Die Anzahl jener Stühlinger, die noch aus früheren Zeiten erzählen können, verringert sich naturgemäß immer mehr. Mit dem Verschwinden dieser Generation geht viel auf Stühlingen bezogenes Wissen verloren. Sowohl Hermann Büche, Josef und Hubert Würth als auch Hermann Hägele und Rosel Fischer hatten der Autorin dieses Berichts einst viel zu erzählen – Wissen, das eigentlich in das Stadtarchiv gehört.

So befindet sich in der kleinen Anlage unterhalb des früheren altkatholischen Pfarrhauses ein unscheinbarer, großer Quaderstein. Nur an eingemeißelten Kerben, die Dübellöchern ähnlich sind, ist abzulesen, dass der Fundamentstein des unteren Stadttores einst einen tragenden Zweck erfüllte. Das Stadttor brannte 1828 ab. Irgendein achtsamer Vorfahr muss den Stein gerettet haben. Diese Information stammt von Hermann Büche, der einst Stühlinger Ratschreiber und ein wandelndes Geschichtsbuch war.

Hermann Hägele war Besitzer eines Ziegels, der aus der Ziegelhütte stammte, die heute ein abseits stehendes Wohnhaus direkt an der B 314 ist. Wertvolle Dokumente, meist im Postkartenformat, besitzt Walter Willin (80), die an alte Stühlinger Zeiten erinnern. Im Sitzungssaal des Stühlinger Feuerwehrhauses sind noch lederne Löschkübel ausgestellt; ein Exemplar ziert sogar ein Abbild des Stühlinger Männle. Eine aufwendig gearbeitete, wertvolle Vereinsfahne ist im Besitz des Stühlinger Sängerbundes und befindet sich als Dekorationsstück im Probelokal.

Wer weiß noch, dass die Ruine am Oberen Stadtweg eine Gerberei war? Von Jahr zu Jahr lässt sich beobachten, wie dieses Gebäudefragment mehr und mehr im Steilhang Richtung Wutachtal versinkt und von der wuchernden Natur erobert wird. Im Gebäude gegenüber befindet sich eine gut erhaltene Vorrichtung, mit deren Hilfe gegerbte Felle, die erst einmal nass und schwer waren, zum Trocknen unter das Dach gezogen wurden. Das Gerberhandwerk war in Stühlingen mehrfach vertreten.

In der Altstadt befanden sich Schlosser-, Blechner-, Schuhmacher- und Schneiderwerkstätten. Die Treppe, die einst den oberen Stadtweg auf kürzestem Weg mit Krankenhaus und dem Kloster verband, hat die Natur ebenfalls zurückerobert. Etliche solcher praktischen Abkürzungsweglein sind nach und nach verschwunden.
Verschwunden ist auch der hübsche Aussichtspavillon unterhalb des Hohenlupfen. Jüngeren Datums sind die Relikte des Waldlehrpfades, den einst der mittlerweile gestorbene Künstler Elmar Zimmermann mit schönen handgeschnitzten Holztafeln gestaltete. Die meisten Tafeln sind kaputt, verwittert oder fehlen inzwischen. Auch den Trimm-Dich-Pfad, in den 1960er Jahren unter großem Hallo eröffnet, gibt es heute nicht mehr. Wer weiß noch, dass das Mühlebächle bis in die 1970er Jahre hinein ein ganz anderes Bachbett hatte ? Wo befanden sich „Ränkli“ und „Spiegel“ der Wutach? An all den genannten Objekten nagte aber nicht nur der Zahn der Zeit. Manches wurde vorsätzlich oder gedankenlos dem Erdboden gleich gemacht.
Die Stühlinger Altstadt
Stühlingens erste urkundliche Erwähnung datiert auf 1120. Im Jahr 1262 wurde dem Ort das Stadtrecht verliehen. Besiedelt war die Gegend aber wohl schon im sechsten Jahrhundert, wie Grabungsfunde belegen. Die befestigte Stadt wurde 1499 im Schweizer Krieg gebrandschatzt. Das untere Stadttor brannte 1828 nieder. Das Obere Stadttor musste 1846 dem immer stärkeren Verkehrsaufkommen weichen. Die Herren von Küssenberg, die Grafen von Lupfen, die Pappenheimer und die Fürsten von Fürstenberg hatten von 1172 bis 1806 das Sagen. 2012 verkauften die Fürstenberger das Schloss Hohenlupfen an den Landwirt Martin Stamm aus Schleitheim (CH).