Zwischen bunten Tassen und Tellern, Faltpavillons und einer sich in Schritttempo fortbewegenden Menschenmenge stehen ungefähr 20 Ton-Skulpturen auf Edelrostquadern. Bodenseepanorama, in Feinarbeit getöpferte menschliche Skulpturen, Verschwörungstheorien – das passt doch gar nicht zusammen? Auf dem Überlinger Töpfermarkt, der dieses Jahr am Wochenende vom 25. bis zum 27. August an der Seepromenade stattfand, ließ sich bei genauem Hinsehen genau das entdecken.
Es handelte sich um Skulpturen, die von einem Künstlerpaar, das sich selbst „Madian-Art“ nennt, stammen. Madian-Art, das sind die Objekt-Designerin Diane Tafel und der Designer sowie Bildhauer Martin Sprave aus Herdecke in Nordrhein-Westfahlen. Für alle Besucher ist das sichtbar.
„Mehr Diktatur wagen“
Neben harmlosen, nackten menschlichen Büsten und getöpferten Reliefs werden wachsame Passanten stutzig: Eine männliche Büste mit herausgestreckter Zunge und einer hölzernen Augenbinde. Auf dem Sockel steht „Mehr Diktatur wagen“, ganz nach dem berühmten Brandt-Zitat „Mehr Demokratie wagen“, aus dem Jahr 1969. Auf dem Holzstück sind Karl Marx, Friedrich Engels, Iljitsch Lenin, Josef Stalin und Mao Zedong abgebildet – im Hintergrund die deutsche Flagge und das Grünen-Logo.
Versteckte Botschaften
Eine der Skulpturen am Seeufer zeigt die Fratze des Teufels, die sich hinter einer freundlichen Glattmaske versteckt hatte, die der Dämon jetzt sardonisch grinsend aufdeckt. „Die Hölle ist leer und alle Teufel sind hier“, steht die Tafel auf dem Sockel. Wer diese Höllenmonster sind, das erklären die Künstler mit einem kleinen, runden Ohrring, den nur Eingeweihte zuordnen können. Er zeigt den Farbkreis der Agenda 2030, der unter Verschwörungstheoretikern als Symbol des „Great Reset“ gilt. Im Farbkreis befindet sich dann noch ein Totenschädel. Für den deutschen Verfassungsschutz ist der „Great Reset“ eine „Corona-bezogene Verschwörungstheorie mit antisemitischen Versatzstücken“, wie im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2021 zu lesen ist.
Das sagen die Künstler
Die Künstler geben sich auf Nachfrage des SÜDKURIER unbedarft. Nein, sie seien weder Mitglied in einer Partei, noch verfolgten sie eine politische Agenda, teilen Martin Sprave und Diane Tafel auf Anfrage mit.

Lügenpresse darf auch nicht fehlen
Eine weitere Skulptur, die Diane Tafel und Martin Sprave auf dem Überlinger Töpfermarkt ausstellten, besteht aus einer Frau und einem Mann, auf einem Sockel stehend, welcher mit Zeitungen übersät ist. Die beiden Menschen halten Mikrofone in der Hand, links steht darauf ARD, rechts ZDF. Rock und Hose der dargestellten Personen bestehen aus Geldscheinen. Die Frau auf der rechten Seite hat, ganz nach Pinocchio, eine lange Nase. Der Mann links hat ein Brett vorm Kopf, das ihm die Sicht verdeckt. Auf diesem Holzstück kann man das DDR-Symbol im Kreis der Sonnenblume des Logos der Grünen erkennen. Auch hier wird eine Botschaft auf dem Sockel mitgeteilt: „Arme kleine Wahrheit – Ich frage mich, welcher Lüge ich glauben soll.“ Diese Skulptur zeigt das Narrativ des Begriffs „Lügenpresse“, welcher in Deutschland vorrangig von rechtsextremen und rechtspopulistischen sowie völkischen Kreisen verwendet wird.

Verfassungsschutz bestätigt Verschwörungsnarrative
„Wir werden immer wieder gefragt, was wir mit unseren Skulpturen ausdrücken wollen. Wir erklären, dass unsere Skulpturen die menschlichen Befindlichkeiten und gesellschaftlichen Verhältnisse der heutigen Zeit aus unserer Sicht reflektieren“, teilt Martin Sprave schriftlich mit. Die Skulpturen und ihre politische Symbolik beinhalten also schon die persönliche Meinung des Künstlerpaars. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz bedienen die Skulpturen Verschwörungsnarrative. Auch andere Experten bestätigen diese Aussage.
Das sagt die Stadt Überlingen
Auf Rückfrage bei der Stadt, teilt die Pressestelle mit, die Veranstalterin Ines Verschl habe seitens der Stadt Überlingen, Abteilung Sicherheit und Ordnung, eine Sondernutzungserlaubnis für den Töpfermarkt erhalten. Die Vergabe der Standplätze erfolge durch die Veranstalterin. Die Stadtverwaltung erhalte eine Auflistung der Künstler, jedoch würden diese nicht weiter überprüft. Der Veranstaltungsort würde auf korrekte Aufbauweise, korrekte Standorte sowie Rettungswege hin kontrolliert, nicht aber auf das Angebot der Aussteller. Das sei der Stadt auch nicht bekannt.
Zudem beruft sich die Pressestelle auf die Kunstfreiheit, die lediglich verfassungsimmanenten Schranken unterläge. „Ob die ausgestellte Kunst dem persönlichen Geschmack der jeweiligen Betrachter entspricht, ist hierbei unerheblich“, schreibt die Stadt Überlingen.
Veranstalterin will reagieren
Ines Verschl hingegen zeigt sich besorgt. Sie habe sich dieses Jahr die Skulpturen von Diane Tafel und Martin Sprave nicht angesehen, sondern sei nur zweimal daran vorbeigeeilt. Auch sie stimmt zu, dass Verschwörungsmythen zu erkennen sind. „Kunst darf provokativ sein und muss auch nicht jedem gefallen“, erklärt Ines Verschl. Gerade deswegen sei es schade, dass die Künstler durch die Beschriftung der Skulpturen ihre Kunst so herabwürdigen würden, so Verschl. Die beiden seien eigentlich wirklich hervorragende Künstler und Ines Verschl werde versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.