Je mehr Nachwuchs es bei den Waldrappen über die Jahre gibt, desto schwieriger wird es, neue Namen für die Küken zu finden. Anne-Gabriela Schmalstieg, ehemalige Ziehmutter und Betreuerin der Überlinger Waldrapp-Kolonie, muss inzwischen im Computer nachprüfen, ob die Vorschläge nicht schon vergeben sind. Eine Nummer und eine Marke hatten alle Jungtiere in Überlingen bereits im Juli bekommen. Mit der Namensvergabe wollte das Projektteam warten, bis das Geschlecht der Vögel bestimmt war. Dies geschieht über die DNA aus einer kleinen Feder. Bisweilen hatten weibliche Tiere anfangs männliche Namen bekommen und umgekehrt.
Wichtel, Herberto und Mutabor wachsen heran
Für die neue Generation Waldrapp-Küken hatten auch SÜDKURIER-Leser Namensvorschläge eingesandt. Drei davon hat Anne-Gabriela Schmalstieg ausgelost und zugeteilt: Wichtel hatte Heidi Bucher vorgeschlagen und so heißt jetzt der Sohn von Mowgli und Giorgia. Einen Herberto wünschte sich Meike Engstler, diesen Namen bekommt der Nachwuchs von Bernardo und Sky. Und Mutabor, der Sohn von Obelix und Vincino, verdankt Angelika Thiel seinen Namen. Noch nicht getauft sind die beiden Jungtiere von Urmel und Eduardo. Bei ihnen darf die Bergwacht Pate stehen, die der Familie am 28. Juni beim Umzug von der künstlichen Brutwand in die Felswand am Seeufer geholfen hatte.
Alle Jungvögel sind mit ihren Eltern in der Region unterwegs
Inzwischen haben alle Jungvögel ihre Nester verlassen und sind mit den Eltern auf Wanderschaft. Am häufigsten anzutreffen sind die Waldrapp-Familien im Naturschutzgebiet Schwarzer Graben bei Salem-Weildorf, wo die Tiere auch häufig nächtigen. Die Jungen waren dort anfangs von den Eltern noch gefüttert worden, lernen inzwischen jedoch, selbstständig im feuchten Untergrund nach Futter zu stochern.

Auch die Küken in der Felswand sind wohlbehalten groß geworden
„Insgesamt waren 17 Junge in der Brutwand geschlüpft“, zieht Anne-Gabriela Schmalstieg eine erste Zwischenbilanz. Vier Küken seien allerdings zu Tode gekommen. „Das ist eben die Natur“, sagt Schmalstieg: „Doch 13 Tiere sind flügge geworden und darüber freuen wir uns.“ Besonders froh ist das Team, dass es auch der Nachwuchs von Urmel und Eduardo aus der Nische in der Felswand bei Goldbach, rund 25 Meter über der Erde liegend, wohlbehalten geschafft hat.
Wer die Jungtiere mit der App Animal-Tracker aufspüren will, muss sich im Moment noch an deren Eltern halten. Denn der Nachwuchs hat bewusst noch keinen Sender bekommen. Dies soll erst später bei einer günstigen Gelegenheit nachgeholt werden. „Doch im Moment sind die Jungen ja meist mit den besenderten Eltern zusammen“, sagt Anne-Gabriela Schmalstieg.

Speck anfuttern für den Flug in den Süden
Jetzt heißt es erst mal kräftig futtern, wachsen und an Gewicht zulegen, um in einigen Monaten fit für den Flug in das Winterquartier zu sein. Im Vorjahr brauchten die Tiere dazu am Ende noch einen kleinen Unterstützungsimpuls. „Da dieses Mal schon erfahrene Waldrappe dabei sind, die bereits selbstständig geflogen sind, hoffen wir, dass es in diesem Herbst noch besser klappt“, sagt die Betreuerin.

Waldrappe sterben in Österreich an Stromschlägen
Unter großem Aufwand werden sie von Hand aufgezogen und betreut, doch später sterben sie an ungesicherten Strommasten. Rund 45 Prozent der Todesfälle bei den europäischen Waldrappen gehen darauf zurück, wie der österreichische Biologe und Projektleiter Johannes Fritz in einer Pressemitteilung deutlich macht. So kamen im Land Salzburg und Kärnten vor kurzem fünf Jungvögel ums Leben. Insgesamt 40 Tiere sind in den vier Brutkolonien, zu denen auch Überlingen zählt, flügge geworden.
Deutschland gilt bei der Sicherung der Strommasten als Vorbild, wie Fritz betont. Ornithologen hatten hier bereits in den 1980er und 1990er Jahren Alarm geschlagen, als viele Störche, aber auch manche Greifvögel Opfer von Stromschlägen wurden. Derlei Schutzmaßnahmen fordern Artenschützer auch in Österreich.
Während Hochspannungsmasten laut Presseinformation sichere Ruheplätze für die Vögel sind, können die kleineren und viel häufigeren Mittelspannungsmasten konstruktionsbedingt zu Todesfallen werden. Zu Stromschlägen komme es, wenn die Vögel entweder mit ihren Flügeln oder Schnäbeln gleichzeitig zwei Leitungen berühren oder eine Verbindung zwischen einem Leiter und dem geerdeten Mast herstellen.
Es gebe inzwischen sogar zahlreiche dokumentierte Fälle von brennenden Stromschlagopfern. Wenn diese auf trockenen Boden fallen, könnten sie Brände verursachen. Die zunehmende Trockenheit infolge des Klimawandels erhöhe dieses Risiko erheblich. Die tödliche Gefahr für Großvögel durch ungesicherte Masten lasse sich durch technische Maßnahmen, wie Abdeckhauben oder Isolierung der Leitungen, gut vermeiden.