Die erste große Hoffnungsträgerin einer neuen Waldrapp-Kolonie bei Überlingen ist tot. Das drei Jahre alte Weibchen ‚Sonic‘ hatte am vergangenen Wochenende den Splügen überwunden und war auf dem Weg an den Bodensee, als sie am Sonntag im Naturpark Beverin bei Thusis in Graubünden wohl an einem Stromschlag starb. Dies legen die Umstände des Fundes und die anschließenden Untersuchungen im Tierspital Bern nahe, wie der österreichische Projektleiter Johannes Fritz in einer Pressemitteilung schreibt, der bei Burghausen bei Passau und Kuchl nahe Salzburg schon zwei neue Kolonien erfolgreich etablieren konnte.

Am 19. April wurde ‚Sonic‘ am Fuße eines Strommasten bei Thusis in Graubünden tot aufgefunden.
Am 19. April wurde ‚Sonic‘ am Fuße eines Strommasten bei Thusis in Graubünden tot aufgefunden. | Bild: M. Egle

Schon im August 2019 war ‚Sonic‘ vom Überwinterungsgebiet in der Toskana erstmals in Richtung Bodensee aufgebrochen, wo sie 2017 beim Sportplatz in Hödingen fliegen gelernt hatte. Begleitet von ihren Ziehmüttern waren sie mit den anderen Jungvögeln zur Überwinterung gen Süden aufgebrochen. Im Vorjahr hatte sich die noch nicht ganz erwachsene Waldrapp-Dame erstmals auf den Weg Richtung Bodensee gemacht. Nach einem längeren Aufenthalt in der Schweiz schien sie damals das künftige Brutgebiet schon mal inspizieren zu wollen und kam am 18. August bei einer Stippvisite bis nach Billafingen.

Wurde zu einer Falle für ‚Sonic‘: Ungesicherter Hochrisiko-Strommast im Gemeindegebiet von Lohn im Naturpark Beverin, auf ...
Wurde zu einer Falle für ‚Sonic‘: Ungesicherter Hochrisiko-Strommast im Gemeindegebiet von Lohn im Naturpark Beverin, auf dem Sonic an Stromschlag starb. | Bild: M. Egle.

Am Donnerstag vergangener Woche war ‚Sonic‘ wieder aus dem Winterquartier an der Laguna de Ortobello südlich von Pisa in Richtung Alpen aufgebrochen. Schon am Samstag erreichte sie den Comer See und flog über Chiavenna das Tal aufwärts zum Splügenpass, wie mit dem Aktivitäten-Tracker nachzuverfolgen ist. Das letzte Signal wurde um 14.47 Uhr aufgezeichnet, es sollte das letzte sein. Als einen Tag später keinerlei Bewegung mehr zu beobachten war, schwante externen Beobachtern schon Böses.

Junge Waldrappe beim Übungsflug über Überlingen.
Junge Waldrappe beim Übungsflug über Überlingen. | Bild: A. G. Schmalstieg

Für das Projektteam ist dieser Verlust zwar ein herber Rückschlag. Denn in diesem Sommer sollte die erste Brut am Bodensee erfolgen. Noch müssen Johannes Fritz und seine Mitstreiter die Hoffnung nicht ganz aufgeben. Weitere Artgenossen sind in Wartestellung und schon sechs Waldrappe sind unterwegs, bislang allerdings noch etwas zögerlich, wie es scheint. Das Männchen ‚Zoppo‘ (Jahrgang 2017) verharrte mehrere Tage mit Kollege ‚Urmel‘ am Ticino zwischen Bellinzona und Locarno, war am Mittwoch dann im Alleingang über den Gotthard zum Vierwaldstätter See aufgebrochen und konnte am Freitag zwischen Solothurn und Bern geortet werden. ‚Urmel‘ machte nach einem Ausflug ins Engadin am Freitag eine Stippvisite im Veltlin am Stilfser Joch.

Im Rahmen des Artenschutzprojektes soll der Waldrapp in Europa wieder heimisch werden. Die wildlebende Population umfasst inzwischen rund 140 Tiere, aufgeteilt auf drei Brutgebiete und mit einem gemeinsamen Wintergebiet in der Toskana. In den nächsten Jahren sollen weitere Kolonien gegründet werden. Angedacht ist das auch für die Schweiz, wo der Waldrapp Mitte des 17. Jahrhunderts noch recht häufig vorkam.

Wo steckt der Rest der Hödinger Zucht?

Weitere vier Tiere der Hödinger Zucht hatten sich lange bei Domodossola im italienischen Centovalli aufgehalten: die Weibchen ‚Capitano‘ und ‚Giorgia‘ (beide 2017) sowie die Männchen ‚Sensai‘ und ‚Enea‘ (beide 2018). Zwei sind zurück an die See, die anderen über das Wallis an den Genfer See geflogen.

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Auch in Hödingen sind die engagierten Helfer der letzten Jahre (2017 und 2018) voller Hoffnung auf ein Wiedersehen mit einigen Tieren und verfolgen die Aktivitäten gespannt im ‚Animal Tracker‘. Doch am Freitagabend war noch kein Rückkehrer im Anflug auf den Bodensee.

Fortsetzung in Heiligenberg?

In Heiligenberg sollte in den nächsten Monaten nach 2019 eine zweite Generation handaufgezogen werden. Doch durchkreuzte die Corona-Pandemie nicht nur diese Pläne, auch das geplante Brutmanagement am Ufer des Bodensees für die Hödingen-Rückkehrer muss neu gedacht werden. Die Plattform für eine Voliere war schon vorbereitet, als die Virus-Bremse einsetzte. Üblicherweise kommen die erwachsen gewordenen Tiere nach drei Jahren an ihren Abflugort zurück, um neuen Nachwuchs großzuziehen. Ursprünglich war sogar geplant, einen Teil der diesjährigen Neuaufzucht auf dem Gelände der Landesgartenschau zu demonstrieren. Doch auch das ist inzwischen Schnee von gestern.

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„Ob es in diesem Jahr schon zur ersten Brut kommt ist fraglich“, erklärt Johannes Fritz „da das nötige Brutmanagement für die noch junge Kolonie aufgrund der aktuellen COVID-19 Pandemie stark beeinträchtigt ist.“ In den beiden schon etablierten Brutkolonien Burghausen in Bayern und Kuchl im Land Salzburg sind indessen bereits sieben Paare angekommen und haben zum Teil mit der Brut begonnen.

Der „Animal Tracker“ wird vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell betrieben und wird vom Waldrappteam unterstützt. Die App ist leicht zu laden und ist nahezu selbsterklärend.