Beat Schmid

Auch die Schweizer Atomkraftwerke Leibstadt und Beznau bei Waldshut sehen sich einer neuen Kosten-Diskussion ausgesetzt. Die neue eidgenössische Umweltministerin Simonetta Sommaruga will von den Betreibern mehr Geld für die spätere Stilllegung der Reaktoren verlangen. Bis zu 2,5 Milliarden Franken sollen die Konzerne zusätzlich zahlen. Die großen Schweizer Energiekonzerne wehren sich gegen Mehrkosten für die Stilllegung von Atomreaktoren und die Entsorgung des Atommülls. Auch die Kantone fürchten um ihre Dividende.

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Es geht dabei um die Beiträge, die unter Federführung des Energiedepartements (Uvek) in die zwei Fonds für die Stilllegung der Atommeiler und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle überwiesen werden müssen. Die zusätzlichen Kosten, die die Betreiber Axpo, Alpiq und BKW zu berappen haben, belaufen sich auf jährlich 249 Millionen Franken, wie bisher unveröffentlichte Berechnungen der Energieversorger zeigen. Bis zum Zeitpunkt der Abschaltung der Atommeiler – die Energiebranche rechnet mit einem Leistungsbetrieb von 50 Jahren – belaufen sich die zusätzlichen Kosten gemäß den Berechnungen auf 2,571 Milliarden Franken.

Jahresgewinn wird geschmälert

Die Mehrkosten schlagen direkt auf die Erfolgsrechnungen der Konzerne durch. Das heißt: Der Jahresgewinn wird um diese Beträge geschmälert. Angesichts der schwierigen Ertragslage im Stromgeschäft ist es nicht ausgeschlossen, dass die Unternehmen durch die neuen Bestimmungen in die roten Zahlen gezogen werden oder keine Dividenden zahlen können.

100 Millionen Franken pro Jahr zusätzlich

Zum Beispiel Axpo: Das Unternehmen schrieb 2018 einen Gewinn von 131 Millionen Franken. Mit dem AKW Beznau, das der Axpo zu 100 Prozent gehört, sowie mit ihren Anteilen an Leibstadt und Gösgen muss das Unternehmen rund 40 Prozent der Zusatzkosten schultern: Das macht für den Stromkonzern aus Baden AG rund 100 Millionen Franken aus, die er pro Jahr zusätzlich in die Fonds einschießen muss.

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Die Festlegung der Geldbeträge, mit denen die Fonds gefüttert werden, ist technisch komplex und politisch umstritten. Zentrales Regelwerk ist die sogenannte Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung (kurz SEFV). Diese befindet sich derzeit in Überarbeitung und sieht eine Reihe von Veränderungen vor, die zu Mehrbelastungen führen. So soll der Einfluss der Konzerne in den Verwaltungsgremien auf einen Drittel gesenkt werden. Zweitens sollen die eingeschossenen Gelder bei Überdeckung nicht mehr an die Firmen zurückgezahlt werden, sondern für 100 Jahre auf ein Sperrkonto kommen. Dritter und heikelster Punkt: Die sogenannte Realrendite der Fonds soll von zwei auf 1,6 Prozent (Rendite minus Teuerung) gesenkt werden. Das bedeutet, dass mit einer tieferen Verzinsung des Fondsvermögens am Kapitalmarkt gerechnet wird.

Kraftwerksbetreiber lehnen Vorschläge ab

Die Kraftwerksbetreiber lehnen alle drei Verschärfungen ab. Besonders scharf kritisieren sie die Senkung der Realrendite: Sie argumentieren, dass die beiden Fonds seit Bestehen eine durchschnittliche Realrendite von 3,6 beziehungsweise 4,3 Prozent erwirtschaftet haben. Also deutlich mehr als der einkalkulierte Zins von zwei Prozent.

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Andrew Walo, Konzernchef der Axpo, erklärte: "Die Fonds haben seit ihrem Bestehen deutliche Überrenditen erwirtschaftet, trotz schwieriger Börsenjahre wie etwa die Dotcom-Blase oder der Finanzkrise 2008." Der Axpo-Chef versteht deshalb nicht, dass man "jetzt den Betreibern höhere Beiträge aufbürdet, obwohl die Fonds heute schon Überschüsse aufweisen". Tatsächlich befindet sich in den Fonds deutlich mehr Geld als zum jetzigen Zeitpunkt verlangt. "Unter dem Vorwand der momentanen Zinsdiskussion werden nun den Betreibergesellschaften von Kernkraftwerken wie Axpo willkürlich Mittel entzogen."

Das Geld fehlt dann anderswo

Dieses Geld fehle nun anderswo, sagt Walo. Zum Beispiel für "dringend benötigte Investitionen in die Wasserkraft oder beim Aufbau neuer, innovativer Geschäftsfelder". "Der Umbau des Energiesystems ist politisch gewollt, großen Investoren wie Axpo sollen aber gleichzeitig die Hände gebunden werden – das ist ein energiepolitisches Eigentor", sagt Walo.

Anderen geht die Verodnung nicht weit genug

Ganz anders sieht das die Schweizerische Energiestiftung. Ihr geht die Verordnung viel zu wenig weit. Deren Geschäftsführer, Nils Epprecht, befürchtet, dass die AKW-Betreiber zu günstig wegkommen könnten und die Last für den Atommüll an den Steuerzahlern hängenbleibt.

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Atomkritische Seiten befürchten offenbar, dass die Kraftwerksbetreiber unter den jetzigen Bedingungen einen Anreiz hätten, die Kraftwerke weit über die Laufzeit von 50 Jahren hinaus zu betreiben. Man müsse aufpassen, dass das System zur Sicherstellung der Mittel für Stilllegung und Entsorgung nicht zu gefährlichen Fehlanreizen führe oder "gar einen ökonomischen Druck für längere Laufzeiten erzeugt", heißt es in einer Stellungnahme. In der Tat ist es so, dass Atomkraftwerke ab dem 50. Betriebsjahr kostengünstiger betrieben werden können, weil dann keine Gelder mehr in die Fonds einbezahlt werden müssen. Es ist wie bei einem abgezahlten Haus, in dem es sich günstiger leben lässt. Diese Aussichten sind für AKW-Kritiker ein Graus.