Sie warteten nur noch auf „Tag X“. Dann sollte die Bundesregierung mit Waffengewalt gestürzt und ein neuer Staat aufgebaut werden. Nach Überzeugung des Generalbundesanwalts hat eine Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß einen Staatsstreich geplant, bei dem auch die Tötung von Regierungsmitgliedern billigend in Kauf genommen worden wäre. Die Gruppe ist den sogenannten Reichsbürgern zuzuordnen. Sie bestreiten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimen und souveränen Staat und widersetzen sich Gesetzen und Behörden.

Der Todestag der Queen galt als mögliches Startsignal. Am 7. Dezember wurde dem Spuk der mutmaßlichen Terrorgruppe mit einer bundesweiten Razzia ein Ende bereitet.

Brisantes Treffen mit dem Militärchef der Clique

Am 4. Oktober 2022 trafen sich in einem Restaurant zwei Menschen, die nach Erkenntnissen der Ermittler dem militärischen Zweig der Vereinigung zuzurechnen sind. Das Gespräch wurde von Ermittlern observiert. In den Akten werden die Teilnehmer als P. und F. bezeichnet. Wenn man die so abgekürzten Namen mit der Liste der bisher festgenommenen Personen abgleicht, handelte es sich bei den Teilnehmern einerseits um Rüdiger von Pescatore, einem ehemaligen Oberstleutnant der Bundeswehr, als Militär-Chef in der Reuß-Clique geführt. Und andererseits um die Basis-Politikerin Johanna Findeisen aus Frickingen oder um den Ex-Polizisten Michael F.. Zeuge dieses Restaurant-Gesprächs war ein Mann aus Überlingen. Wegen seiner persönlichen Nähe zu Findeisen liegt es auf der Hand, dass es sich wohl eher um Findeisen handelte, die an dem Gespräch teilnahm, als um Michael F..

Thema soll der Aufbau eines neuen Staates gewesen sein

Das Gespräch fand in einem Ort statt, der in den Akten mit Ro. abgekürzt wird, denkbar wäre beispielsweise Rottweil oder Rottenburg. Laut Observationsergebnis wurde bei dem Gespräch der Aufbau einer Heimatschutzkompanie besprochen, zudem sei es um das geplante Vorgehen am „Tag X“ gegangen, sowie um die geplanten neuen Staatsstrukturen.

Die Gemeinde Frickingen im Bodenseekreis zählt rund 2800 Einwohner. Da spricht sich so eine groß angelegte Polizeiaktion wie gegen ...
Die Gemeinde Frickingen im Bodenseekreis zählt rund 2800 Einwohner. Da spricht sich so eine groß angelegte Polizeiaktion wie gegen Johanna Findeisen schnell herum. | Bild: Hilser, Stefan

Bei der bundesweiten Razzia am 7. Dezember wurde das Anwesen Findeisens in Frickingen durchsucht. Nach Sichtung des sichergestellten Beweismaterials wurde Findeisen im Mai verhaftet. Sie sitzt bis jetzt in Untersuchungshaft, bestätigte eine Sprecherin der Generalbundesanwaltschaft am Montag, 17. Juli. Findeisen wird vorgeworfen, an einem Treffen mit dem sogenannten Rat, einer Möchtegern-Regierung unter der Führung von Prinz Reuß, teilgenommen zu haben. Mehrfach habe sie sich mit der Führungsriege getroffen.

So wird Findeisen von ihrem Umfeld betrachtet

In ihrem Wohnort Frickingen gilt Johanna Findeisen als friedliebende Bürgerin, die sich um die Integration benachteiligter Menschen kümmerte. Sie umgibt sich mit Leuten, die eher Opfer rassistischer Übergriffe werden, als dass sie sich mit Leuten einlasse, die rassistisch durchdrungen sind – so zumindest lauten die Äußerungen aus ihrem persönlichen Umfeld. Ihre Bekannten lassen nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie die Vorwürfe gegen Findeisen für einen großen Irrtum halten.

