Eigentlich hat Carmen Vasi keine Zeit für viele Worte. Denn das Telefon im Stationszimmer klingelt erneut, zum ersten, zum zweiten, zum dritten Mal. Vasi hebt ab: "Ich komme", beruhigt die 52-Jährige die Person an der anderen Seite der Leitung. Ein pflegebedürftiger Bewohner benötigt seine Insulindosis. "Als Frühschicht sind wir eigentlich nur am Rennen und Machen", sagt Vasi, Pflegefachkraft im Seniorenheim St. Marienhaus in Bad Säckingen. Der Personalnotstand in der Altenpflege, er macht sich auch hier bemerkbar.

Es bleibt nur wenig Zeit für die Menschen

Um 19 Bewohner kümmert sich Carmen Vasi an diesem Morgen. Sie und zwei junge Männer, ein Pflegeschüler im dritten Lehrjahr und der Absolvent eines Freiwilligen Sozialen Jahres, schmeißen gemeinsam die Frühschicht. Vasi ist die einzige Fachkraft. Nur wenig Zeit bleibt an diesem Morgen für die grundlegenden Bedürfnisse. Zu dünn sei die Personaldecke, zu hoch der Pflegeaufwand bei einigen Senioren, sagt Vasi: "Für uns ist es das Schlimmste, dass wir einfach keine Zeit haben, uns so um unsere Bewohner zu sorgen, wie wir es gerne möchten und wie sie es verdienen." Es ist ein Beruf am permanenten Limit.

Die 52-Jährige ist laut der Bundesagentur für Arbeit einer von 2386 Menschen, die in den Landkreisen Waldshut und Lörrach in der Altenpflege arbeiten. Und obwohl die Zahl der Pflegekräfte hier in den vergangenen Jahren stetig stieg, deckt sie den Bedarf nach Fachpersonal nicht. Eine Lage, die sich laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) weiter verschärfen wird: Sie besagt, dass im Jahr 2035 deutschlandweit vier Millionen Menschen pflegebedürftig sein werden. Eine Millionen mehr als noch 2013.

Fachkräfte fehlen in Bad Säckingen

"Die Altenpflege hat sich in den vergangenen 25 Jahren stark verändert und entwickelt", sagt Hartmut Fricke, Geschäftsführer der Seniorenheime St. Marienhaus und St. Franziskus sowie Vorsitzender des Demografie-Strategischen Forums Bad Säckingen. "Der Personalschlüssel aber wurde erst vor drei Jahren angepasst." Und das nur unzureichend, wie Fricke findet. Von einem Notstand möchte er in seinen Einrichtungen aber nicht sprechen. "Bei uns sind alle Stellen besetzt", erklärt Fricke. "Wir sind immer noch in der Lage, eine gute Versorgungsleistung zu erbringen." Er weiß aber auch: "Wenn ein oder mehrere Mitarbeiter ausfallen oder im Urlaub sind, kann es durchaus zu Engpässen kommen."

Aus einer anderen Pflegeeinrichtung in Bad Säckingen, die namentli ch nicht genannt werden will, kommen deutlichere Worte: Hier ist die Rede von "gravierenden Personalproblemen", von offenen Fachkräftestellen, die nicht besetzt werden können. Denn auf dem Markt, so heißt es weiter, müsse sich mittlerweile der Träger beim Bewerber bewerben.

"In den letzten Wochen und Monaten hatte ich durchaus Zweifel, ob ich noch einmal antreten soll." Hartmut Fricke, SPD-Gemeinderat
"In den letzten Wochen und Monaten hatte ich durchaus Zweifel, ob ich noch einmal antreten soll." Hartmut Fricke, SPD-Gemeinderat | Bild: Kanele, Susanne

Um derartige Situationen zu verhindern, forderte Gesundheitsminister Jens Spahn zuletzt, Fachkräfte auch aus dem Ausland anzuheuern. Eine Idee, die nicht überall gut ankommt: "Das kann nicht Sinn der Sache sein", findet Hartmut Fricke. "Damit blutet man die Pflegekapazitäten anderer Länder aus." Was für Folgen eine solche Politik hat, erfährt Fricke in der Grenzregion am Hochrhein selbst. "Natürlich zieht es hier immer wieder gut ausgebildete Fachkräfte aus Deutschland in die Schweiz." Auch in seinen Häusern komme das vor.

