Rosemarie Tillessen

Im vergangenen Sommer verbrachten die Künstlerbrüder Andreas und Ralph Hilbert – eher bekannt als Anra-Brüder – vier Wochen in den USA. Wie sehen sie rückblickend diese Reise, die auf Einladung eines befreundeten Galeristen in Detroit zustande kam? Und hat sie ihre künstlerische Arbeit beeinflusst? Über eins sind sie sich einig: Es war ein unvergessliches Erlebnis mit vielen Eindrücken. Und sie sind sich sicher: „Wir werden wieder hinfahren!“

Im Künstlerhaus in Lottstetten, in dem die Brüder regelmäßig ausstellen, laufen noch die Filme, die sie im vergangenen Jahr in Detroit gedreht haben. Man sieht schmucklose Hochhäuser der ehemaligen Autostadt, erstaunlich autoarme Straßen, unendlich lange vorbeifahrende Züge mit Tanks, aber auch Menschen und weite Landschaften.

Die Anra-Brüder am Indipendence Day in Detroit. Im Hintergrund die „River‘s Edge Gallery“.
Die Anra-Brüder am Indipendence Day in Detroit. Im Hintergrund die „River‘s Edge Gallery“. | Bild: Privat

Drei Ziele hatten sie sich vor ihrer Abreise gesetzt, als sie von einem Künstlerfreund, dem Galeristen Jeremy Hansen, in dessen „River‘s Edge Gallery“ nach Detroit eingeladen wurden: Sie wollten dort Müll sammeln, eine eigene Ausstellung damit machen und ein Auto bemalen – möglichst einen Ford Mustang.

Die Zwillingsbrüder sind bekannt für ihre spezielle Kunstrichtung, die sie „Eco-Trash“ nennen: Sie sammeln Müll und Reste unserer Konsumgesellschaft, aus denen sie mit viel Kreativität neue Objekte und Installationen schaffen.

Blick in die Ausstellung der Anra-Brüder in der „River‘s Edge Gallery“: An den Wänden Plattenhüllen und eine ...
Blick in die Ausstellung der Anra-Brüder in der „River‘s Edge Gallery“: An den Wänden Plattenhüllen und eine Totenkopf-Serie, vorne bemalte Objekte aus dem Detroit River. | Bild: Privat

Darum waren sie einfach nur begeistert über die Einladung von Jeremy Hansen, der in Detroit seit 40 Jahren seine eigene Galerie leitet: „Müll fanden wir dort genug“, sagen sie rückblickend lachend. „Vor allem im dortigen Rouge River. Wir haben ihn im Kajak befahren und mit Schutzanzügen Müll eingesammelt. Mit dabei waren unser Galerist, dazu Professor Paul Draws von der Universität Detroit und „Friends Of The Rouge“ (das sind die Freunde des Rouge Rivers).

Die Anra-Brüder mit Professor Paul Draws von der Universität Detroit bei der Flussreinigung.
Die Anra-Brüder mit Professor Paul Draws von der Universität Detroit bei der Flussreinigung. | Bild: Privat

Man hat uns erzählt, dass der Fluss früher ganz rot ausgesehen habe wegen giftiger Chemikalien. Heut ist das offensichtlich besser.“ Was sie im Wasser gefunden haben? Sie schütteln sich: „So ziemlich alles: vor allem Bälle, aber auch Flaschen, Taschen, einen Baseballschläger, einen Stöckelschuh oder sogar eine Überwachungskamera und komischerweise viele Tabaksdosen.“ Man spürt ihren Stolz auf ihre ungewöhnliche Flussreinigung. Dabei wurden sie übrigens auch von einem US-Fernsehsender gefilmt.

