Zum 30. Juni läuft das bisher geltende Gesetz zur Regulierung des Glücksspiels auch in Baden-Württemberg aus. Alle Bundesländer haben sich in einem Staatsvertrag darauf geeinigt, Glückspiel nach dem Vorbild von Schleswig-Holstein im Internet zu erlauben. Im Gegenzug gelten für Spielotheken in den Kommunen schärfere Vorgaben. In einigen Bundesländern gilt ab dem 1. Juli deshalb eine Übergangsfrist für die Betreiber von Spielhallen – in Baden-Württemberg aber nicht.

1. Was sagt die Landesregierung zum neuen Gesetzt?

Nach Informationen aus dem für Glücksspiele zuständigen Innenministerium in Stuttgart, ist es nun auch privaten Anbietern „unter strengen Bedingungen“ erlaubt, bislang in Deutschland verbotene Online-Glücksspiele anzubieten. Damit werde eine legale und sichere Alternative zu den auf dem Schwarzmarkt angebotenen Spielen ermöglicht. Eine bundesweite Regelung sei zur rechtlichen Abstimmung wichtig. Auch für die Anbieter sieht das Ministerium Vorteile, die ihre Angebote nun vereinheitlichen und erfolgreicher gegen illegale Angebote vorgehen können, wenn sie geschlossen handeln.

2. Mit welchen Einnahmen wird durch Online-Glücksspiele gerechnet?

Es sei nicht Sinn und Zweck der Glücksspielregulierung, Steuereinnahmen zu generieren, heißt es aus dem Ministerium. Eine Berechnung oder Schätzung der möglichen Mehreinnahmen liege nicht vor. Auch illegale Anbieter seien steuerpflichtig, so dass bereits jetzt Steuern in unbekannter Größenordnung gezahlt werden, so ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage dieser Zeitung. Aus dem Jahresreport 2019 der Aufsichtsbehörden der Länder sei zu entnehmen, dass die Bruttospielerträge des unerlaubten Glücksspielmarktes vor zwei Jahren auf 2,2 Milliarden Euro geschätzt wurden.

3. Welche Konsequenzen hat das Gesetz für die Spielhallen?

Eine konkrete Antwort blieb das Ministerium schuldig, erklärt aber „ein Nebeneinander von virtuellem und terrestrischem Bereich ist gewünscht“. Es sei nichts völlig Neues, das zum bisherigen Angebot dazukomme und dieses verdrängen könnte. Auch sei davon auszugehen, dass die Angebote von unterschiedlichen Spielertypen genutzt werden.

4. Wie wird die Suchtgefahr beim Online-Zocken vom Ministerium eingeschätzt?

Die Suchtgefahr bei Online-Spielen sei wegen der fehlenden Sozialkontrolle und der ständigen Verfügbarkeit als hoch einzuschätzen. Durch den Glücksspielstaatsvertrag 2021 werden Maßnahmen eingeführt, welche die Suchtgefahr minimieren. Solche Vorkehrungen seien bei Anbietern im Schwarzmarkt nicht gegeben.

Im Internet gibt es bisher nur in Schleswig-Holstein elf Anbieter für Online-Glücksspiele und Casinos.
Im Internet gibt es bisher nur in Schleswig-Holstein elf Anbieter für Online-Glücksspiele und Casinos. | Bild: Edinger, Gerald

Um einen effektiven Spieler- und Jugendschutz bei Online-Spielen zu gewährleisten, werden differenzierte Maßnahmen zur Regulierung und Kontrolle sowie zur Suchtprävention vorgesehen, so die Aussage des Pressesprechers. Aufklärungskampagnen zur Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags seien nicht bekannt.

5. Welche Erfahrung hat Schleswig-Holstein mit Online-Glücksspielen gemacht?

Ziel aller Glücksspielgesetzgebung sei, den Spieltrieb in geordnete Bahnen zu lenken. Dies werde seit einigen Jahren durch illegale Angebote im Internet zunehmend erschwert. Aus Sicht Schleswig-Holsteins hat es sich bewährt, über eine Lizenzierung einen legalen Markt im Internet zu schaffen. Dies sorge für ein reguliertes Angebot mit Jugend- und Spielerschutz sowie Regeln zur Bekämpfung von Geldwäsche. Im nördlichsten Bundesland gibt es derzeit elf zugelassene Anbieter. Alle seien verpflichtet, die umfassenden Spielerschutzmaßnahmen einzuhalten. Keine Aussagen kann das Ministerium zur Höhe der vereinnahmten Umsatzsteuer für Online-Casino- und -Glücksspiele machen. Ebenfalls gebe es keine Erkenntnisse zu Auswirkungen auf stationäre Spielhallen.

