St. Blasien – Mit heftigem Stühlerücken begann das erste Literaturcafé des Jahres im vollen Eckzimmer des Dom-Hotels zur Vorstellung von Theodor Fontanes „Stechlin“ durch Christoph von Ascheraden. Dieser Andrang hatte sicherlich mit dem Bekanntheitsgrad des Vortragenden zu tun, ist der Arzt Christoph von Ascheraden doch als langjähriger Gemeinderat und Streiter für den Sanagarten in St. Blasien bestens bekannt. An diesem Nachmittag erwies er sich zudem als ausgezeichneter Kenner von Literatur und Geschichte.
Klaus-Peter Schönfeld, der Leiter des Literaturcafés, stellte den Referenten mit launigen Worten vor und erklärte, dieser und Fontane hätten eine wesentliche Gemeinsamkeit: Sie seien beide Preußen. Daran knüpfte Christoph von Ascheraden nahtlos seinen in drei Teile geteilten Vortrag an, indem er zunächst mit dem kulturhistorischen Hintergrund begann, dann zu Fontanes Leben überging und zum guten Schluss einige Kostproben aus dem Roman vortrug und diese Stellen kommentierte.
Schönfeld verwies auf das Toleranzedikt, mit dem Kurfürst Friedrich Wilhelm die Verfolgung der Hugenotten beendete und ihnen den Weg bereitete, im eher militaristischen Preußen ihre diplomatischen, wissenschaftlichen und kulturellen Lebensinhalte einzubringen. Den Ende 1819 geborenen Fontane schilderte von Ascheraden als seismografischen Beobachter der Zeit- und Kulturgeschichte, dessen Anliegen es gewesen sei, den gesellschaftlichen Prozess literarisch zu begleiten, und zwar nicht als scharfer Kritiker oder unbeteiligter Analytiker, sondern als deutscher Patriot.
Den Roman „Stechlin“, der in Fontanes letzten drei Lebensjahren entstand, habe der Autor selbst „eine relativ simple Geschichte“ genannt. Tatsächlich habe der eigentlich schnelle Schreiber aber viel Zeit darauf verwendet, die Dialoge immer weiter zu verfeinern und alles mit einem leisen Schleier von Ironie und Selbstironie zu überziehen. In der Diskussion waren sich alle einig, dass es eines zweiten oder auch dritten Zugriffs bedürfe, um die ruhigen Bilder in diesem Buch, das ausgebreitete Panorama menschlichen Wesens und die großartige Gesprächskultur genießen zu können.
Seit etwa 1998 halten Referenten im Literaturcafé Vorträge. Ins Leben gerufen wurde es von der literaturinteressierten Apothekerin Hildegund Hirt, die es über 20 Jahre geleitet hat. Sie war ehrenamtliche Mitarbeiterin der katholischen öffentlichen Bücherei, der das Literaturcafé angeschlossen ist, und besuchte die ehemals von Karl Iglhaut angebotenen Literaturkurse, die später unter dem Dach der Bücherei von Pater Peter Leutenstorfer im Winter und Frühjahr weitergeführt wurden. Im Sommer und Herbst etablierte Hirt ergänzend das Literaturcafé.
Beim nächsten Termin spricht Chris O‘Reilly über Chimananda Ngozi Adichies Buch „Die Hälfte der Sonne“. Wegen der Fasnacht findet das Literaturcafé um eine Woche vorverlegt bereits am 21. Februar statt.