„He! Ho! Reicht euch die Hand. Für Demokratie in unserem Land. Stehen wir zusammen, stehen wir zusammen!“ Singend ziehen rund drei Dutzend Frauen am Samstag durch die Stadt. Die Initiative von Sylvia Kruse-Baiker und der Ehefrau des Oberbürgermeisters, Annette Stoll-Zeitler, ist in der letzten Woche noch gewachsen, schon zum zweiten Mal haben die Frauen sich am Markttag versammelt, um ein Zeichen für die Demokratie zu setzen. Für Freiheit, Menschlichkeit, Achtung, Verständnis, Hilfe und Vertrauen.
„Danke, dass ihr da seid und die Fahnen für die Demokratie und unsere guten gemeinsamen Werte hochhaltet“, ruft Annette Stoll-Zeitler ihren Mitstreiterinnen zu, die inzwischen an der Münstertreppe angekommen sind. Hier folgt nun ein weiterer Höhepunkt: Psychologe und Gerontologe Andreas Kruse, „ein wunderbarer Kämpfer und brennender Geist für die Demokratie“, wie Stoll-Zeitler sagt, spricht auf Einladung der Initiative vor rund 100 Menschen über die Demokratie.

Werte stehen nicht zur Disposition
„Wir stehen für Demokratie, wir stehen für die grundlegenden Aussagen unseres Grundgesetzes und ich finde es so großartig, dass ihr Frauen euch da mit so viel Freude für einsetzt“, ruft Kruse. Er spricht Ex-Oberbürgermeisterin Sabine Becker direkt an und sagt: „Und dass sich Frau Becker auch gleich mit engagiert, ist eine ganz große Sache.“ In der Literatur, sagt Kruse, gebe es den Begriff der Zivilreligion.
Der stamme von dem Philosophen Jean-Jacques Rousseau. „Rousseau sagte: Es gibt so etwas wie fundamentale Werte. Fundamentale Überzeugungen, die nicht zur Disposition stehen: Würde des Menschen. Respekt vor dem Menschen. Freie Persönlichkeitsentfaltung. Freie Rede. Gemeinwohl.“ Und das werde „im Augenblick unter anderem durch sinistre Personen auch aus dem Ausland unterminiert“, sagt Kruse und ergänzt: „Was gestern in München passiert ist, war ein Skandal.“ Er bezieht sich damit auf den Auftritt von US-Vizepräsident J.D. Vance, der mit seinem Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz für einen Eklat gesorgt hatte, indem er erklärte, in Europa seien die Demokratie und Meinungsfreiheit gefährdet. Auch das Attentat kommentierte er: „Wir wollen nichts schönreden. Das war eine ganz, ganz furchtbare Straftat in München.“
Dankbar für Europa und die kulturelle Vielfalt
Kruse: „Da stehen wir auf und sagen: Wir sind frei. Und wir werden unsere Freiheit verteidigen.“ Der europäische Gedanke sei ihm ein ganz wichtiger, sagt Kruse. „Seien wir dankbar dafür, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg so rasch in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen wurden. Das ist ein ganz großes Gut und das darf keinesfalls leichtfertig aus der Hand gegeben werden.“ Freundschaft in der Politik meine „dass wir miteinander darüber nachdenken, wie wir unsere Welt weiterentwickeln können.“
Deutschland sei ein Land der kulturellen Vielfalt.
„Hätten wir Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund nicht in unseren Reihen, hätte Deutschland so nicht aufgebaut werden können und wäre, was die kulturelle Vielfalt angeht, unglaublich viel ärmer“, erinnert das einstige Mitglied des Deutschen Ethikrats. Kruse erklärt: „Für mich zählt nicht die Ethnie, für mich zählt nicht die Biologie. Für mich zählt die Frage: Ist es ein Mensch. Und für mich zählt die Frage: Welche Haltung zeigt dieser Mensch?“
Mitverantwortung für Fluchtgründe
Viele Flüchtlinge kämen auch, weil die klimatischen Bedingungen sich in ihrer Heimat in einem Maße verändert hätten, dass sie dort gar nicht mehr leben können. „Und das ist zum Teil auch durch einen westlichen Lebensstil mitbedingt. Wir haben da eine gewisse Mitverantwortung. Grundsätzlich“, sagt Kruse, „haben wir anderen Menschen mit großem Respekt zu begegnen. Wir sind nicht mehr wert als Menschen, die aus anderen Ländern kommen.“ Er ergänzt: „Wir stehen für die demokratisch verfassten Institutionen. Wir stehen für die Freiheit in den Lebensentwürfen. Für uns gilt Freiheit in den emotionalen und den sexuellen Bestimmungen.“
Aufruf für eine hohe Wahlbeteiligung
Und weiter: „Wir wollen in einer Gesellschaft, in einer Kultur leben, die ein hohes Maß an Menschlichkeit zeigt.“ Dazu würden auch ein hohes Maß an Freundlichkeit und die Fähigkeit zählen, Freundschaft zu schließen. Man wolle gemeinsam in einer toleranten Gesellschaft leben, die in hohem Maße den Respekt anderen Menschen gegenüber ausdrücke, die aber auch zu den eigenen Werten steht. Diese Werte wolle man nicht immer wieder verteidigen müssen.
Aber nicht, unterstreicht Kruse, in der Abgeschiedenheit des persönlichen Raumes, sondern im öffentlichen Raum. „Deswegen: Was ihr hier macht, ist fantastisch und ich sage im Namen der Männer herzlichen Dank, dass wir dabei sein und ein klein wenig mitgestalten dürfen.“ Sylvia Kruse-Baiker ergänzt: „Und bitte, bitte alle wählen gehen. Wählen Sie demokratisch. Eine hohe Wahlbeteiligung ist gut für die Demokratie.“