das Sagen habe. Auf übergeördnete Behörden, die eigene Entscheidungen entschränkten. Und er verweist gerne mal auf die Endlichkeit der Ressourcen, beziehungsweise darauf, dass auch der Tag eines Rathaus-Chefs nur 24 Stunden dauere. Er könne eben nicht alles möglich machen.
Die Schönheit der Stadt ist ein Problem
Großprojekte in den acht Zeitlerjahren waren der Bau eines Sportzentrums und die Umsetzung der Landesgartenschau, zwei Projekte, die von seiner Vorgängerin schon aufgegleist wurden. Nach Jahrzehnten der Diskussion und gegen Widerstände wurde eine Verkehrsberuhigung in der Altstadt erreicht, verbunden mit einer höheren Aufenthaltsqualität für Fußgänger und Fahrradfahrer. Überlingens Erscheinungsbild hat sich dank neuer Parkanlagen und verkehrsberuhigter Straßen verbessert.
Doch die Schönheit der Stadt am Bodensee ist zugleich ihr Problem: Der Wohnungsdruck wächst, die Mieten steigen, genauso der Widerstand gegen neue Baugebiete. Bürgerinitiativen, die für den Erhalt von Grünflächen kämpfen, fühlen sich vom OB nicht gebührend wahrgenommen.
Auch Kulturschaffende fühlen sich zu kurz gekommen. Die von vielen erträumte Sanierung einer aufgelassenen Klosterkirche (Kapuziner) als Kulturraum scheiterte an den Kosten. Kein Wunder: Es handelt sich um eine Freiwilligkeitsleistung. Wobei Zeitler eben regelmäßig auf den feinen Unterschied zwischen Pflicht und Freiwilligkeit verweist. Sein Problem dabei: Er wird als jemand wahrgenommen, der sagt, was nicht geht. Sein zweites Problem: Er ist der einzige von sechs Kandidaten, dem das nun Stimmen kosten könnte.
Vom Friseurmeister zum Oberbürgermeister?
Ein weiterer Mitbewerber ist Dennis Michels, Jahrgang 1978. Er machte sich als Promi-Friseur, unter anderem von Julia Roberts, einen Namen. Der Friseurmeister führt an der Uferpromenade einen Salon. Er kann mit Verwaltungserfahrung nicht punkten. Er sagt aber, dass er dank seiner Arbeit, die teils der eines Psychologen gleiche, den Köpfen und den Gedanken seiner Kunden näher als andere sei. In dieser Rolle habe er erfahren, dass Unzufriedenheit mit Zeitler herrsche. Und so präsentiert er sich als jemand, der gut zuhören könne, und der spüre, wo den Überlingern der Schuh drückt.
Jüngster Kandidat ist Felix Strenger, Diplom-Ingenieur bei Bosch, Jahrgang 1980. Auch er spricht die Wähler eher auf der Gefühlsebene an. Ein Wahlprogramm habe er nicht im Gepäck, es sei auch nicht nötig, wie Strenger sagt, weil die bekannten und von seinen Mitbewerbern geäußerten Versprechen von „bezahlbarem Wohnraum“ und „familienfreundliche Stadt“ selbstverständlich seien. Er wolle mit Werten wie „Menschlichkeit, Authentizität, Ehrlichkeit“ punkten.
Thomas Hildebrandt und Olaf Wübbe komplettieren den Kandidatenreigen. Hildebrandt, aufgewachsen in Überlingen, Jahrgang 1971, ist Raumausstattermeister. Olaf Wübbe (Jahrgang 1967) arbeitet als Rechtsanwalt in Immendingen, er plant, seine Kanzlei nach Überlingen zu verlegen.
Eines ihrer Schwerpunktthemen ist der örtliche Handel, beziehungsweise Ideen zur Belebung der Innenstadt. Während Zeitler die Verkehrsberuhigung als Errungenschaft feiert, sehen sie in der jetzigen Form ein Übel, das zurückgedreht werden müsse.