Mehr als 132.000 Impfdosen wurden bislang im Kreisimpfzentrum (KIZ) in Tiengen und in den Praxen der niedergelassenen Ärzte im Landkreis Waldshut verimpft. Doch es könnten noch deutlich mehr sein, es gibt genügend Impfstoff, und es müssten deutlich mehr sein, wie der Mediziner und Pandemiebeauftragte des Landkreises, Olaf Böttcher aus Rickenbach, gegenüber den Medien erklärte. Nur wenn zügig weiter geimpft werde, könne die Herdenimmunität erreicht (80 Prozent der Bevölkerung) und eine vierte Welle abgewendet werden. Viele Impfschwänzer, also Menschen, die freiwillig auf den zweiten Pieks verzichten, gebe es im Landkreis Waldshut nicht.
Um das Tempo zu erhöhen, hat die Waldshuter Kreisbehörde ein Bündel an Maßnahmen aufgelegt. Landrat Martin Kistler: „Wir wollen niederschwelliger werden.“ Dazu hat der Landkreis eine eigene Terminhotline (07751/865151) und eine eigene Internetplattform für Impfwillige eingerichtet. Im Kreisimpfzentrum gibt es seit dem 28. Juni 2021 sogenannte Spontantage. Das heißt, jeder der sich impfen lassen möchte, kann ohne Voranmeldung von 9 bis 13 Uhr in die Stadthalle nach Tiengen kommen.

Vor allem aber wurden die Wartezeiten zwischen dem ersten und dem zweiten Impftermin stark verkürzt. So erhalten Interessierte im Kreisimpfzentrum in Tiengen künftig Erst- und Zweiimpfungen mit Biontech im Abstand von drei Wochen (bislang sechs Wochen). Bei den sogenannten Kreuzimpfungen, also erste Impfdosis mit Astrazenca, die zwei Dosis mit Biontech oder Moderna, verkürzt sich der Abstand auf vier Wochen (bislang acht bis zwölf Wochen). Zudem hat das Landratsamt einen Flyer in neun Sprachen aufgelegt, der an Gemeinden, Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen und die Caritas versandt wurde, um gezielt ausländische Mitbürger zu erreichen, wie Kistler erklärt.
Impftermin für alle ab Zwölf
Da über die offizielle Plattform derzeit nur Termin für Jugendliche ab 16 Jahren vergeben werden, habe sich seine Behörde zudem gezielt an alle Schulen im Landkreis gewandt, um dort auch für das Impfen ab Zwölf zu werben. In Bad Säckingen haben die Beruflichen Schulen das Angebot aufgegriffen und Klassenzimmer in ein kleines Impfzentrum verwandelt. Mitarbeiter des mobilen Impfteams hab so an einem Vormittag 54 Jugendliche geimpft. Und zu guter Letzt „habe ich mit dem jeweiligen Bürgermeister alle Vereine in den Kommunen in unserem Landkreis gezielt angeschrieben“. Schließen seien Vereine besonders stark von den Einschränkungen durch die Pandemie getroffen gewesen.
Das Angebot, auch allen Kindern ab zwölf Jahren das Impfen zu ermöglichen, „ist auf eine gute Resonanz gestoßen“, erklärt Landrat Martin Kistler. Und der Mediziner Olaf Böttcher wirbt nachdrücklich für das Impfen von Kindern: „Ich bin ohne Wenn und Aber für das Impfen von Kindern ab dem zwölften Lebensjahr.“
Deshalb werde der Impfstoff seit ein paar Tagen auch gezielt Schulen angeboten. Böttcher verweist in diesem Zusammenhang auf die Entwicklung in Großbritannien. Dort seien aktuell etwa 160.000 Schüler mit dem Coronavirus infiziert. Das Impfen von Kindern sei auch mit Blick auf eine Normalisierung des Schulbetriebs und das Erreichen der Herdenimmunität wichtig, unterstreicht Böttcher.
Sogenannte Impfschwänzer, also Bürger, die nach der Erstimpfung bewusst auf die notwendige Zweitimpfung verzichten und so einen bereits vereinbarten Impftermin verstreichen lassen, gebe ist im Landkreis Waldshut im größeren Stil nicht. Solche Fälle habe es im Kreisimpfzentrum in Tiengen durchaus schon gegeben, aber dafür gebe es dann eine Springer- und Nachrückeliste, um keinen Impfstoff wegwerfen zu müssen. Auch in den Praxen der niedergelassenen Ärzte im Landkreis Waldshut gebe es im Prinzip keine Impfschwänzer, so Olaf Böttcher. Was es aber schon gebe, so der Rickenbacher Mediziner, seine Fälle, bei denen sich Impfinteressierte an mehreren Stellen um Termine bemühen und bei mehreren Zusagen die nicht benötigen Termine nicht absagen.
Die aktuellen Empfehlungen der Impfkommission
Strafen für Impfschwänzer hält Olaf Böttcher für „völligen Quatsch“. Eine Meinung, die Landrat Martin Kistler inhaltlich teilt. Der Landrat: „Wir müssen aus gesellschaftlicher Verantwortung um das Impfen werben.“ Und Böttcher ergänzt: „Wir müssen die Menschen motivieren, überzeugen, aber nicht zwingen.“ Gleichwohl sind sich beide in einem weiteren Punkt einig: Das Impfen muss jetzt passieren und nicht erst nach den Sommerferien, um eine mögliche vierte Welle zu vermeiden. Kistler: „Im September ist es zu spät.“
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Deutliche Kritik an der Politik
Nicht hilfreich seien dabei die ständig neuen Regelung, fasst Olaf Böttcher die Stimmung unter den Ärzten zusammen und dann noch nachzulegen: „Die Politik macht uns das Leben zu Hölle.“ Was heute gelte, könne schon morgen wieder passé sein. Da müsse man sich über einen nachlassenden Impfwillen nicht wundern. Alles in allem sei zwischenzeitlich „alles sehr mühsam“. Böttcher: „Manche Praxen haben die Nase voll.“ Und nicht nur das: Die Kühlschränke der Arztpraxen im Landkreis Waldshut mit Astrazeneca seien voll. Auch „wenn wir bislang noch keine einzige Ampulle wegwerfen mussten, wird der Tag X kommen, an dem das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist“.