Herr Goeschel, Sie sagten in einer Ausschusssitzung des Gemeinderats Überlingen, der Drogenkonsum bei den Jugendlichen habe in den vergangenen zwei Jahren zugenommen. Die Gemeinderäte waren überrascht, dass es kein Problem ist, in Überlingen an alle Arten Drogen zu kommen.
Julia Sonntag: (spontan) Stimmt, das ist ziemlich einfach, gerade auch an den Schulen. Wenn man möchte, bekommt man das überall mit.

Herr Goeschel, können Sie das bestätigen und welche Möglichkeiten haben wir gegenzusteuern?
Carlos Goeschel: Wir beobachten bei einigen 12- bis 14-Jährigen, wie sie da reinrutschen. Es ist dann die große Frage, ob es bei einer Ausprobierphase bleibt. Bei denen haben wir den Auftrag, sie rauszubekommen, bevor sie richtig reinrutschen. Für sie sind Kunstprojekte und Sportangebote sowie persönliche Gespräche wichtig. Und dann haben wir mit Leuten zu tun, ungefähr 20 bis 26 Jahre alt, die teilweise schon Jahre dabei sind. Das sind oft Jugendliche mit schlechten Bindungserfahrungen. Hier müssen wir verlässliche Partner sein, die sie über viele Jahre begleiten und auf Wege zum Ausstieg hinweisen. Grundsätzlich wird man das Thema Drogen nicht aus der Stadt bekommen. Das müssen wir in die Öffentlichkeit bringen. Wir müssen Bescheid wissen, aufmerksam machen und wissen, was unsere Möglichkeiten sind.

Das ist eine große Aufgabe. Zum Glück haben Sie wieder Unterstützung.
Goeschel: Ja, Adriana Talic ist seit wenigen Tagen hier und besetzt die geförderte Stelle im Rahmen des Projekts „jung, männlich, geflüchtet“ der Diakonie Baden-Württemberg. Das läuft erst einmal bis Jahresende, kann aber eventuell nach einer erneuten Bewerbung um weitere zwei Jahre verlängert werden.
Jan Zeitler: Leider sind solche Stellen oft auf ein Jahr befristet. Wir hätten gern eine mindestens zweijährige Dauer und wir hören ja gerade, wir brauchen diese Art von Tätigkeit dauerhaft. Wir setzen alles daran, es fortzusetzen mit unserem Partner, der Linzgau Kinder- und Jugendhilfe. Für die Jugendsozialarbeit hatten wir 2020 mit 78.000 Euro geplant, in diesem Jahr sind wir bei 90.000 Euro. Wir bauen auf, ohne je genug machen zu können.

Die Gesprächspartner
Frau Sonntag, Sie hatten kurz vor Corona in einem Gespräch mit dem SÜDKURIER sowie Carlos Goeschel und CDU-Gemeinderat Günter Hornstein über das Sicherheitsgefühl am ZOB gesprochen, der entgegen der Kriminalitätsstatistik gerade von jungen Frauen als Angstraum wahrgenommen wird. Ist es da weitergegangen?
Sonntag: Diese Statistiken enthalten keine anzüglichen Kommentare. Wenn sich dort eine Gruppe von jungen Männern aufhält, vielleicht alkoholisiert, dann lassen die diverse Kommentare raus. Da geht einem dann schon die Pumpe. Das ist nicht angenehm.

Ergebnis war damals, dass es eine Initiative in Sachen Zivilcourage braucht. Will sich da der Jugendgemeinderat engagieren?
Sonntag: Weggucken hat sich in manchen Teilen der Gesellschaft ziemlich tief verankert. Das fällt mir bei Kleinigkeiten auf und ist ein generelles Problem fast in jedem Alter. Viele wissen auch gar nicht, wie reagiere ich richtig, wenn eine Frau angepöbelt wird. Das war die Intention hinter dem Gespräch damals. Wir wollten eigentliche eine Plakataktion starten, aber das ist leider untergegangen.

Könnte die Stadt unterstützen?
Sonntag: Das wäre ein interessantes Thema für die Schulen. Präventionsveranstaltungen zu Alkohol und Drogen sind wenig zielführend. Wenn es heißt, das ist schlecht für euch, dann wollen sie es ausprobieren. Jugendliche ticken einfach so. Das Thema Zivilcourage ist da schon spannender.
Goeschel: Ich habe mich an die Bahn und die Bäckerei am Bahnhof gewandt und wollte Zettel aushängen: Du fühlst dich blöd angesprochen? Habe aber von beiden keine Antwort erhalten. Ein Projekt, mit dem wir zu Zivilcourage aufrufen, wäre eine schöne Sache.
Zeitler: Bei Flächen, die der Bahn gehören, können wir nicht helfen. Aber wenn es um Räumlichkeiten für Veranstaltungen geht oder den Druck von Plakaten, dann kann man das Projekt beschreiben und an die Stadt herantragen.