Frau Tschan, Sie haben im April die über zweieinhalb Jahre offene Stelle als Diakonin der evangelischen Kirchengemeinde angetreten. Haben Sie sich gut im Städtle eingelebt?

Ich wurde sehr herzlich empfangen und die Gegend zwischen Wutach, Rhein und Schwarzwald gefällt mir sehr gut. Im Sommer habe ich die Region bereits mit meinem Fahrrad erkundet und muss zugeben: Ich bin ein echtes Schwarzwaldmädel, das die Natur in Südbaden liebt. Auch dass die Christuskirche und das Pfarrhaus in Tiengen so nah an der historischen Altstadt liegen, ist richtig toll.

Was macht eine Diakonin eigentlich genau?

Als Diakonin bin ich sehr vielseitig im Einsatz, bin als Seelsorgerin Ansprechpartnerin für Sorgen und Nöte der Menschen, richte die Kinderkirche und den Mini-Gottesdienst aus, betreue und unterrichte unsere aktuell 14 Konfirmanden. Außerdem unterrichte ich sechs Stunden pro Woche den evangelischen Religionsunterricht an der Hans-Thoma-Grundschule in Tiengen. Rein theoretisch darf ich auch Trauungen, Taufen, Bestattungen und normale Gottesdienste durchführen – ich habe mit Pfarrerin Susanne Illgner ja aber eine tolle Kollegin, die diese Aufgaben in unserer Kirchengemeinde übernimmt.

Mit 23 Jahren sein Leben der Kirche zu widmen, ist heutzutage recht ungewöhnlich. Wie haben Sie selbst zum Glauben gefunden?

Kirche und Glaube spielten in meiner Familie überhaupt keine Rolle. Eine Freundin nahm mich in einem Sommer mit in die Jungschar-Gruppe in Donaueschingen und ich habe mich im Kreise der Kirchengemeinde sehr wohlgefühlt. Mit 14 Jahren habe ich mich aus freien Stücken entschieden, mich taufen zu lassen.

Die meisten von uns können sich an die eigene Taufe nicht erinnern. Wie hat sich das angefühlt?

Friedlich. Für mich haben Taufe und Segen etwas von Geborgenheit. In der Kirchengemeinde und mit Gott habe ich eine Art Heimat gefunden, die mir Kraft und Zuversicht schenkt. Durch Gott fühle ich mich geliebt, aufgehoben und nie alleine.

Wie haben Ihre Eltern damals reagiert?

Sie waren sicher verwundert, aber haben mich in meinem Wunsch, Gott näherzukommen, unterstützt. Mein Vater ist Software-Ingenieur, meine Mutter Professorin für Mathematik und Informatik – beide waren schon vor meiner Geburt aus der evangelischen Kirche ausgetreten.

Ihre Eltern sind also eher Kopfmenschen der Wissensgesellschaft. Wenn Wissenschaft auf Kirche trifft, ist das für viele Menschen ja ein Gegensatz…

Das muss aber nicht sein. Man kann die Bibel eher konservativ auslegen und das geschriebene Wort wörtlich und streng als Faktenbericht und Regelwerk interpretieren. Für viele Gläubige gehen Wissenschaft und Glaube aber auch Hand in Hand. Ich betrachte die Bibel zum Beispiel aus einer historischen Perspektive heraus, versuche beim Lesen zu verstehen, in welchem Kontext die Texte geschrieben wurden und welcher Zeitgeist damals herrschte. Für mich ist sie eine Sammlung aus Glaubensberichten, aus denen wir viel über Menschlichkeit, Freundschaft, Liebe, Streit und Versöhnung lernen können.

Und wann stand für Sie fest, dass Sie auch Ihr Berufsleben Gott und der Kirche widmen möchten?

