Frau Schelling, warum haben Sie nicht mehr kandidiert?
Mir macht das Amt immer noch Spaß, ich bin gesund und fit und arbeite gerne. Ich werde im Oktober 60 Jahre alt. Das ist eigentlich kein Alter, um schon aufzuhören. Die Amtszeit dauert aber acht Jahre, und bis zum 68. Lebensjahr möchte ich nicht arbeiten. Innerhalb der Amtszeit zurückzutreten, was möglich wäre, ist nicht mein Ding. Ich bin eine überzeugte Anhängerin der achtjährigen Amtszeit für Bürgermeister.
Sie heißen jetzt Schelling. Wir haben gehört, Sie haben noch einmal geheiratet. Hatte das einen Einfluss auf Ihre Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren?
Nein.
Welche Bilanz ziehen Sie nach 16 Jahren im Amt?
Ich würde mich freuen, wenn Ihnen die Bürgerschaft und die Jugend folgende Antwort auf diese Fragen geben würden: „Insgesamt war es eine gute Zeit für Jestetten, als Ira Schelling (Sattler) Bürgermeisterin war. Wenn sie auch nicht alles geschafft hat, ist es ihr doch gelungen, Jestetten positiv weiterzuentwickeln und gleichzeitig eine gute menschliche Atmosphäre in der Gemeinde herrschen zu lassen.“
Welches waren die herausragenden Ereignisse?
Die schönsten Momente und herausragenden Ereignisse sind für mich immer mit Menschen verbunden. Die gemeinsame Freude über erfolgreich abgeschlossene Projekte, wie bei der Einweihung des Feuerwehrgerätehauses oder neuer Kindergärten. Oder die Freude über die selbstlose Haltung unterstützender Menschen, sei es in der Flüchtlingskrise oder in der Pandemie. Das wird mir immer in Erinnerung bleiben.
Gab es auch Enttäuschungen?
In einer Zeit, in der zunehmend Egoismen vertreten werden, ist es nicht einfacher geworden, hinzustehen, Rückgrat zu zeigen und das Wohl für die gesamte Gemeinde abzuwägen. Der Trend zur Aufgeregtheit hat sich in den letzten Jahren gesteigert, und häufig ist das Gemeindeoberhaupt der Sündenbock, wenn irgendjemand etwas vermasselt hat. Wenn man dann anonyme Briefe bekommt, beschimpft oder der Vorteilnahme bezichtigt wird, hat mich das getroffen.
Wie hat sich die Gemeinde Jestetten während Ihrer Amtszeit entwickelt?
Die Gemeinde hat eine erfolgreiche und positive Entwicklung erfahren. Mit Investitionen in das Ortsbild, in die Infrastruktur und die Kultur wurde ein Entwicklungsschub ausgelöst. Wir bieten Kinderbetreuungsangebote für Kinder bis 10 Jahre, ein breit gefächertes Schulangebot im Sekundarbereich mit digitaler Ausstattung, offene Jugendarbeit, beste Möglichkeiten für eine sportliche und erholsame Freizeitgestaltung, gute Bahnverbindungen Richtung Singen und Zürich, und, und, und. Die Liste ließe sich fortsetzten. Fast alles, was man zum Leben braucht, ist da.
Was war die schwierigste Entscheidung, die Sie treffen mussten?
Ich mag Kommunalpolitik, weil es hier ganz konkret zugeht. Aber es liegt auf der Hand, dass es keine Entscheidung gibt, die alle Menschen glücklich macht, dass Entscheidungen Einzelnen auch weh tun, weil individuelle Betroffenheiten dagegen stehen. Mit dem Amt als Bürgermeisterin ist die Gratwanderung verbunden, das langfristige Wohl der Gemeinde im Auge zu behalten und den Interessen möglichst vieler Menschen gerecht zu werden. Das ist meine Aufgabe. Spontan kann ich keine „schwierigste“ Entscheidung nennen. Ich musste keine Einrichtung oder Schule schließen. Aber es gibt immer wieder Entscheidungen von großer Tragweite, die von außen an die Gemeinde herangetragen werden, beispielsweise ob die Gemeinde den Doppelspurausbau unterstützt.
Was hätten Sie gerne noch angepackt beziehungsweise was blieb in Ihrer Amtszeit unerledigt?
Eine Gemeinde ist nie fertig. Mein Nachfolger wird einige Projekte, die angestoßen oder bereits begonnen wurden, umsetzen und zu Ende führen müssen. Beispielsweise den Neubau der Mensa und das im Umbau befindliche Gebäude Weihergasse für die Realschule werde ich nicht mehr einweihen können. Oder die Sanierung und den Umbau des Bahnhofs zu einem Vereins- und Jugendhaus, das geplante Polizeigebäude mit Sozialmietwohnungen, die Sanierung und Erweiterung der Mehrzweckhalle Altenburg sind Projekte, die ich gern selbst noch fertiggemacht hätte.
Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat und in der Verwaltung?
Kommunalpolitik ist Teamarbeit. Mit dem Gemeinderat, der Verwaltung und darüber hinaus. Gemeinsam arbeiten wir für ein sehr hohes Gut: Das Wohl der Gemeinde und der Menschen, die hier leben. Ich hatte immer das Gefühl, dass mir meine Mitarbeiter und der Gemeinderat vertrauen. Damit meine ich nicht die bedingungslose Zustimmung zu allem, was ich initiiert oder getan habe. Ich meine eine gedanklich, vertrauensvolle Begleitung meiner Arbeit. Nichts endete in persönlichen Anfeindungen, und ich hatte nie das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen.
Würden Sie den Schritt, Bürgermeisterin zu werden, noch einmal tun?
Auf jeden Fall.
Wie viel Wehmut schwingt beim Abschied mit?
Ich bin mit mir im Reinen. Gemeinsam haben wir viel erreicht. Die Entscheidung, ob ich noch mal kandidieren soll, habe ich mir nicht leicht gemacht. Jetzt freue ich mich auf das Ende meiner Amtszeit und darauf, Privatperson zu sein. Ein bisschen Wehmut ist natürlich dabei, denn man lässt ja auch viele Begegnungen hinter sich. Das wunderbare berufliche Netzwerk, kreisweit, landesweit und grenzüberschreitend in der Schweiz werde ich vermissen.
Was tun Sie nach dem 29. November? Welche Pläne haben Sie?
Ich freue mich auf mehr Zeit mit meinem Mann, der Familie und Freunden. Und darauf, dass ich wieder Dinge tun kann, für die bisher kaum Zeit blieb. Wieder mal ins Theater oder die Oper, spontan einen Ausflug machen oder bei gutem Wetter wochentags eine Fahrradtour. Und wieder Reisen. Mir wird nicht langweilig werden, da bin ich mir sicher. Zudem bin ich noch Kreisrätin und gehöre der Verbandsversammlung des Regionalverbands Hochrhein-Bodensee an. Ich freue mich darauf, dieses ehrenamtliche Engagement fortzusetzen.
Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?
Meinem Nachfolger wünsche ich Glück, Gesundheit, Vertrauen von der Bürgerschaft, vom Gemeinderat und den Mitarbeitern, und dass er all das umsetzen kann, was er sich vorgenommen hat.