Im Edeka Schulz am Viehmarktplatz in Waldshut ist alles fast wie immer. Hinter der Bäckertheke bereitet eine Mitarbeiterin Kaffee zu, ihr Kollege sitzt eine Station weiter an der Kasse. In den Regalen liegen Äpfel, Avocados und Birnen ordentlich sortiert, die Einkäufe bewegen sich langsam übers Band in die Hände des Kassierers.
Die Kunden bemerken keinen Unterschied zu jedem anderen Wocheneinkauf. Nur bei genauem Hinsehen fällt es auf. Der Kassierer ist jung, sehr jung sogar. Auch die Verkäuferin in der Bäckerei und der Mitarbeiter, der gerade eine Familie vor dem Snack-Regal berät, können nicht älter als 25 sein.
In einem Sci-Fi-Film sind die Einkäufer nicht gelandet. Und doch sind die Türen zum Edeka Schulz in Waldshut fast wie ein Portal in ein eigenes kleines Paralleluniversum. Vom 11. bis zum 16. August bedienen, kassieren und beraten hier nur die Azubis.
Normalerweise sind die 25 Auszubildenden auch auf die Märkte in Dogern, Albbruck und Görwihl verteilt. Für diese Woche haben sie ihre Heimfilialen verlassen, um mit vereinter Kraft das Steuer in Waldshut zu übernehmen – und das ganz ohne Schwimmflügel. Denn bis auf vereinzelte Besuche sind keine Chefs, Marktleiter oder Personaler vor Ort.
Schon vor dem ersten Lehrjahr im Chefsessel
Damit der Edeka Schulz am Viehmarktplatz nicht ins Chaos verfällt, gibt es auch unter den Azubis eine klare Struktur. Jeder macht das, was er am besten kann: Ahmad Alhelali, der den Markt in Waldshut besonders gut kennt, übernimmt als Marktleiter der Frühschicht die Bestellungen und Teamkoordination. Anfangs sei das eine Herausforderung gewesen, schließlich kannte er einige der Kollegen vorher nicht.

Umso schöner sei das Gefühl gewesen, gebraucht zu werden: „Ich fühle mich wie ein anderer Mensch. Alle kommen zu mir, wenn etwas ist“, erzählt der Junior-Marktleiter und grinst. Angefangen bei Edeka Schulz hat Alhelali als Quereinsteiger, im September möchte er die Ausbildung anfangen. Dass er bereits vor dem Ausbildungsbeginn Erfahrungen in einer Führungsposition sammeln konnte, empfindet er als großen Vertrauensbeweis: „Das war so ein Gefühl von ‘Wow, sie glauben an mich!‘“
Der Mythos der faulen Generation
Als die Idee für eine Azubi-Woche beim jährlichen Ausflug mit Nina Schulz und Melanie Eenhuis aufkam, saßen die Azubis mit am Tisch. Drei Tage verbrachte die Gruppe gemeinsam auf einer Hütte, nicht mit einem Schulungsleiter, sondern mit der Inhaberin und der Personalreferentin selbst: „Da kann man auch mal mit Ideen rumspielen, über Dinge sprechen, über die man sonst nicht spricht“, sagt Schulz.
Von Anfang an waren die Auszubildenden miteingebunden, schätzten ihre Stärken ab und überlegten, was noch geübt werden müsste, damit das Projekt in die Tat umgesetzt werden konnte. Über das Klischee der faulen Generation Z kann Nina Schulz nur lachen: „Das haben unsere Großeltern doch schon zu unseren Eltern gesagt. Die Jungen taugen nichts, die machen dauernd krank und hängen nur am Handy. Jede neue Generation bringt scheinbar den Untergang. Erstaunlicherweise sind wir immer noch hier.“

Schulz findet es wichtig, mutig zu sein und mit der Zeit zu gehen, die jungen Mitarbeiter „einfach mal machen zu lassen.“ Denn anders sei nicht zwingend schlechter, betont die Inhaberin.
Mehr Rechte und mehr Pflichten
Das kleine Universum, das am Viehmarktplatz entstanden ist, ist der beste Beweis dafür. Personalreferentin Melanie Eenhuis meint: „Es ist wie, wenn man mit links schreibt, alles ist neu, aber man kommt auf ganz andere Ideen.“ Im Backvorbereitungsraum seien die Azubis vielleicht am Handy, dafür sei fünf Minuten später ein Instagram-Post online, in dem sie die frischen Brötchen bewerben.
„Die Azubis dürfen mehr, sie müssen aber auch mehr“, unterstreicht Nina Schulz. Dass mehr Freiraum mehr Verantwortung bedeutet, weiß auch Natalie Laktjuschin. In der Azubi-Woche wurde sie zur Bäckerei-Chefin befördert. Bestellungen machen, in der Bäckerei für ein ansprechendes Bild sorgen, die Kollegen einteilen – alles Neuland für die Auszubildende im zweiten Lehrjahr.
Trotz des anfänglichen Stresses, ist sie dankbar für die Erfahrung: „Dass uns diese Verantwortung von unseren Chefs anvertraut wurde, dass wir die Möglichkeit haben, zu zeigen, was wir drauf haben, ist wirklich besonders. Viele stecken nicht so viel Mühe in die Ausbildung ihrer Mitarbeiter.“
„Wir machen einfach unsere eigenen Fachkräfte“
Laktjuschin hat Recht: Denn während im Edeka Schulz ein ganzer Laden von Azubis geleitet wird, beklagen andere Unternehmen einen Mangel an Bewerbern. Die Ausbildungsquote bei Edeka Schulz hingegen sei „unfassbar gut“ – das habe sich auch mit dem wertschätzenden Umgang zu tun, meint Nina Schulz. Von den 200 Mitarbeitern in allen Filialen sind 25 Auszubildende, und 16 der 19 Ausgelernten wurden dieses Jahr direkt übernommen. Auch die Mehrheit der engsten Führungskräfte habe als Azubis angefangen. „Wir machen einfach unsere eigenen Fachkräfte“, sagt Eenhuis.

Auch Lea-Denise Baber hat sich dazu entschieden, ihren Weg bei dem Unternehmen weiterzuführen. Nachdem sie im Juli ihr drittes Lehrjahr erfolgreich abgeschlossen hatte, besucht sie aktuell eine Fortbildung des Junioren-Aufstiegsprogramms, wo sie ihr Wissen über Führung und Organisation ausbauen kann. Die Azubi-Woche hat sie in diesem Vorhaben noch einmal bestärkt: „Ich glaube, das war für alle, egal ob im ersten, zweiten, dritten Lehrjahr ein Schritt hin zur Selbstständigkeit. Dass man weiß, die Entscheidung, die ich treffe, ist richtig und gut so. Und selbst wenn nicht, dann lernt man eben aus seinen Fehlern.“
Kaum hat Baber ihren Satz beendet, ertönt plötzlich ein lautes Piepsen. Kurz bricht Unruhe aus, niemand scheint zu wissen, wie man das Geräusch abstellt, einige Kunden schauen sich desorientiert um. Nina Schulz und Melanie Eenhuis stehen etwas ratlos daneben. Dann kommt Ahmad Alhelali, macht eine schnelle Handbewegung und das Piepsen der Eingangsschranke stoppt. „Einfach ausmachen“, sagt er und kehrt zu seiner ursprünglichen Aufgabe zurück. Für ihn ist das längst Routine.