Herr Schimanek, ist Siedlungsbau aus ihrer Sicht heute noch zeitgemäß?
Der Siedlungsbau nach dem 1. Weltkrieg hatte eine sozial ausgleichende Wirkung: heimkehrende Soldaten sollten einen gesicherten Wohnraum erhalten. Damals wurde sehr viel Eigen- oder auch in verpflichteter Gemeinschaftsleistung geschaffen. Nachbarschaftliche Hilfe war notwendig und selbstverständlich. Heute haben sich die Ansprüche gewandelt. Ein Ein- oder Zweifamilienhaus heute ist nicht vergleichbar mit jenen einfachen Siedlerhäusern. Für heutige Politiker könnte das mutige sozialreformerische Modell, auch sozial schwächeren Personenkreisen Zugang zum selbst genutzten Wohneigentum zu ermöglichen, ein Vorbild sein.
Was macht den Charme des Siedlungsbaus aus den 1920er/30er Jahren aus?
Zweifelsohne ist die Kombination Wohnen mit angrenzendem Garten das charakteristische Merkmal der Kleinsiedlung. Jedoch war der Garten kein „erweitertes Wohnzimmer“, sondern er lieferte einen eminent wichtigen Beitrag für die Ernährung der (oftmals) Mehrgenerationen-Familie. Obst- und Gemüseanbau, wie auch die Kleintierzucht, stellten die Ernährung sicher. Diese große und „teure“ Fläche wird heute zur Kapitalisierung des Bodes sowie zur Verdichtung des Wohnraums genutzt. Leider oft auf Kosten des Mikroklimas, der Artenvielfalt und dem Anbau von natürlichen Lebensmitteln.
Wie sieht moderner Siedlungsbau heute aus?
Siedlungsbau erfolgt heute als eng und dicht bebautes Haus mit Stellmöglichkeit für das eigene Auto. Die Tendenz zur Kleinstfamilie und zur Abschottung ist oft architektonisch vorgegeben. Den heutigen Siedlungen fehlt oft der soziale Mittelpunkt – etwa in Form von Multifunktionsräumen für das identitätsstiftende Miteinander und die Nachbarschaftspflege, wie sie in vielen Siedlungen früher üblich war.
Sind Neubaugebiete heutiger Prägung so etwas wie moderner Siedlungsbau?
Heutige Neubausiedlungen orientieren sich eher an amerikanischen Vorstädten des dortigen Mittelstands, denn an den klassischen Kleinsiedlungen. Ein freistehendes Haus, mindestens mit einem Auto-Stellplatz und einer Garage, einem Garten, der nicht mal mehr mit Pflanzen, sondern Skulpturen, farbigen Schotter- und Kieselsteine belegt ist, scheint der Standard zu sein. Zudem „mauert“ man sich oft regelrecht ein und schirmt seine Privatheit ab. In unserer regulierten Gegenwart gibt es natürlich Bauvorgaben und Bebauungspläne, die die individuelle Gestaltung der „eigenen Scholle“ beschneiden und beschränken. Bauvorgaben helfen aber auch, dass so etwas wie ein gewachsenes Straßen- und Siedlungsbild entsteht. Es ist sinnvoll, wenn die Kommune hier Vorgaben erlässt.
Was unterscheidet heutige Neubaugebiete von Siedlungsbau?
Der Grad der motorisierten Individualmobilität und die starke Bedeutung des Autos für die Familien und Bewohner ist wohl der Hauptunterschied. Dominierte früher die gärtnerische Nutzung, steht heute die ästhetisch gestaltete Bequemlichkeit im Vordergrund. Das Abschotten und Abgrenzen gegenüber dem Nachbarn scheinen deutlich größer zu sein, als dies früher der Fall war. In den Siedlungsgebieten fehlen oft die eminent wichtigen Begegnungsräume. Zudem ist die Wohnfläche je Bewohner erheblich größer als früher.
Wie sehen Sie den anhaltenden Bauboom?
Der Verband Wohneigentum sorgt sich sehr, dass der Bauboom zu einer so dramatischen Verteuerung des Bodens aber auch der Bauleistung geführt hat. Einkommensschwächeren Kreisen der Bevölkerung fällt es immer schwerer – gerade in den Ballungsgebieten – die Mietsteigerungen zu verkraften. Sie sind weitgehend vom Erwerb von Wohneigentum ausgeschlossen. Wenn sich nur noch Ingenieure, Ärzte, Rechtsanwälte und Unternehmer Wohneigentum leisten können, gedeiht eine Neidkultur. Der Verband Wohneigentum tritt dafür ein, dass auch einkommensschwächere Menschen sich Wohneigentum leisten können – auch auf der Grundlage von Erbpacht-Verträgen, so dass der Erwerb des Grundstücks, die Grunderwerbsteuer sowie der Notarkosten nicht gleich zu Buche schlagen.