Gnade vor Recht, sagt der Volksmund. Doch vor Gericht ist Gnade auch „im Namen des Volkes“ selten eine Kategorie. Allenfalls gibt es bisweilen mildernde Umstände. Möglicherweise wenn ein hungernder Mensch einen Mundraub begeht. Doch Kleingärtner Viktor Schlak hat etwas gegeben und nichts genommen. Gnade walten lassen können hätte die Stadt, die sich in eine selbst verschuldete Sackgasse manövriert hat. Einfordern kann man von ihr Augenmaß bei der Beurteilung eines „Sachverhalts“. Wem hätte es geschadet, wenn die Stadtverwaltung die gärtnerische Arbeit stillschweigend geduldet hätte. Von einer denkbaren Förderung des bürgerschaftlichen Engagements gar nicht erst zu reden. Wenige Bürger wären dadurch ermuntert worden, im Badgarten oder im neuen Uferpark ebenfalls Kartoffeln anpflanzen zu dürfen. Um das drohende Gegenargument gleich zu entkräften: Da könnte ja jeder kommen. Und wenn OB Zeitler „eher von einem Gruppeninteresse als einem gesellschaftlichen Interesse“ spricht, so werden ihm viele Bürger nicht folgen, die sich über die wenigen verbliebenen gepflegten Gärtchen freuen. Sozialökonomisch betrachtet hätte man sogar von einer Triple-Win-Situation sprechen können. Die Stadt spart sich die Kosten für die Pflege dieser Flächen, der Kleingärtner hat Freude an der Arbeit und Dritte profitieren von der Ernte. Unabhängig davon ist sicher: Der Rechtsstaat wäre durch die Duldung dieser „widerrechtlichen Inanspruchnahme von städtischen Flächen“ mit Sicherheit noch nicht ernsthaft in Gefahr geraten. Und die Stadt hätte Größe gezeigt – gegenüber einem unbeugsamen Bürger, der zwar nicht paragraphentreu, jedoch redlich ist.