Wegen schwierigen Arbeitsbedingungen in die Schweiz

Mareike Metzger zog es in die Schweiz. Die 26-Jährige Bad Säckingerin kennt die Situation in Seniorenheimen auf beiden Seiten des Rheins. Sie arbeitet heute im schweizerischen Laufenburg als Fachkraft. Sieben Jahre lang hatte sie zuvor in Deutschland Senioren versorgt. Eine hohe Arbeitsbelastung war für sie der Normalzustand: "Die Bedingungen sind für Pfleger auf der deutschen Seite der Grenze überall gleich schlecht", weiß Metzger.

Mareike Metzger stammt aus Bad Säckingen und arbeitet seit einem Jahr als Pflegefachkraft in der Schweiz.
Mareike Metzger stammt aus Bad Säckingen und arbeitet seit einem Jahr als Pflegefachkraft in der Schweiz. | Bild: Reinhardt, Lukas

In der Schweiz, erzählt die 26-Jährige, kümmern sich pro Schicht nun doppelt so viele Pflegekräfte um die Senioren. "Was bleibt, ist mehr Zeit für den Menschen." In Zahlen bedeutet das bis zu einer halben Stunde am Tag mehr pro Bewohner. Und auch die Fachkraftquote, in Deutschland 50 Prozent, ist an ihrem neuen Arbeitsplatz höher: "Das nimmt den Druck, denn pflegerische Maßnahmen können so besser verteilt werden." Ein wichtiger Grund, warum sie sich damals für den Schritt in die Schweiz entschied.

Mehr Anerkennung und mehr Lohn

Die Arbeit südlich des Rheins bedeutet aber nicht nur weniger Dauerstress, sondern auch mehr Lohn und Anerkennung: "Ich fühle mich in der Schweiz mehr wertgeschätzt, genieße hier auch mehr Vertrauen von den Ärzten", erzählt Metzger. Ihrer Meinung nach sollte man in Deutschland versuchen, den Beruf der Pflegefachkraft nach Schweizer Vorbild attraktiver zu gestalten, um so mehr junge Leute für diese Arbeit zu gewinnen. Und um auf diese Weise das häufig überlastete Pflegepersonal zu entlasten. "Letztendlich kannst du andere Menschen nur gut pflegen, wenn es dir selber gut geht." Das weiß Mareike Metzger mittlerweile.

Im St. Marienhaus in Bad Säckingen hat Carmen Vasi damit begonnen, die morgendliche Medikamenteneinheiten an die Bewohner zu verteilen. Sie kann verstehen, dass viele Pflegeschüler nach ihrer Ausbildung in die Schweiz wechseln. "Aber natürlich versuche ich, unsere neuen Schüler so zu motivieren, dass sie bleiben", sagt sie lächelnd. Denn die Arbeit mit den Senioren bedeutet Vasi viel.

Auch deshalb sorgen die aktuellen Bedingungen mitunter für Frust bei der 52-Jährigen. "Unsere Bewohner sind sehr sensibel und merken so etwas, auch wenn man versucht, es zu verstecken", sagt Vasi. Sie fordert mehr Anerkennung für ihren Beruf, besonders vonseiten der Politik: "Herr Spahn sollte mal einen Tag in der Altenpflege arbeiten, dass er mitreden kann."

Mehr Geld für bessere Pflege nötig

Auch Hartmut Fricke sieht die Politik in der Pflicht, bessere Rahmenbedingungen für die Altenpflege zu schaffen. "Es gilt Steuergelder freizumachen", sagt er. Um die Pflege zu stützen, brauche es Zuschüsse und Förderungen für die Einrichtungen. Zudem, so fordert Fricke, müsse es ein gesellschaftliches Umdenken geben: "Wir sollten aufhören, den den Beruf nur schlecht zu reden. Altenpflege ist sinnstiftend und zudem hoch anspruchsvoll."