53 Jahre sind vergangen, seitdem Maria und Georg Geng das Haus gebaut haben, in dem die beiden 79-Jährigen heute noch wohnen. Sie schätzen die idyllische Lage, direkt am Waldrand des 700-Einwohner-Orts Harpolingen. Der Ortsteil von Bad Säckingen ist ein reizvoller Standort, der aber auch Probleme mit sich bringt. "Seit im Dezember der Lebensmittelladen zugemacht hat, gibt es in Harpolingen keine Einkaufsmöglichkeiten mehr", bedauert Maria Geng. Lebensmittel kauft das Ehepaar im acht Kilometer entfernten Bad Säckingen.
Noch macht es ihnen nichts aus, mehrmals in der Woche die steile Serpentinenstraße zu nehmen und ihre Einkäufe anschließend vom Auto ins Haus zu tragen. Trotzdem bedauern die Gengs, dass ihr Heimatort mit dem "Lädle" einen echten Treffpunkt verloren hat.
Gute Versorgung mit Lebensmitteln
Sie sind mit ihrem Problem nicht alleine. Denn auch, wenn der Landkreis Waldshut wirtschaftsstark ist – im Vergleich zum Bundes-Durchschnitt ist die Arbeitslosenquote nicht einmal halb so hoch – ist er doch ländlich geprägt. Pro Quadratkilometer leben 145 Einwohner und damit weniger als halb so viele, wie es in Baden-Württemberg durchschnittlich der Fall ist. Nur sieben Kommunen haben mehr als 7000 Einwohner. "Dabei wird eine Zweiteilung deutlich", sagt Kai Müller vom Amt für Wirtschaftsförderung.
Am Hochrhein stelle die Versorgung mit Lebensmitteln kein Problem dar. In den dünn besiedelten Höhenlagen hingegen gebe es weit weniger Einkaufsmöglichkeiten. Eine vom Landratsamt in Auftrag gegebene Studie des Forschungsunternehmen Prognos kam 2015 zu dem Ergebnis, dass der demografische Wandel sich hier drastisch auf die Nahversorgung auswirkt.
In entlegeneren Gemeinden nehme die Abwanderung und Alterung der Gesellschaft zu. Gerade Angebote im Bereich des Einzelhandels seien von Schließungen bedroht, warnten die Forscher.
Das ist einer der Gründe, warum der Landkreis das Pilotprojekt "Große Emma" gestartet hat. "Damit soll eine tragfähige Versorgungsstruktur aufgebaut werden", erklärt Müller. Ziel sei es, Waren der Grundversorgung wohnortnah zu halten. Dazu nimmt der Land Geld in die Hand. Mit dem "Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum" stehe ein Förderprogramm zur Verfügung, das Einrichtungen der Grundversorgung unterstützt, erklärt Müller. Gesuche könnten Gemeinden, Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern und Privatpersonen stellen. "Der Landkreis räumt diesen Anträgen hohe Priorität ein und setzt sich dafür ein, dass eine Förderung zustande kommt." 1,2 bis 2,5 Millionen Euro werden vom Ministerium für den ländlichen Raum zur Verfügung gestellt. "Je nach Zahl und Qualität der Anträge sowie der Konkurrenzsituation in den Nachbarlandkreisen", erklärt Müller.
Von einer Finanzspritze können auch genossenschaftliche Modelle profitieren. Davon haben sich in der Region bereits eine Reihe etabliert. Ein Beispiel ist der Öflinger Dorfladen, der 2015 eröffnet wurde, nachdem die Geschäftsräume in der Jungholzer Straße lange leer standen. Die Gemeinde hatte sich darum bemüht, Supermärkte anzulocken. Es hieß aber, dass es nicht lukrativ wäre, eine Filiale in dem 3000 Einwohnerstarken Ortsteil von Wehr zu eröffnen. Schließlich fanden sich 360 Genossenschaftsmitglieder zusammen, die die Eröffnung eines eigenen Ladens initiierten.
