„Wieso endete die Suche nach ein bisschen Zweisamkeit in einem Blutbad?“ Mit dieser Frage begann Oberstaatsanwalt Christian Lorenz zu Beginn des fünften Verhandlungstages im Todtnauer Tötungsdelikt vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen sein Plädoyer. Antworten auf diese Frage habe der mehrtägige Prozess nur bedingt geben können.
Als zentralen Punkt sah Lorenz das „mehr als problematische Frauenbild“ des Angeklagten. Während der 48-Jährige immer alles richtig gemacht habe, hätten sich die „bösen Frauen“ gegen ihn verschworen – so beschrieb der Oberstaatsanwalt das Wahnsystem des Angeklagten während seines Schlussvortrags in aller Kürze. Dabei habe er keinen einzigen Funken Einsicht gezeigt.
Oberstaatsanwalt sprich von Vernichtungswille
Das Opfer allerdings habe sich davon nicht einschüchtern lassen: „Ja und? Das ist keine schlechte Eigenschaft“, so Christian Lorenz. Auch wies der Oberstaatsanwalt daraufhin, dass das Gesellschaftsbild der vernommenen Zeugen von einer starken Frau, „die sich wehren kann“, oft negativ konnotiert gewesen sei. Dass sich zwischen dem Opfer und dem Angeklagten trotz der Unterschiede im Wesen eine On-off-Beziehung ergeben habe, sei rational nicht zu erklären, sondern eben ein Ergebnis von Gefühlen und Emotionen.
Warum aber ist es dann zu dem „Blutbad, das da angerichtet wurde“, gekommen? Der Staatsanwaltschaft blieben durch die „nicht vollständige Einlassung“ des Angeklagten viele Fragezeichen. Nichts habe vor dem letzten Telefonat des Opfers mit der Polizei darauf hingewiesen, dass sich der Streit anschließend „so dermaßen eruptiv entlädt.“
Wegen der folgenden zwölf, jeweils für sich tödlichen, Stichen gegen den Hals- und Brustbereich der 58-jährigen Frau sprach Christian Lorenz vor der dritten großen Strafkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen von einem Vernichtungswillen des Angeklagten: „Da will ich, dass Ruhe ist. Da will ich jemanden vernichten.“ Auch das Nach-Tat-Verhalten, als der Angeklagte mit gepackten Taschen seinen Nachbarn und einen weiteren Bekannten besuchte, um Alkohol zu konsumieren, beschrieb Lorenz als absurd: „Es ist mir ein Rätsel, wie man das mit sich vereinbart.“
Sorge wegen Rückfallrisiko
Wie die Tat aus rechtlicher Sicht zu klassifizieren ist, entpuppte sich im Gerichtssaal als äußerst kompliziert. Nach einer langen Ausführung kam Oberstaatsanwalt Christian Lorenz zu dem Entschluss, dass es sich im Todtnauer Tötungsdelikt um Totschlag handelt und sprach sich für eine Freiheitsstrafe von elf Jahren aus. Dieser Forderung schloss sich auch der Nebenklägervertreter an. Noch zu Beginn des Prozesses seien die Verfahrensbeteiligten davon ausgegangen, dass der Angeklagte in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden könnte. Eine Einweisung könne allerdings nur dann erfolgen, wenn auch die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Der psychologische Sachverständige könne diese „nur nicht ausschließen“, sicher belegen könne er sie aber nicht. „In den Kopf eines Angeklagten hineinschauen kann eben auch ein Sachverständiger nicht“, so Lorenz. Der Oberstaatsanwalt äußerte zum Ende seines einstündigen Plädoyers Sorge wegen des Rückfallrisikos des Angeklagten, das nur durch eine psychologische Behandlung minimiert werden könne. Es „liegt in unser aller Interesse“, dass der 48-Jährige einsehe, dass er Hilfe brauche.
Verteidigung setzt Freiheitsstrafe niedriger an
Dass der Prozess nicht einfach war, bestätigte auch die Verteidigerin des Angeklagten. Trotzdem sie bereits seit einigen Jahren als Rechtsanwältin arbeite, habe ihr der Fall Kopfzerbrechen und eine schlaflose Nacht bereitet. Als Verteidigerin sei sie viel näher als alle anderen Verfahrensbeteiligten dran an dem Angeklagten. Das anwachsende Wahnsystems habe sich zu einem Strudel entwickelt, der ihn heruntergezogen habe. Sie sprach von einer Dynamik während der Tat und wies ein „durch den Gang jagen“ von ihrem Mandanten ab. Auch weise seine Einlassung keine Widersprüche zu den Zeugenaussagen auf, was für ihn spreche.
Das von Oberstaatsanwalt Christian Lorenz als absurd bezeichnete Nach-Tat-Geschehen erklärte die Verteidigerin damit, dass der 48-Jährige versucht habe, sich zu betäuben. Er habe in der letzten Zeit kaum schlafen können, weil ihn die Bilder der Tat wachgehalten hätten: „Frau Küpfer, egal, welche Strafe mich erwartet, die Bilder begleiten mich noch mein Leben lang“, zitierte die Verteidigerin ihren Mandanten. Sie sprach sich für eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren aus. Als der vorsitzende Richter Martin Hauser dem Angeklagten das letzte Wort anbot, schwieg dieser.