Schon lange brodelte in der Gemeinde die Gerüchteküche, dass die einzige Hausarztpraxis in Erzingen zum Jahresende schließen und der Arzt vor Ort, Stefan Bastians, nur noch Privatpatienten behandeln wird.

Mehrfache Nachfragen dieser Zeitung dazu ließ Bastians unbeantwortet. Der Allgemeinmediziner sorgte schließlich mit einer im Gemeindeblatt geschalteten Anzeige für Aufklärung: „Nachdem es uns trotz intensiver Suche nicht gelungen ist, ausreichend Fachpersonal für unsere Praxis zu finden, sehen wir uns leider gezwungen unsere Praxis zum 31.12. 2023 zu schließen“, teilte der mit.

Stefan Bastians gibt seine Zulassung bei der Kassenärztlichen Vereinigung zurück.
Stefan Bastians gibt seine Zulassung bei der Kassenärztlichen Vereinigung zurück. | Bild: SK

Das sind keine guten Nachrichten für die Gemeinde, auch Bürgermeister Ozan Topcuogullari ist ganz und gar nicht erfreut. Er wurde vorab von Stefan Bastians über die Praxisschließung zum 31. Dezember informiert.

„Er hat mir auch mitgeteilt, dass er die kassenärztliche Zulassung zurückgegeben hat“, berichtet der Bürgermeister und betont: „Ich bedaure es sehr, dass sich mit der Praxisschließung von Herrn Bastians die medizinische Versorgung in Klettgau verschlechtert. Wir verlieren den einzigen Vollzeitarzt in Klettgau.“

Gleichzeitig sei er glücklich darüber, dass man mit der Eröffnung des MVZs in Grießen diesen Verlust auffangen und die medizinische Versorgung sicherstellen könne. Obwohl der Versorgungsauftrag bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) liege.

Im Grießener Rathaus wurde das erste Geschoss zu einer großzügigen, modernen Arztpraxis umgebaut. Zwei Mediziner sowie sieben ...
Im Grießener Rathaus wurde das erste Geschoss zu einer großzügigen, modernen Arztpraxis umgebaut. Zwei Mediziner sowie sieben Medizinische Fachangestellte werden im MVZ Klettgau arbeiten. | Bild: Eva Baumgartner

Das sieht die KV anders: „Zunächst einmal ist es die Aufgabe des Praxisinhabers, einen Nachfolger für seine Praxis zu finden. Selbstverständlich unterstützen wir dann im Rahmen unserer Möglichkeiten“, ließ die Pressestelle auf unsere Anfrage mitteilen und verwies auf einen in der Gemeinde praktizierenden Arzt (Nebenstelle des Hohentengener Arztes Nowizki in Grießen).

Über den Verlust der Erzinger Hausarztpraxis hinaus stellt sich aber auch ein bitterer Nachgeschmack ein. Denn Bastians hat für den Bau seiner Praxis das gemeindeeigene Grundstück zu Sonderkonditionen erhalten.

Die Vorgeschichte

2017 bezog Stefan Bastians seine neu gebaute Praxis „In der Bütze“, gegenüber der Sporthalle in Erzingen. Zuvor praktizierte der heute 47-Jährige als Nachfolger von Dr. Henn in dessen Erzinger Praxisräumen. Mit dem Auslaufen des dortigen Mietvertrages, drohte der Verlust der einzigen Arztpraxis im 3500 Einwohner zählenden Ortsteil Erzingen.

Dass die Gemeinde den Allgemeinmediziner im Ort halten wollte, liegt auf der Hand. Der Gemeinderat ermöglichte Bastians durch den vorhabenbezogenen Bebauungsplan den Neubau einer Praxis auf dem knapp 1000 Quadratmeter großen Grundstück. Dies zu Sonderkonditionen, das heißt zu einem vergünstigten Kaufpreis.

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Im Gegenzug wurde vertraglich vereinbart, dass der Mediziner an diesem Standort mindestens zehn Jahre lang Kassenpatienten betreuen muss. Davon sind sieben Jahr verstrichen. Dazu erklärt Bürgermeister Topcuogullari: „Wenn die Bedingungen nicht (mehr) erfüllt sind, entfallen die Sonderkonditionen. Darüber hat der Gemeinderat zu entscheiden. Aktuell ist der Zeitpunkt für diese Entscheidung zu früh. Diese greift erst, wenn die Praxis tatsächlich geschlossen ist.“

Den Patienten aus Erzingen bleibt nunmehr nichts anderes übrig, als sich einen neuen Hausarzt zu suchen. Ohne das kommende MVZ in Grießen wäre die Situation für viele Kranke äußerst prekär, besonders für betagte und chronisch kranke Menschen.

Das sagen die Patienten

Ursula Liening ist 85 Jahre alt und lebt noch selbstständig in ihrer Wohnung. Zweimal in der Woche nimmt sie die Hilfe der Sozialstation in Anspruch. Seit einer Krebserkrankung muss sie regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen, auch braucht sie regelmäßig Medikamente. Noch kann sie mit dem Rollator zur Praxis Bastians laufen.

„Ich habe mich noch nicht um einen anderen Hausarzt gekümmert, aber jetzt kommt ja das MVZ in Grießen“, sagt sie voller Zuversicht. Die Fahrt mit dem Bus traut sie sich zu. „Dort gibt es doch solche Hebebühnen beispielweise für Kinderwagen“, weiß sie. Aber umständlicher werde es allemal. Immer ihre Kinder bitten, die alle nicht in Klettgau wohnen, möchte sie nicht. „Die können doch nicht immer Urlaub nehmen.“

Großes Glück hat die 87-jährige Edeltraud Rott, ihre Tochter Petra lebt im gleichen Haus. Sie erledigt für ihre Mutter den Haushalt und fährt sie zu allen notwendigen Arztterminen. „Meine Mutter ist in keinster Weise in der Lage, zu Fuß oder mit dem Rollator zu ihrem Hausarzt Bastians zu laufen“, sagt Petra Rott.

Ihre Mutter brauche aufgrund verschiedenster Altersgebrechen regelmäßig Medikamente beispielsweise wegen Bluthochdruck und anderem mehr. Erst aus der Presse hätten sie erfahren, dass die Praxis schließen wird. Sie selbst ist Patientin einer Ärztin in Wutöschingen, die vermutlich ihre Mutter nicht aufnehmen kann. Deshalb werde sie sich sobald als möglich im MVZ Grießen melden.

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