Nach Startschwierigkeiten hat sich das Geschäft zum Treffpunkt entwickelt. Die Öflinger schätzen die familiäre Stimmung, zu der viele Helfer beitragen. "Acht Mitarbeiter sind angestellt, zwei von ihnen arbeiten Vollzeit. Dazu kommen zahlreiche Ehrenamtliche", erklärt Regula Weber-Gfeller. Noch vor wenigen Jahren war die 61-Jährige als Gärtnerin tätig. Heute ist sie Teil des dreiköpfigen Vorstandsteams. "Wir lernen jeden Tag dazu", sagt sie. Zum Beispiel sei es noch gewöhnungsbedürftig, Waren für den Weihnachtseinkauf im Sommer zu ordern. Stolz ist Regula Weber-Gfeller darauf, dass der Laden immer stärker auf regionale Produkte zurückgreift. Der Ziegenkäse kommt von einem Hof in Öflingen. Gemüse, Obst und Säfte bezieht man aus Rippolingen. "Dazu gibt es Schnaps aus Wallbach und Fleisch vom Hotzenwald", zählt Regula Weber-Gfeller einige Angebote auf.
Der Dorfladen ist ein Beispiel dafür, dass die Nahversorgung funktioniert, wenn Menschen sich zusammenschließen. Eine ähnliche Dynamik ist auch in Harpolingen zu beobachten. "Hier hat sich ein Verein gegründet, der älteren Menschen hilft, zum Beispiel bei Einkäufen", sagt Maria Geng. Nur mithilfe solcher Kooperationen könne die Versorgung lückenlos gelingen, glaubt auch das Landratsamt. "Langfristig geht es darum, Warenanbieter noch stärker über Gemeindegrenzen hinweg zu verbinden", betont Kai Müller. "Es gilt Versorgungsnetze zu knüpfen."
Ein Beispiel für Direktvermarktung: Bauernhof mit eiskalter Nische
Mit ihrer modernen Direktvermarktung und einer besonderen Nische leistet die Familie Maier aus Oberwihl (Gemeinde Görwihl) einen wichtigen Beitrag für die Nahverorgung im ländlichen Raum. Der Bauernhof der Familie Maier ist mehr als nur ein Bauernhof. Die von rund 200 Kühen produzierte Milch wird zwar von der Molkerei „Schwarzwaldmilch“ für deren Produkte verwendet, aber ein Teil bleibt auf dem Hof. Dort wird sie in der hofeigenen Molkerei verarbeitet – unter anderem zu Sahne-Eis. Mit ihrem „Bauernhofeis“ hat die Familie einen Hit gelandet. Nachzusehen unter anderem an den regionalen Naturparkmärkten, wo die Maiers jeweils einen eigenen, gut frequentierten Stand betreiben. „Wir stellen aus unserer frisch gemolkenen Milch und selber hergestellter Sahne regionales Sahne-Eis nach feinster handwerklicher Tradition her“, erklärt Michael Maier, einer der drei Söhne von Lothar und Sabine Maier. Neben den Klassikern wie Schoko-, Vanille-, Erdbeer- und Stracciatella-Eis bietet Maiers Bauernhof über das ganze Jahr auch besondere Eissorten an, unter anderem Heidelbeer-, Banane-Baileys- oder Pistazien-Eis. Das Besondere daran: Das „Bauernhofeis“ enthält weder künstlichen Aromen noch künstliche Farbstoffe, Bindemittel oder Konservierungsstoffe. Es ist nicht mit Luft aufgebauscht, dadurch fast doppelt so ergiebig wie Fabrikeis.
Die Serie
Was hat unsere Region zu bieten? Wie steht es um Kultur, Nahversorgung, Sport und Medizin? Der SÜDKURIER-Heimatcheck beleuchtet rund um diese Themen Probleme und Herausforderungen und bietet vier Wochen lang detaillierte Serviceelemente.