„Irgendwann muss man sagen: Jetzt ist Schluss“, sagt Carla Agostinelli-Neuhoff. Für die Ärztin aus Tiengen ist dieser Zeitpunkt nun gekommen. Zum 31. Dezember dieses Jahres schließt sie endgültig ihre Praxis in der Tiengener Hauptstraße. Einen Kollegen, der ihre Arbeit fortsetzt, gibt es nicht. „Ich habe immer noch gehofft, dass ein Nachfolger kommt, aber das ist nicht der Fall“, sagt Agostinelli-Neuhoff bedauernd.
„Seit mindestens acht Jahren suche ich einen Nachfolger“, erzählt die Internistin im Gespräch mit dieser Zeitung und zählt auf, welche Möglichkeiten sie ausgeschöpft hat, um die Praxis an den Mann oder die Frau zu bringen: „Ich habe unter anderem direkt bei Kongressen junge Kollegen angesprochen. Außerdem habe ich Inserate in Fachzeitschriften und im Internet bei Ärzteportalen aufgegeben.“

Vor vier Jahren, als die heute 70-Jährige bereits in den Ruhestand treten wollte, sah es kurz so aus, als habe sie einen Nachfolger gefunden. Ein Kollege habe damals ihre kassenärztliche Zulassung übernehmen und zusammen mit seiner Frau, die ebenfalls Internistin ist, die Praxis weiterführen wollen. Zu einer Unterschrift sei es allerdings nie gekommen. Vor der geplanten Übernahme hatte Agostinelli-Neuhoff noch vermehrt Patienten aufgenommen, um ihrem Nachfolger eine florierende Praxis hinterlassen zu können. „Für mich war es, als wäre ich gegen eine Wand gefahren, ohne zu bremsen“, erinnert sie sich an den Moment der Absage.
Die damals 66-jährige Medizinerin entschloss sich, die Praxis noch einige Jahre selbst weiter zu führen – allerdings ohne Kassenzulassung. Seitdem behandelt sie nur noch Privatpatienten. „Ein weiterer Vollbetrieb wäre zu viel gewesen“, sagt sie. Ihren Stamm von ehemals rund 1100 Patienten pro Quartal reduzierte sie auf etwa 300 und begrenzte die Sprechzeiten auf drei Tage die Woche. „Dadurch hatte ich den Luxus, mir mehr Zeit für die Patienten zu nehmen und mich auf jeden einzelnen ohne Stress zu konzentrieren“, erzählt die Internistin und Hausärztin.
Von Telemedizin, also der Sprechstunde über Videotelefonate, hält Agostinelli-Neuhoff nicht viel. „Das kann nur etwas für Notfälle sein“, sagt sie. In ihrer Ausbildung habe die gebürtige Italienerin gelernt, Patienten mit allen Sinnen zu untersuchen – beispielsweise durch Abhören und Abtasten.
In den 26 Jahren, die sie in Tiengen praktiziert, habe sie menschliche Beziehungen zu ihren Patienten aufgebaut. Sie kennt deren Vorerkrankungen und oftmals die Krankheitsgeschichten in der jeweiligen Familie. „Telemedizin kann das nicht ersetzen“, sagt sie und zeigt auf das Logo auf ihrer Visitenkarte, das ein miteinander verbundenes C wie Carla und ein V zeigt, das den Menschen darstellt.
Praxisgesuche gibt es praktisch nicht mehr
An ihrem Schreibtisch blättert Agostinelli-Neuhoff in einer Fachzeitschrift für Ärzte. Seitenweise werden darin in Inseraten Nachfolger für Praxen gesucht. „Ich beobachte seit einigen Jahren, dass es Praxisgesuche so gut wie nicht mehr gibt“, erzählt sie. Woran das ihrer Meinung nach liegen kann? „Ich glaube, dass junge Ärzte lieber angestellt statt selbstständig sein wollen“, sagt sie. „Außerdem hätte man damals vor zehn bis 15 Jahren, als ich und Kollegen meiner Generation schon 50 bis 55 Jahre alt waren, vielleicht weitsichtiger in der Politik sein sollen“, fügt sie hinzu.

Ihre Praxis wird die Internistin Ende des Jahres mit einem „bitteren Nachgeschmack“ schließen. Ihre Patienten müssen sich „sehr bemühen, überhaupt unterzukommen“. In Tiengen gebe es einen weiteren Internisten und drei Allgemeinmediziner, zählt sie auf. „Einer davon ist genau so alt wie ich und einer nur etwas jünger“, schildert sie die Situation. Abschließend sagt Agostinelli-Neuhoff: „Es tut mir wirklich leid.“ Auch muss sich ihre Sprechstundenhilfe nach einer neuen Stelle umsehen. Die medizinischen Geräte wird sie spenden.