„Ausmosten“ hört sich hässlicher an als „Innenentwicklung“. In Überlingen steht dieses Wort für folgenden Prozess: Einfamilienhäuser mit großem grünem Garten weichen grauen Wohnblocks. Was auf Landesebene einen erwünschten Effekt darstellt und der Versiegelung von Naturflächen am Stadtrand vorbeugt, stößt in gewachsenen Wohnvierteln auf Widerstand.
Jüngstes Beispiel ist die Seehaldenstraße, eine enge Sackgasse, in der aktuell zwei Wohnprojekte entstehen. Auf der Baustelle sind die Räume jetzt schon eng, wie Aufnahmen aus der Baugrube zeigen.
Früher standen in der Seehaldenstraße Ein- und Zweifamilienhäuser, künftig Blocks mit neun und zehn Wohneinheiten. Der Preis liegt zwischen 10.000 und 16.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Macht bei einer Zwei-Zimmer-Wohnung im Penthouse 1,3 Millionen Euro.

Stadt will Spekulantentum vorbeugen
Vom grünen Grundstück zum fertigen Wohnprojekt sind somit große Preissprünge möglich, die jedes Bauträgerherz höher schlagen – und die Nachbarschaft erschrecken lässt. Dabei sagte Überlingens Baubürgermeister Thomas Kölschbach im Sommer in einem SÜDKURIER-Bericht noch, dass er das Thema „Spekulation mit Grundstücksflächen in teuren Lagen abgeräumt“ habe.
Was Kölschbach meinte? Die Möglichkeit, bei größeren Bauprojekten (ab 400 Quadratmetern Wohnfläche je Gebäude oder ab vier Wohnungen) dem Bauherrn vorzuschreiben, dass jede dritte Wohnung sozialpreisgebunden an den Markt gehen muss. Auf Nachfrage teilte er mit Bezug auf die Wohnblocks in der Seehaldenstraße nun mit, dass der seit 2015 geltende Bebauungsplan diesen Passus nicht beinhalte und im Nachhinein vom Bauherrn nicht verlangt werden könne.
Stellungnahme der Nachbarn im Rat
Dieser Plan stößt seit Bestehen auf Kritik und war Gegenstand mehrerer Gerichtsverhandlungen. Wilfried Gruber wohnt in der Seehaldenstraße. Er initiierte eine Petition, der sich 69 Personen angeschlossen haben, nahezu die komplette Straße. Sie erhalten die Möglichkeit, ihre Kritik im Gemeinderat am 28. September vorzutragen.

Am bestehenden Bebauungsplan stört sie die Möglichkeit, dass Baugrundstücke geteilt werden können. Dadurch werde eine Verdoppelung der Größe des Bauprojekts möglich. Sichtbar wird, so Wilfried Gruber, „ein fiktives Doppelhaus“, das sich aber mitnichten in die bestehende Bebauung einfüge.
Petition will weiteren Bausünden Vorschub leisten
Den Petenten ist bewusst, dass sie die jetzt anrollenden Bagger nicht mehr aufhalten. Ihnen gehe es aber um die Präzedenzwirkung und das Ziel, den Bebauungsplan so abzuändern, dass Anträge mit einer derart großen Zahl an Wohneinheiten pro Grundstück künftig abgelehnt werden können.
„Die Innenverdichtung ist ganz klar so gewollt“, sagte Baubürgermeister Thomas Kölschbach. „Man kann sich darüber unterhalten, ob so ein Gebäude dort verträglich ist.“ Man könne auch prüfen, ob das Erfordernis zur Überarbeitung des Bebauungsplans besteht. „Das darf aber nicht dazu führen, dass eine Innenentwicklung gebremst wird. Nur den Bestand zu sichern, ist nicht das Ziel der Bauleitplanung.“

Kritiker sprechen von „dekadenter Bautätigkeit“
Es gibt zwei weitere Beispiele. Erstens: In der Straße „Im Holzwinkel“ liegt bei der Stadt ein Antrag für drei Wohnblöcke mit insgesamt 17 Wohneinheiten und 35 Tiefgaragenstellplätzen. Zum Vergleich: Bislang gibt es hier acht Anlieger und eine noch engere Straße. Zweitens, bereits genehmigt: Der Bau von vier Wohnblöcken in der Alten Owinger Straße mit 21 Wohneinheiten und 26 Stellplätzen. Eine 199 Quadratmeter große Wohnung ist hier für 2,37 Millionen Euro erhältlich.
„Nichts von diesen Vorhaben ist sozial verträglich, sondern ausschließlich für eine finanzstarke Klientel gedacht“, kritisiert die Überlinger „Bürgerallianz“, ein Zusammenschluss mehrerer Bürgerinitiativen. Die Aussage Kölschbachs, man habe das Thema Spekulantentum abgeräumt, sei „eine Irreführung“. In einem Positionspapier der Bürgerallianz heißt es: „Unsere Stadt erstickt geradezu unter einer abnormen und dekadenten Bautätigkeit.“ Es gebe nur eine Zunahme an Wohnungen, aber nicht an Einwohnern. Es entstünden Ferienwohnungen, Zweit- und Drittwohnungssitze, aber nichts für Geringverdiener.