Im Landkreis Waldshut ist die Lage der Gemeinden Jestetten und Lottstetten im süd-östlichen in vielerlei Hinsicht einmalig: „Als deutsche Gemeinde sind wir umgeben von Grenzen zur Schweiz, es gibt nur einen Korridor über deutsches Gebiet nach Waldshut„, erzählt Jestettens Bürgermeisterin Ira Sattler. Von den 29,5 Kilometern Gemarkungsgrenze sind 22,5 Kilometer Landesgrenze zur Schweiz. Da ist es nur logisch, dass die Gemeinde im „Jestetter Zipfel“ mit und von den Schweizern lebt.
Was macht die Lage von Jestetten so besonders?
In der Gemeinde leben rund 5300 Menschen, etwa 1100 im Ortsteil Altenburg. Nach Schätzung der Rathauschefin arbeiten 800 bis 900 Jestetter bei Schweizer Firmen. Umgeben von der Landesgrenze sei manche Aufgabenstellung speziell, weil zum Beispiel Straßen oft über die Grenze führen.
„Mit der Schweiz sind wir hier besonders verbunden, vieles ist historisch gewachsen.“Ira Sattler
Ein Beispiel ist der Schweizer Bahnhof, der aus einem Staatsvertrag aus dem Jahr 1852 datiere. Die Menschen genießen die guten Verbindungen nach Schaffhausen mit Anbindung nach Singen oder den flotten Zug nach Zürich. Jugendliche entschieden sich wegen der besseren Anbindung oft für weiterführende Schulen in Singen oder Radolfzell.

Besonders ist auch der Strombezug, der kommt nämlich aus Schaffhausen. „Wir haben hier keine physikalische Anbindung an einen deutschen Stromversorger“, betont die Bürgermeisterin.
Wie lebt der Ort von und mit den Schweizern?
„Da gibt es Licht und Schatten“, sagt Ira Sattler. Positiv sei die wohnortnahe Versorgung. Auf der negativen Seite verbucht sie die Verkehrsdichte. Durchschnittlich würden in der Ortsdurchfahrt auf der B 27 täglich 18.600 Fahrzeuge gezählt.
„Das Leben an der Grenze schreckt Unternehmer, der Zoll ist eine weitere Bürokratie-Ebene.“Ira Sattler
Das Preisniveau in der Gastronomie sei hoch, ebenso die Baupreise und Mieten. Die Rathauschefin bedauert auch, dass sich kaum produzierendes Gewerbe hier ansiedele.
So bewertet die Aktionsgemeinschaft pro Jestetten die Situation
Katja Steinbeißer von der Aktionsgemeinschaft pro Jestetten sagt: „Handel und Gewerbe leben sehr gut von den Schweizer Kunden!“ Sie seien kaufkräftig, anspruchsvoll und sie legen Wert auf fachliche Beratung.

Das Gewerbe profitiere zudem davon, dass auf der anderen Seite des Rheins Firmen nicht gerne reparieren. Deshalb würden Geräte zum Service über die Grenze gebracht. „Oft bleiben sie dann als Kunden hier hängen“, erzählt die Geschäftsfrau.
Die Eidgenossen sind wichtige Kunden
Stimmt der Ruf der Spielerstadt für Jestetten noch?
Die Bürgermeisterin erzählt, dass bis weit in die 1990er Jahre das „Rotlicht-Milieu“ in Jestetten die Ortsdurchfahrt sehr prägte. Daher kam auch der Name „Klein Las Vegas„. Nach der Öffnung für solche Etablissements in der Schweiz wurden sie auf deutscher Seite Zug um Zug geschlossen.
Auch die Zahl der Spielautomaten reduziert sich seit Jahren, erklärt die Rathauschefin. Zurzeit seien es noch 17, die meisten stünden in einer Spielhalle, die Bestandsschutz genieße. Der Gemeinderat habe nun entschieden, die Spielautomaten mit Geldgewinnen in Gaststätten von drei auf zwei zu reduzieren, betont die Bürgermeisterin.
Im Jahr 2018 flossen aus der Vergnügungssteuer 89.000 Euro in die Kasse der Kommune. Im Vergleich dazu die Nachbargemeinde Lottstetten: Im Haushalt des vergangenen Jahres wurde hier rund eine Million Euro Einnahmen aus der Vergnügungssteuer angesetzt.
Wie leben die Einheimischen mit den Schweizern?
„Es gibt nicht den Schweizer oder die Schweizerin“, betont Ira Sattler. Dennoch sei das Verhältnis nicht immer spannungsfrei. „Hilfe, die Zürcher kommen!“ titelte der Tagesanzeiger vor einigen Jahren und bezeichnete die Einkaufstouristen für Jestetten als eine „Plage“.
Bürgermeisterin Ira Sattler kennt diese Kritiken, versichert aber, dass die Einwohner „fast durchweg gut mit den Schweizern leben“. Zum einen mit denen, die zum Einkaufen kommen, zum anderen stellt die Schweiz für viele Arbeitsplätze zur Verfügung.
„Es prallen natürlich verschiedene Systeme aufeinander – in unserer Region profitieren aber die Menschen auf beide Seiten der Grenze.“Ira Sattler
Die Bürgermeisterin weiß, dass ihre Gemeinde „nicht aus eigener Kraft“ so groß geworden sei. Viele Menschen ziehen gerade wegen der Nähe zur Schweiz, den dort ansässigen Arbeitgebern und der guten Verkehrsanbindung hierher. „Es ist attraktiv hier zu leben, die Region hat etwas zu bieten. Das Leben an der Schweizer Grenze ist bereichernd“, davon ist die Jestetter Rathauschefin überzeugt.