6. Was sagen die Betreiber von Spielotheken?

Michael Mühleck, Vorsitzender des baden-württembergischen Landesverbands der Automatenunternehmer und Geschäftsführer der Harlekin ...
Michael Mühleck, Vorsitzender des baden-württembergischen Landesverbands der Automatenunternehmer und Geschäftsführer der Harlekin Spiel- und Unterhaltungsautomatenbetriebs GmbH. | Bild: Landesverband der Automatenbetreiber

Michael Mühleck, Vorsitzender des Automaten-Verbands Baden-Württemberg sowie Geschäftsführer der Harlekin GmbH, die am Hochrhein zwischen Lörrach und Lottstetten ein Dutzend Spielotheken und -Casinos betreibt, ist sauer auf die Landesregierung. Er mutmaßt sogar, dass seine Branche mit politischem Kalkül abgeschafft werden soll.

Ab dem 30. Juni müssen nämlich staatlich konzessionierte Spielhallen in Baden-Württemberg einen 500 Meter-Luftlinienabstand untereinander sowie zu Kinder- und Jugendeinrichtungen einhalten. „Es ist einfach irre, das ist eine ideologische Entscheidung. Wir sind das Bauernopfer und verlieren 90 Prozent unserer Betriebe“, klagt Mühleck.

Momentan gebe es von den Kommunen keine Lizenzen zum Betrieb der Spielhallen. Der Verband sieht somit bis zu 8.000 der rund 10.000 Arbeitsplätze gefährdet. Nach derzeitigem Stand werden in seinen Spielhallen am Hochrhein zwei Drittel der 100 Jobs wegfallen. Die Reduzierung auf zwölf Automaten pro Spielhalle ist für ihn indiskutabel und unrentabel. Mühlhaupt rechnet jährlich mit Personalkosten von 120.000 Euro in einer Spielhalle, den Gewinn pro Automaten beziffert er pro Stunde auf 15 Euro abzüglich 25 Prozent Steuern. Der Verbandschef fordert eine „Härtefallregelung“, wie in Rheinland-Pfalz oder Bayern. Dort wird eine Übergangszeit von bis zu sieben Jahren für die Umsetzung des neuen Gesetzes gewährt. .

5. Was sagen die Bürgermeister?

Im Jahr 2018 flossen aus der Vergnügungssteuer 89.000 Euro in die Kasse der Gemeinde Jestetten. Relativ wenig, wenn dazu der Vergleich mit der Nachbargemeinde Lottstetten herangezogen wird: Im Haushalt 2019 wurde hier Einnahmen von rund einer Million Euro aus der Vergnügungssteuer angesetzt. Bonndorfs noch amtierender Rathauschef Michael Scharf erklärt auf Anfrage dieser Zeitung: „2019 war ein starkes Jahr. Aus der Vergnügungssteuer flossen 110.000 Euro aus sechs Betrieben in die Stadtkasse.“ Auch Stühlingens Bürgermeister Joachim Burger betonte beim Besuch der CDU-Landtagsabgeordneten Sabine Hartmann-Müller in einer Spielothek in der Hohenlupfenstadt, dass die Kommunen ungern auf die Vergnügungssteuern verzichten würden, heißt es in einer Pressemitteilung der Abgeordneten. Wegen der Abstandsregeln müssten beispielsweise in Bonndorf fünf der sechs Spielotheken, Wettbüros und Automatencasinos schließen, sagt der Bürgermeister. In größeren Kommunen würde es noch mehr Automatenhallen treffen. Wer in welcher Stadt oder Gemeinde eine Konzession bekomme, sei offen. Scharf sieht die Entwicklung kritisch. Er ist der Meinung, dass sich das Glücksspiel mit dem neuen Gesetz aus dem Fokus der Öffentlichkeit verabschiedet. „Und damit geht die soziale Kontrolle verloren“, fürchtet er.

6. Was sagt der Suchtexperte dazu?

Jonas Firnke ist Sozialarbeiter und Therapeut für Glücksspielsucht bei der Fachstelle Sucht in Waldshut. (Aufnahme vom 11. September 2019)
Jonas Firnke ist Sozialarbeiter und Therapeut für Glücksspielsucht bei der Fachstelle Sucht in Waldshut. (Aufnahme vom 11. September 2019) | Bild: Baden-Württembergischer Landesverband der Automatenunternehmer

Jonas Firnkes, Leiter der Fachstelle Sucht in Waldshut-Tiengen, fürchtet mehr Fälle von Spielsucht durch per Gesetz legalisierte Glücksspiele im Internet.

7. Gibt es in der Region Spielhallenbetreiber, die ins Online-Glücksspiel einsteigen?

Ja. Wie der SÜDKURIER im Februar dieses Jahres berichtete, hat die Play Company – unter anderem in Laufenburg aktiv – neben der Errichtung und dem Betrieb von Spielhallen, dem Betrieb von Spielgeräten und dem Aufstellen von Spielgeräten in Gaststätten auch die Veranstaltung von und die Beteiligung an Online-Glücksspielen als Gegenstand ihrer wirtschaftlichen Betätigung eintragen lassen. Die Hintergründe dazu können Sie hier nachlesen.

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