„Das ist gut, ganz großartig!“, sagt die ältere Dame und zeigt auf das Schild, das Jürgen Schmitz um den Hals trägt. „Rote Karte für die AfD“ steht dort in großen weißen Lettern auf rotem Grund. Sie bleibt einen Moment stehen, berichtet, dass sie aus Salem kommt und fügt hinzu: „Diese Frau Weidel, ich sage jetzt nichts mehr, sonst vergesse ich meine gute Kinderstube.“
Danach kam die Frage: „Und jetzt?“
Wie Jürgen Schmitz und seine Frau, Andrea Stein, später im Gespräch mit dem SÜDKURIER berichten, gehört die Reaktion der Dame zu den häufigsten Rückmeldungen. Jürgen Schmitz steht seit dem 22. Januar 2024 regelmäßig auf der Hofstatt und warnt mit selbst gemalten Schildern vor rechtsextremen politischen Kräften. Die ersten sechs Wochen stand er hier täglich. Später kam seine Frau dazu und die beiden beziehen hier ein- bis zweimal in der Woche immer zum Wochenmarkt Stellung. Als Auslöser für die Aktion nennt Schmitz die Demo „Nie wieder ist jetzt“ im Januar.

Wie viele Menschen war er überwältigt von der großen Resonanz und der positiven Stimmung. Doch danach stand die Frage „und jetzt?“ im Raum. „Alle Politiker forderten damals, wir müssen die Demokratie verteidigen, gegen dieses unsägliche Gedankengut“, erinnert er sich. Da habe er sich ein Schild gemalt und sich auf die Straße gestellt. Gleich beim ersten Termin wurde er von einem älteren Herrn gefragt, wo denn „die Horden“ seien, habe er gesagt. Er meinte die Demonstranten vom Wochenende.
Begegnung mit AfD-Vertreter auf der Hofstatt
Jürgen Schmitz habe schnell gelernt, Fragen zu stellen, zuzuhören und sich nicht auf inhaltliche Diskussionen einzulassen. Vielmehr erkundige er sich „woher wissen Sie das?“ oder bittet um Begründungen. Nicht selten käme dann die Argumentation ins Stocken oder als Quelle werde der Messanger-Dienst Telegram angegeben.
Vor einigen Wochen baute die AfD ihren Wahlkampf-Stand wenige Meter vom Standort der Dauer-Demonstranten entfernt auf. Ein lokaler AfD-Vertreter soll zu ihm herübergekommen sein und habe erst einmal jegliches politisches Engagement gelobt, so erzählt es Schmitz. Seinen Hinweis, dass bereits drei Landesverbände der AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurden, ließ dieser aber offenbar nicht gelten, sagt er gegenüber dieser Zeitung.
Putin toll, Nato böse, Gerichte korrupt
Solche Repliken hört Schmitz oft: „Es gibt Menschen mit einem völlig geschlossenen Weltbild. Die finden Putin toll, die Nato böse, die Gerichte korrupt, die Presse gleichgeschaltet und meinen, die AfD sei die einzige Oppositionspartei.“ Menschen mit solchen Überzeugungen seien im normalen Dialog nicht erreichbar, fügt er schulterzuckend an. Es ärgert ihn, dass die extremen Rechten Angst, Wut und Verzweiflung schüren, dabei das Vertrauen in den Staat zerstören und die Menschen in die Opferrolle drängen. „Sie schaffen ein Klima, in dem sie sich dann als Retter und starke Hand positionieren“, fügt Andrea Stein an.
Sehr positiv bewerten die beiden die klare Positionierung der katholischen Bischöfe sowie den Brief von Unternehmer Reinhold Würth an seine Belegschaft.
Ungewohnt deutliche Positionierung
Einmal wurde Schmitz wütend
Brenzlig sei es nie gewesen, in der Öffentlichkeit Stellung zu beziehen. Aber einmal sei er wütend geworden, berichtet Jürgen Schmitz. Ein Mann kam immer wieder vorbei, beschimpfte ihn und warf ihm vor, völlig ahnungslos zu sein. Eine Begründung dafür lieferte er ihm gegenüber nicht. Als ein großer, dunkelhäutiger Mann dazukam und entschieden feststellte: „Die AfD ist menschenfeindlich und ausländerfeindlich!“, machte sich der Querulant aus dem Staub. „Das war so heftig“, erinnert sich Andrea Stein. „Ich weiß nicht, wie so eine Situation in anderen Regionen, zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, ausgegangen wäre.“ Auf der Überlinger Hofstatt hätte ihnen das Publikum auf dem Markt eher Sicherheit gegeben.

„Die AfD ist gewissenlos gegenüber unserer Geschichte“
Laut Jürgen Schmitz waren die positiven Rückmeldungen auf ihre Aktion mit 80 Prozent in der Überzahl. Angefangen vom freundlichen Daumen hoch im Vorbeigehen bis zu vielen anerkennenden Worten und Respektbekundungen für den Mut. Als berührendsten Moment beschreibt er, wie ihn eine Frau um die 80 Jahre fragte, ob er einen Kaffee möchte. Den holte sie aus dem benachbarten Café und kam mit ihm ins Gespräch. Gerade ältere Leute sagten oft, „das haben wir doch alles schon erlebt, das darf sich nicht wiederholen.“ Die deutsche Vergangenheit auszublenden oder sogar zu verharmlosen macht den beiden Aktivisten zu schaffen. „Die AfD ist gewissenlos gegenüber unserer Geschichte“, sagt Schmitz.
Er würde es „auf jeden Fall“ wieder machen
Die beiden Demonstranten wollen noch bis zur den Wahlen am 9. Juni weitermachen. Dann haben sie viereinhalb Monate lang Position bezogen. Jürgen Schmitz kandidiert selbst auf der Liste der LBU/Die Grünen für den Stadtrat Überlingen. „Wir haben Menschen angeregt, ins Gespräch zu kommen und zum Nachdenken gebracht“, lautet ihr einhelliges Resümee. „Ich bin viel wacher geworden, interessiere mich mehr für Demokratie und bekomme ein immer größeres Verständnis für das, was wir haben!“, sagt Jürgen Schmitz auch mit Hinblick auf den 75. Geburtstag des Grundgesetzes. Er fügt an, die ideale Demokratie gebe es nicht, viele Felder seien noch unvollkommen. „Die soziale Ungleichheit ist so ein Thema, das ist sehr Demokratie-gefährdend. Da müssen wir ran!“ Ebenso entschieden antwortet er auf die Frage, ob er es wieder machen würde: „Auf jeden Fall!“