Wenn heute von einem „Vereinten Europa“ die Rede ist, dann hat das auch etwas mit Städtepartnerschaften zu tun. Europaweit gibt es mehr als 22.000 Städtepartnerschaften, darunter etwa 2200 deutsch-französische. Die Gemeinde Murg ist seit den 80er Jahren mit Mehun-sur-Yèvre in Freundschaft verbunden.

Die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft knüpften im Jahr 1950 die beiden Städte Ludwigsburg und Montbéliard. Nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war die deutsch-französische Aussöhnung eines der Hauptanliegen. Aussöhnung sollte nicht nur auf politischer Ebene erfolgen, sondern möglichst breit gesellschaftlich verankert werden. Schon damals bestand aber auch der Wunsch nach dem Aufbau eines friedlichen Europas und neuer Möglichkeiten für die junge Generation.

Viele Städtepartnerschaften entstanden nach dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag 1963. Am Hochrhein gingen viele Kommunen in den 70er Jahren ihre Städtepartnerschaften mit Frankreich ein. Die Gemeinde Murg zog 1983 nach. In jenen Jahren verstärkte sich der europäische Einigungsprozess und die Städtepartnerschaften erlebten eine neue Hochkonjunktur.
Die Serie und Ihre Teilnahme
Den ersten Schritt in Richtung Städtepartnerschaft machte 1982 Mehun-sur-Yèvre. Eine Kommune mit etwa gleich großer Einwohnerzahl wie Murg, im Département Cher und etwa 600 Kilometer von Murg gelegen. Der damalige Bürgermeisterstellvertreter von Mehun schaute bei einer Reise in die Schweiz in Murg vorbei. Zuvor hatte die partnersuchende Gemeinde Mehun über die „Internationale Bürgermeister-Union“ Vorschläge partnersuchender deutscher Gemeinden erhalten.
Die Reaktion
Die Rückmeldung nach Mehun war positiv, sodass sich im September 1982 eine französische Delegation aus Mehun auf den Weg nach Murg machte. Augenzeugen sprechen von einem „historischen Augenblick“, als sich die beiden Bürgermeister Jean Manceau und Walter Honer zum ersten Mal begegneten. Es war beinahe so etwas wie eine Liebe auf den ersten Blick.
Der offizielle Beginn
Sofort nahm die Verschwisterung Fahrt auf. Noch im selben Jahr gab es weitere Besuche und Gegenbesuche, ebenso im nächsten Frühjahr. Anfang Oktober 1983 in Murg und im Juni 1984 in Mehun besiegelten die Bürgermeister Walter Manceau und Norbert Bernauer als Amtsnachfolger von Walter Honer die Städtepartnerschaft zwischen Mehun und Murg offiziell.
Vereine und Schulen
Dass von Anfang an Vereine und auch Schulen mit in die Partnerschaft eingebunden worden waren, erwies sich als Volltreffer. Ab 1985 fanden Schüleraustausche statt, und viele Vereine, darunter der SV Blau-Weiß, der Tennisclub, aber auch Musikvereine, Männerchöre, Schwarzwaldverein und Feuerwehr reisten zu den französischen Nachbarn, lernten dort Bevölkerung, Kultur und Landschaft kennen und vermittelten ihrerseits beim Gegenbesuch der Partnervereine die deutsche Lebensweise und Kultur.
Die Challenge
Ein ganz besonderes Ereignis ist bis heute die „Challenge“, bei der Mannschaften aus Murg und Mehun in unterhaltsamen Spielen um Punkte und Sieg vollen Einsatz bringen. Wichtig war allen Beteiligten außerdem immer, dass die jeweiligen Gäste privat untergebracht waren, damit freundschaftliche Bande bis in die Familien hinein entstehen konnten.
Die Kontakte
Unzählige persönliche Kontakte entstanden so auf zwischenmenschlicher Ebene über die Jahre, verloren sich wieder, neue entstanden dafür, andere dauern aber auch bis heute an. Noch immer sind die Besuche in der Partnergemeinde oder aus der Partnergemeinde ein besonderes Erlebnis. Dass die Partnerschaft weiterlebt, dazu leisten vor allem auch die Verschwisterungskomitees aus Murg und Mehun einen wesentlichen Beitrag.
Die Partnerschaften
Das Deutsch-Französische Institut und die Bertelsmann Stiftung veröffentlichten im Jahr 2018 eine gemeinsame Studie zu den deutsch-französischen Städtepartnerschaften und betonten darin die historische Rolle jeder Partnerschaft bei der Schaffung eines „Vereinten Europas“: „Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass Europa im Alltag der Bürgerinnen und Bürger greifbar ist. Die Menschen müssen erfahren, dass sie ein Teil einer europäischen Gemeinschaft sind. Hierbei sind die Städtepartnerschaften ein zentraler Ansatzpunkt, parallel zur Schaffung gemeinsamer Institutionen brauch es Initiativen, die ein vereintes Europa ‚von unten‘ begründen.“

Erinnerungen der Familie Singler
Fotos und Geschichten, die plötzlich leben, als Gertrud Singler und ihre Tochter Nicole Singler-Schnelle gemeinsam durch Fotoalben blättern. Jedes Bild hat seine Geschichte. Geschrieben bei einer der vielen Begegnungen zwischen Murg und der französischen Partnerstadt Mehun.
Beide Frauen begleiteten die Städtepartnerschaft von der ersten Stunde an. Gertrud Singler ist in den 80er Jahren bis Mitte der 90er Jahren Gemeinderätin und Mitglied im Verschwisterungsausschuss und als Kontaktperson zu den Franzosen begehrt. Weil ihre Heimatstadt Donaueschingen Garnisonsstadt der Franzosen war, kann sie sich mit den französischen Gästen verständigen: „Ich hab halt drauf losgschwätzt“, so Singler.
Offizielle, Vereinsmitglieder, Schüler, Studenten und Praktikanten hat Gertrud Singler über die Jahre beherbergt und verköstigt. Ihr verstorbener Mann Albert Singler unterstützte diese Begegnungen. Gerade weil er im Krieg in französische Gefangenschaft geraten war: „Da muss man dahinter stehen“, zitiert Nicole Singler-Schnelle ihren Vater, der als Koch zudem eine ganz eigene kulinarische Beziehung zu Frankreich hatte.
Einige der Kontakte überdauerten Jahrzehnte, bis vor Corona auch mit Aline, die 1985 mit dem ersten Schüleraustausch Murg-Mehun zu Familie Singler kam. Aline lernte im Gymnasium Deutsch und war die Brieffreundin von Nicole Singler-Schnelle. Die Briefe von damals hat Nicole Singler-Schnelle noch immer. „Hasler Höhle, Rodelbahn Todtnau, Basel, St. Blasien“, erinnert sich Nicole Singler-Schnelle an Programmpunkte, und auch daran, dass beim Abschied alle weinten: „Wir waren alle irgendwie verliebt.“ Jahre später war Familie Singler sogar zur Hochzeit von Aline eingeladen.
Nicole Singler-Schnelle war mehrmals in Mehun. Mit der Feuerwehrmusik Murg und mit den Handballern. Was sie bei ihren Besuchen immer besonders schätzte, war die französische Gastfreundschaft: „Egal, mit wem und wo. Wir haben immer diese Gastfreundschaft gespürt.“ Ihre Mutter nickt bestätigend: „Da war immer dieses Gefühl einer Bereicherung.“