Sie sind jung, sie sind größtenteils weiblich – und sie sind links. Mit jugendlichem Elan und vom 8,8-Prozent-Stimmanteil der Bundestagswahl im Februar beflügelt, will die Partei Die Linke im Kreis Waldshut neu beginnen. „Wir haben unsere regionale Mitgliederzahl seit der Bundestagswahl mehr als verdoppeln können, von zuvor 40 auf jetzt rund 100“, sagt Philomena Kalt, im Kreisvorstand für die Mitgliederbetreuung zuständig. Für viele sei es das erste Engagement in einer Partei.

Sieben Personen zählt der seit April tätige neue Vorstand: Julian Besemann, Philomena Kalt, Hanna Landwehr, Vanessa Glatzer, Vanessa Fosler, Jessica Stehle und Jannik Herzog.

Altersspanne von 18 bis 35

Vanessa Fosler, Schülerin aus Hohentengen, ist mit 18 Jahren die Jüngste, Besemann mit 35 der „Senior“. Abgesehen von ihm, der schon seit 2020 in der Partei ist, sind die anderen erst 2024/25 eingetreten. Fosler kam dabei von der SPD und deren Jugendorganisation Jusos. Sie sagt: „Deren Politik konnte ich schon lange nicht mehr mit gutem Gewissen vertreten.“ Gewerkschaftlich engagiert war Philomena Kalt schon länger, jetzt sollte das politische Engagement hinzukommen. Am 20. Januar trat sie der Linken bei. Und sah sich bestärkt darin, als eine Woche darauf Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek ihre berühmte „Auf die Barrikaden“-Wutrede gegen Friedrich Merz und seinen 5-Punkte-Migrationsplan hielt. Reichinneks Rede hat bundesweit Zehntausende zum Parteieintritt motiviert.

Für Hanna Landwehr waren die Vorgänge vom Jahresbeginn ein Zeichen dafür, wie der „Rechtspopulismus wieder normaler wird“, wie sie sagt. „Ich wollte nicht länger nur kritisieren und zusehen“, erzählt die Verwaltungsfachangestellte aus Tiengen. Und: „Ich habe mich aus Überzeugung für die Linke entschieden, weil mir soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Chancengleichheit besonders am Herzen liegen.“ Gegenüber der Linken gebe es viele Vorurteile und mit denen wolle sie „aufräumen“, sagt sie. Denn in ihren Augen mache die Partei eine „konsequente Politik für die Mehrheit“. Sie sagt: „In Gesprächen erlebe ich oft, dass viele Menschen überrascht sind, wie sehr sie unsere Forderungen eigentlich teilen.“

Sich als links „outen“

Kalt sagt: „Ich war schon immer links, eher sehr links.“ Sich mit dieser Einstellung auch zu „outen“, dürfte im eher konservativen Kreis Waldshut aber doch mutig sein. In ihrem Umfeld fielen die Reaktionen auf ihr neues Wirken unterschiedlich aus, erzählt sie. Menschen mit Migrationshintergrund etwa würden es mehr würdigen, als hier geborene. Es sei das Bild einer Partei, die alles besteuern und umverteilen wolle. Das hätten viele im Kopf, so die Erfahrung der kaufmännischen Angestellten. „Warte mal, bis du selbst Wohneigentum hast, dann wirst du mit denen Probleme bekommen“, werde ihr so manches Mal prophezeit. Dass sie einmal Wohneigentum haben wird, glaubt die 26-Jährige selbst nicht – nicht bei den regionalen Immobilienpreisen. Selbst am Hochrhein zur Miete zu wohnen, sei „bei 16 Euro kalt pro Quadratmeter und mehr“ ja immer mehr Luxus, findet sie.

Am angespannten Mietmarkt in der Region, an der unzureichenden Gesundheitsversorgung und am eher schwach ausgebauten öffentlichen Verkehr wollen sie politisch ansetzen. „Wir wollen Politik machen für alle Lohnabhängigen in der Region“, sagt Besemann. Weil diese immer mehr unter Teuerung und Inflation zu leiden hätten. „Da der Landkreis Waldshut land- und forstwirtschaftlich geprägt ist, finde ich einen Austausch mit den Landwirtinnen und Landwirten vor Ort sehr wichtig“, sagt Glatzer.

Haus- und Hoftürgespräche

In Berlin und Leipzig ist es der Partei vor Wahlen gelungen, durch „Haustürgespräche“ Direktmandate zu gewinnen. „Haus- und Hoftürgespräche“ will der Waldshuter Kreisverband vor der Landtagswahl am 8. März führen. Bewusst soll im ländlichen Raum auch an Hoftüren geklopft werden, um den Bäuerinnen und Bauern aufzuzeigen, dass sie „bei der CDU falsch liegen“, wie Besemann sagt. „Wir müssen eine Bewirtschaftung der Flächen ermöglichen, die Biodiversität fördert und zugleich wirtschaftlich für die Betriebe tragbar ist“, sagt Vanessa Glatzer.

Das sind die Köpfe der Linken im Kreis Waldshut, von links: Julian Besemann, Jannik Herzog, Vanessa Fosler, Jessica Stehle, Norman ...
Das sind die Köpfe der Linken im Kreis Waldshut, von links: Julian Besemann, Jannik Herzog, Vanessa Fosler, Jessica Stehle, Norman Glatzer, Vanessa Glatzer und Philomena Kalt. | Bild: Die Linke

Die 32-Jährige aus Dachsberg bezeichnet sich als „Autorin und Youtuberin“. Und Social Media ist dem neuen Die Linke-Kreisvorstand ein großes Anliegen. Wissend, dass Reichinneks riesige Reichweite auf TikTok und Instagram den 8,8-Prozent-Erfolg vom Februar mit beschert hat. Deren Barrikaden-Rede soll binnen Tagen 30 Millionen Mal aufgerufen worden sein. Die Sieben wissen: Auf Social Media aktiv zu sein, erwarten die jungen Neumitglieder der Partei.

Jetzt gehen sie die Landtagswahl an, mit Besemann als Kandidat und Kalt als Ersatzfrau. Und sagen: Zu verlieren haben wir nichts. Im Gegenteil: Sie könnten an Stimmen gewinnen, die 5-Prozent-Hürde reißen und zum ersten Mal überhaupt in den baden-württembergischen Landtag einziehen.

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Ja – auch zu regionalen Bürgermeisterwahlen wie die in Wehr am 9. November können sie sich vorstellen, Kandidierende ins Rennen zu schicken. Julian Besemann wohnt in Wehr, ist dort aufgewachsen, arbeitet als Heilerziehungshelfer in der Psychiatrie. Dass einmal jemand anderes im Rathaus regiert, einer ohne Verwaltungslaufbahn, fänden sie eine spannende Sache.