Gefundene und bemalte Handtasche und Gabel aus dem Rouge River.
Gefundene und bemalte Handtasche und Gabel aus dem Rouge River. | Bild: Privat

Und ihre andern beiden Ziele – die eigene Ausstellung und die Bemalung eines Autos? „Da wir in der Galerie auch arbeiteten, konnten wir im Juli dort auch unsere eigene Ausstellung mit Müllobjekten eröffnen. Dazu hatten wir bereits aus Deutschland Siebdrucke sowie Plattenhüllen und CDs mitgebracht, die wir mit amerikanischen Motiven aus Zeitungen und Magazinen gestalteten oder mit unserer Codex-Geheimschrift beschrifteten.

Und vor allem natürlich die neuen Fundobjekte aus dem Fluss, die wir bearbeiteten oder ebenfalls beschrifteten. Wir konnten ein ganzes Stockwerk bespielen.“ Das war sicherlich sehr ungewohnte, befremdliche Kunst für die Besucher? „Nee,“ meint Ralph rückblickend. „Die fanden das alle super. Vor allem, dass wir den Fluss gereinigt haben“ Und Andreas ergänzt: „Zumindest haben sie das gesagt.“

In neuen Collagen der Anra-Brüder mit Renaissance-Bildern taucht jetzt plötzlich eine amerikanische Flagge auf.
In neuen Collagen der Anra-Brüder mit Renaissance-Bildern taucht jetzt plötzlich eine amerikanische Flagge auf. | Bild: Rosemarie Tillessen

Und das dritte Ziel – die Bemalung eines Autos? Sie bedauern: „Das hat noch nicht geklappt! Wir konnten zwar mit dem Auto unseres Galeristen rumfahren. Aber wir fanden einfach noch nicht das richtige Auto, nämlich einen Ford Mustang. Vielleicht das nächste Mal?“ Und noch etwas bedauern sie sehr: Sie kamen nicht weg aus Detroit und haben wenig vom Land kennengelernt. Leider vor allem auch nicht die Niagara-Fälle, von denen sie träumten. Aber stattdessen erlebten sie unglaublich viel vor Ort in diesen vier Wochen.

Dafür sind sie ihrem Galeristen Jeremy Hansen sehr dankbar: „Der öffnete uns Tür und Tor und ermöglichte viel Kontakte!“ So nahmen sie an Swimmingpool-Partys und Einladungen teil. Sie erlebten die Feiern zum Indipendence Day am 4. Juli und ihr erstes Baseball-Spiel (“Die Regeln dazu haben wir immer noch nicht kapiert“). Sie erlebten einen kunterbunten Straßenmarkt für Kunst (“Street Art Fair“), auf dem sie – sehr beeindruckend – auch die 91-jährige Nora Mendoza kennenlernten, die schon mit Diego Rivera zusammen gearbeitet hat. Und sie nahmen am jährlichen „Heidelberg Project“ teil, bei dem Künstler leerstehende Häuser künstlerisch gestalten. Und, und, und.

Was bleibt als Gesamteindruck? Sie zögern: „Vor allem wohl die Maßlosigkeit. Es läuft immer unglaublich viel gleichzeitig. Dann wohl die vielen verrosteten Fahrzeuge, die nie kontrolliert werden. Oder dass wir immer ohne Helm Moped fahren konnten. Aber auch die Herzlichkeit und Gastfreundschaft!“ Werden sich diese Eindrücke jetzt in ihrer Kunst widerspiegeln? Sie zögern: „Wohl nicht bewusst!“ Aber in neu entstandenen Collagen entdeckt man dann plötzlich doch einige amerikanische Motive. Und was bedeutet die große Pyramide mit ungewöhnlich goldglänzender Folie in einem der Nebenräume im Künstlerhaus?

Die neueste Arbeit der Anra-Brüder: eine Pyramide.
Die neueste Arbeit der Anra-Brüder: eine Pyramide. | Bild: Privat

„Die ist für die nächste Ausstellung im März geplant. Auch da bleiben wir beim Trash: Sie ist aus gefundenem Gestänge gebaut und mit Folie aus Überlebenspaketen bespannt. Thema: Die sieben Weltwunder.“ So überraschen die Anra-Brüder immer wieder neu!