Ich habe mich seit der Taufe in der Kirchengemeinde in Donaueschingen ehrenamtlich und musikalisch engagiert, war Jugendleiterin und Kirchengemeinderatsmitglied, sang in der Kantorei, spielte Orgel und Blockflöte. Das Gefühl von Zugehörigkeit war seither immer da. Dass ich Glauben und Zuversicht weitergeben möchte, wusste ich nach einem Schülerpraktikum in der zehnten Klasse. Die Vielseitigkeit dieses Berufes und die Nähe zu den Menschen erfüllen mich sehr.

Wie hat es Sie nach Tiengen verschlagen?

Lustigerweise war ich vor drei Jahren an einem Orgelkurs in Heidelberg und ein Mann aus Waldshut-Tiengen sprach mich an, ob ich mich nicht auf die Diakoninnen-Stelle in Tiengen bewerben möchte. Damals war ich aber noch mitten im Studium. Heute habe ich genau diese Stelle. Es gab zahlreiche Angebote in Baden. Ich wollte aber in Südbaden bleiben und eine Stelle finden, die zu meinen Werten und zu meinem theologischen Profil passt. Mir war eine Kirchengemeinde wichtig, die für alle Menschen da ist und sich auch vor queeren Menschen nicht verschließt, zum Beispiel auch gleichgeschlechtliche Paare traut. In Pfarrerin Susanne lllgner habe ich eine sehr tolerante, offene und herzliche Kollegin gefunden, die diese Werte teilt.

Klingt so, als würde es bei solch einem Vorstellungsgespräch in der Kirche direkt ans Eingemachte gehen?

Das ist tatsächlich so und es ist auch enorm wichtig, weil die Werte und die Ausrichtung passen müssen. In einem zu konservativen Umfeld, das die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und den Zeitgeist ignoriert, wäre ich nie glücklich geworden.

Gibt es in der Kirchengemeinde in Tiengen spezielle Aktionen zu solch kritischen Themen?

Wir haben einige Ideen, aber es ist noch nichts spruchreif. Was wir bereits umgesetzt haben, ist eine feste Rubrik zum Thema „Vielfalt“ in unserem viermal pro Jahr erscheinenden Gemeindebrief. Wir möchten klar signalisieren: Diskriminierung wollen wir in unserer Kirche nicht – und egal welche Herkunft, Sexualität oder Geschlechtsidentität ein Mensch hat, er ist herzlich willkommen. Die Kirche soll ein Ort sein, wo wir alle sein können, wie wir sind.

Gibt es Dinge, die Sie in Tiengen gerne verändern oder umsetzen möchten?

Die Gemeinde in Tiengen ist bunt und vielseitig aktiv, zum Beispiel mit Sommer-Gottesdiensten im Grünen. Das macht richtig Spaß. Und in diesem Jahr lassen wir die Mini-Gottesdienste für Kinder unter sechs Jahren nach rund anderthalb Jahren Pause wieder aufleben. Langfristig würde ich mich freuen, Kinder- und Jugendliche bei selbst gewählten und gestalteten Aktivitäten unterstützen zu können. Aktuell ist der Jugendkreis sehr klein. Dass er kräftig wächst, das wünsche ich mir.

Ein Leben für die Kirche heißt auch: Sonntagsdienst ist Pflicht, oder?

Ja, aber das macht mir nichts aus. Gottesdienste geben auch mir viel Kraft und erden mich.

Zur Person und zur Kirchengemeinde:

Was machen Sie am liebsten, wenn Sonntagsdienst und Unterrichtsvorbereitung geschafft sind?

In den warmen Monaten radele ich am liebsten durch die Natur. Mit einer Freundin bin ich auch schon drei Monate am Stück die Nordseeküste entlanggefahren – von den Niederlanden bis nach Dänemark. Wenn es kalt und grau ist: puzzeln. In meiner Wohnung im Pfarrhaus habe ich sogar einen ganzen Raum in Beschlag genommen, in dem aktuell drei große Puzzles liegen – das größte hat 5000 Teile und zeigt viele verschiedene Sehenswürdigkeiten aus aller Welt.

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