Die Kinderarztpraxis von Klaus Peter Rühs in Waldshut-Tiengen ist am Dienstagnachmittag geschlossen. Doch Rühs ist trotzdem da und kümmert sich um den Papierkram. Anders würde es für ihn nicht funktionieren, und die Schließung sei auch Selbstschutz, um nicht in einen Burnout zu geraten, sagt der Kinderarzt. Während der Schließung übernimmt eine andere Praxis für ihn. Wenn diese schließt, betreut Rühs auch die Patienten der anderen Praxis.
„Es ist ein total schöner Beruf, aber auch ein fordernder“, sagt der Kinderarzt. In seiner Praxis rufen täglich im Schnitt zehn Menschen an und bitten um eine Neuaufnahme. Dies kommt durch Geburten oder Zuzug zustande. Das kann Rühs aber im Moment nicht leisten. Die Belastung für die Kinderärzte sei jetzt schon zu hoch. Vielen Kollegen von Rühs gehe es ähnlich, das zeige sich in Gesprächen mit anderen Kinderärzten. Deshalb nehmen er und viele seiner Kollegen keine neuen Patienten.
Fast 130 Prozent Versorgung im Landkreis
Doch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) sieht das ganz entspannt. Dort heißt es in der Bedarfsplanung der KVBW, dass der Landkreis Waldshut mit 129,3 Prozent sogar mit Kinderärzten überversorgt sei. Wie kann das sein?
Kinderarzt Klaus Peter Rühs erklärt, dass die KVBW-Bedarfsplanung nicht die tatsächliche Versorgungsrealität widerspiegele. Jeder dieser Ärzte würde im Quartal zurzeit 1400 bis 2000 Kinder versorgen, obwohl die KVBW in diesem Zeitraum nur 980 vorsehe.
Im gesamten Landkreis gibt es 16 Kinderärzte. Davon seien bereits sieben über 60 Jahre alt. Drei von ihnen gehen derzeit auf die 70 zu. „Wenn die Alten aufhören, droht das System zusammenzubrechen“, meint der Kinderarzt.
Das Personal fehlt
Es brauche Leute, die diesen Job machen, gibt Rühs zu verstehen. „Ich kann aber nicht einfach jemanden anstellen, dazu muss die Kassenärztliche Vereinigung einen Arztsitz ausweisen“, so der Chef von vier Mitarbeitern und ergänzt, dass auch medizinisches Fachpersonal nicht einfach zu bekommen sei.
Was hat sich verändert?
Des Weiteren berichtet Klaus Peter Rühs, dass die Betreuung der einzelnen Patienten zeitintensiver geworden sei, da Eltern mit ihren Kindern auch schon bei vergleichsweise harmlosen Symptomen zum Arzt gingen.
Woran liegt das? Der Mediziner sieht eine allgemeine Verunsicherung bei den Begleitern seiner kleinen Patienten: „Die Eltern sind vorsichtiger geworden.“ Und auch im Umgang miteinander ist der Ton zum Teil deutlich schärfer geworden. Rühs habe es in seiner Praxis auch schon erlebt, dass Menschen ausfallend ihm und seinem Personal gegenüber geworden seien.
Doch auch die allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen tragen zu dem erhöhten Arbeitsaufwand bei. „Die Polarisierung ist ein Problem. Das müssen wir als Gesellschaft in den Griff bekommen und uns wieder die Hand reichen“, so der Doktor.
Es braucht mehr Kinderärzte
Die Situation müsse sich ändern, fordert der Kinderarzt. Doch auf kurze Sicht sei die Problemlösung schwierig, gibt er zu bedenken. Es würden zwar mehr Studienplätze angeboten werden, aber bis das wirke, brauche es eben auch Zeit.
Forderungen an die Politik
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordert die Politik zum Handeln auf. Kinderärzte müssten dringend von Bürokratie entlastet werden. Zudem fordert die Vereinigung eine Aufklärungskampagne für Eltern, ab wann sie mit Kindern tatsächlich zum Arzt gehen sollten.

Auch das Krankschreiben von Eltern um sich um ihre erkrankten Kinder zu kümmern, soll wegfallen, fordert der Verband. „Eltern sollten selbst entscheiden, ob sie bei einem kranken Kind Betreuungsbedarf haben“, heißt es in einem Positionspapier.
Auch KVBW sucht nach Lösungen
Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg räumt ein, dass der Versorgungsschlüssel nur einen rudimentären Blick auf die tatsächliche Versorgungssituation gebe: „In einem Landkreis wie Waldshut, in dem die Einwohnerdichte eher gering ist, wird damit bereits mit relativ wenigen Ärzten ein hoher Versorgungsgrad erreicht“, antwortet KV-Pressesprecher Kai Sonntag auf unsere Nachfrage.
Zum hohen Altersdurchschnitt der Ärzte im Landkreis sagt Kai Sonntag: „Es ist ja auch keineswegs gesagt, dass die Sitze der Ärztinnen und Ärzte [...] nicht nachbesetzt werden können.“ Zudem verweist die Kassenärztliche Vereinigung auf die Alternative der Telemedizin. Neue Ärzte, so Sonntag, könne sich die KVBW nun einmal nicht „backen“.