André Hönig

Schopfheim – Nicht eben als das beste Rezept zur Lösung des drohenden Hausärzte-Notstands betrachtet die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KV) die in Schopfheim angelaufene Unterschriftensammlung. Der Vorwurf, dass erst Druck aufgebaut werden müsse, damit etwas unternommen werde, sei „ungerechtfertigt“. Die KV arbeite an einer Notlösung – gegebenenfalls auch einer gemeinsamen für Schopfheim und Wehr.

Wir hatten vergangene Woche die Kassenärztliche Vereinigung mit der Frage konfrontiert, ob in der von ihr vorgelegten Bedarfsplanung eventuell Praxen/Ärzte eingerechnet sind, die in jüngerer Vergangenheit aufgehört haben. Hintergrund war, dass hiesige Ärzte „Zahlenakrobatik“ hinter der jüngst gemachten Aussage der KV vermuten, wonach der Mittelbereich Schopfheim (Hasel bis Todtnau) mit 103,2 Prozent „voll versorgt“ ist. Diese Aussage kann mancher nicht nachvollziehen, wenn er zum einen die Zahl der noch praktizierenden Ärzte durchzählt – zum anderen findet jetzt schon mancher Patient keinen Hausarzt mehr. Kritisiert wird von hiesigen Ärzten und anderen Akteuren des Gesundheitswesens wie Apothekern ferner, dass die Statistik auch nicht berücksichtigt, dass zum Jahresende mindestens zwei weitere Hausärzte in Ruhestand gehen wollen. Für das Mittlere Wiesental wird befürchtet, dass ab 2020 bis zu 5000 Menschen ohne Hausarzt sind. Weil der Unmut groß ist, wurde nun Unterschriftensammlungen gestartet.

  1. Zur Statistik: Dr. Johannes Fechner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KV Baden-Württemberg, nimmt jetzt zur Frage nach der Aussagekraft der Statistik, aber auch zu Unterschriftenaktion Stellung. So verweist er darauf, dass es gesetzlich vorgeschrieben sei, wie die Zahlen der Bedarfsplanung zu ermitteln sind. „Wir machen da eben keine Zahlenakrobatik.“ Allerdings könne es sein, dass die eine oder andere aufgeführten Praxis inaktiv sei. „Praxen werden so lange im Arztregister geführt, bis ein Nachbesetzungsverfahren abgeschlossen ist. Würden wir sie vorher rausnehmen, wäre sie nicht mehr auf dem Markt und wir könnten sie nicht mehr nachbesetzen.“ Abgesehen davon aber sei es nicht Zweck der Bedarfsplanung, in die Zukunft zu schauen. Das bedeutete im Umkehrschluss aber nicht, dass die KV sich „bequem zurücklege“ und nicht wisse, wie es in Schopfheim aussieht. Dass weitere Hausärzte zum Jahresende aufhören wollen, „wissen wir. Wir sind deshalb auch im intensiven Austausch“. Deshalb aber sei es „ungerechtfertigt“, dass jetzt der Eindruck erweckt werde, es müsse erst über eine Unterschriftensammlung Druck aufgebaut werden, damit etwas passiere. „Wir sind im Austausch mit der Landrätin, mit dem Bürgermeister, mit den Ärzten“, beteuert Fechner. Nächste Woche gebe es eine Besprechung in Schopfheim – „da ist etwas am Wachsen. Wir brauchen den Druck nicht, wir bemühen uns.“
  2. Was ist angedacht? Besagte Bemühungen laufen laut Fechner auf eine – wie im Juli in einem Brandbrief von den Schopfheimer Ärzten geforderten – Notpraxis hinaus. Noch aber sei einiges zu klären. Zum einen die Standortfrage. Die Notfallpraxis des Krankenhauses Schopfheim komme nicht dafür in Frage. „Die steht uns nicht zur Verfügung, weil sie noch gebraucht wird von den Kreiskliniken.“ Deshalb müsse man andere Varianten ausloten – ideal wäre dabei eine gute Erreichbarkeit von Wehr her. „Dort sieht es mit der Versorgung noch viel schlechter aus als in Schopfheim.“ Deshalb werde darüber nachgedacht, „eine gemeinsame Lösung für beide Orte zu finden.“ Zu klären sei aber auch, wer die Notpraxis betreibt – und wie. Fechner stellt sich vor, „Strukturen zu schaffen, wo sich Ärzte anstellen lassen“ und dort eventuell stundenweise arbeiten. Etwa Ärztinnen in Erziehungszeit oder pensionierte Ärzte. Denkbar wäre, dass „wir oder jemand anders“ diese Notpraxis einrichtet – oder Ärzte eine Zweigpraxis gründen. Mehr könne er dazu im Moment nicht sagen. „Das ist noch eine zarte Pflanze.“
  3. Ausblick: Fechner weist darauf hin, dass „Schopfheim nicht der einzige Ort ist, wo uns der Kittel brennt.“ Von den aktuell 7000 Hausärzten in Baden-Württemberg seien 1360 älter als 65. „Wir laufen voll in einen Ärztemangel rein.“ Schuld daran ist für ihn insbesondere die 1992 vom damaligen Gesundheitsminister Seehofer eingeführte Bedarfsplanung inklusive Zulassungssperre. „Als bekannt wurde, dass das kommt, sind 2500 bis 3000 Ärzte noch schnell aus den Krankenhäusern rausgegangen und haben sich niedergelassen.“

Dies sei die Generation, die jetzt 27 Jahre später „so, wie sie mit einem Schlag in das System reinkam, jetzt wieder mit einem Schlag rausgeht.“ Es sei daher klar, „dass wir in eine Lücke hineinlaufen“. Die KV bemühe sich zwar, diese für die Bevölkerung so erträglich wie möglich zu halten. „Aber wir sind keine Backstube für Ärzte. Wir können nur die verteilen, die da sind.“ Immerhin: Die Zahl der Prüfungskandidaten in der Allgemeinmedizin würden steigen – das mache Hoffnung. Mindestens aber „drei bis fünf Jahre“ sei ein „Tal der Tränen“ zu durchschreiten. Der Bevölkerung müsse man deshalb klar machen, dass dies nicht spurlos an ihr vorbeigehen werde und sie „Opfer bringen muss“ – etwa in Form längerer Fahr- und Wartezeiten.

Vielleicht überlege sich mancher dann ja auch, ob er wirklich wegen eines Schnupfens zum Arzt müsse. Fechner: „Nur die wirklich Kranken sollten Vorfahrt haben.“