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Findeisen wurde in der Corona-Pandemie politisiert. Ein Mann aus ihrem großen Bekanntenkreis, wie Findeisen Mitglied bei Die Basis, sagt dem SÜDKURIER, dass sich Prinz Reuß mit Findeisen in Frickingen getroffen habe. Grund, so seine Erkenntnis, sei aber mitnichten ein Staatsstreich gewesen. Vielmehr habe Reuß für seine Tochter – sie habe Trisomie 21 – jemanden gesucht, bei der er sie in Obhut geben könne. Sofern Prinz Reuß tatsächlich einen Umsturz plante, so die Spekulation unseres Gesprächspartners, habe er womöglich Vorsorge treffen wollen für den „Tag X“, ab dem er sich nicht mehr persönlich um seine Tochter kümmern könne. Auf Findeisen sei er über deren Internetseite gestoßen, in der sie als Coach, Integrations- und Kriseninterventionshelferin wirbt.

Reuß-Gruppe erwartete Angriff einer ominösen „Allianz“

Die Beschuldigten in der Gruppe um Rädelsführer Reuß gehören nach Erkenntnissen, die die Bundesanwaltschaft bisher gewonnen hat, der Reichsbürger- und QAnon-Bewegung an. Sie halten die Bundesrepublik für einen illegitimen Staat. QAnon ist eine krude Bewegung, die auf Verschwörungstheorien gründet. Den ersten Angriff auf die staatliche Führung der Bundesrepublik planten sie demnach nicht selbst, sondern rechneten damit, dass er von einer sogenannte „Allianz“ ausgeführt werde. Die „Allianz“ werde von einem Geheimbund gebildet, bestehend aus Angehörigen ausländischer Regierungen, Militärs und Geheimdiensten.

Johanna Findeisen wird vom Generalbundesanwalt verdächtigt, spätestens im November 2022 Kontakt zu einem Generalkonsul der Russischen Föderation aufgenommen und ihn in der Folge zwei Mal getroffen zu haben. Die Gespräche sollten dazu dienen, Unterstützung für das Handeln der Vereinigung zu erhalten.

Streit innerhalb der Gruppe um Signal

Wie sich den Untersuchungsakten entnehmen lässt, herrschte innerhalb der Reuß-Gruppe Streit darüber, welches äußere Geschehen der „Allianz“ zuzurechnen und als Startsignal zur Umsetzung ihrer Umsturzpläne zu werten ist. In Betracht zog die Gruppe einen Börsencrash. Den Tod der Queen. Einen großflächigen Stromausfall. Eine Naturkatastrophe. Oder einen „elektromagnetischen Impuls durch Wladimir Putin“, der durch die Zündung einer Atombombe zustande kommen könnte.

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Nach einem Angriff durch die „Allianz“, mit dem die Reuß-Gruppe jederzeit rechnete, war es laut Ermittlern ihr Plan, die noch verbleibenden Institutionen und Repräsentanten des Staates zu bekämpfen und die Macht durch ein deutschlandweites Netz von Heimatschutzkompanien abzusichern. Die Aktion sollte wohl unter dem Befehl von Rüdiger von Pescatore stehen, Chef des „militärischen Arms“, also jenem Mann, mit dem sich Findeisen mutmaßlich im Ort Ro. getroffen hat.

Handlungsdruck mit Blick auf „Tag X“

Der Führungszirkel der Organisation plante die Erstürmung des Bundestags, Regierungsmitglieder und Abgeordnete sollten festgenommen und in Handschellen abgeführt werden. Tote wären in Kauf genommen worden. In den Kriminalämtern der Länder und des Bundes mehrten sich die Anzeichen dafür, „dass der Handlungsdruck innerhalb der Gruppierung immer weiter anstieg“. So steht es in den Gerichtsakten, die unserer Redaktion vorliegen. Vor der Razzia am 7. Dezember habe die konkrete „und sich potenziell jederzeit realisierende Gefahr bestanden, dass die Umsturzpläne vollzogen werden“. Demnach bestand bei den Ermittlern die Angst, dass die Gruppe die Signale falsch deutet und ohne Unterstützung der „Allianz“ den „Tag X“ als gekommen betrachtet.