Ursula Freudig

Herr Uhl, wie geht es Ihnen nach der Praxisübergabe?

Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge. In 34 Jahren hat man eine Beziehung zu den Patienten aufgebaut. Einige waren Kinder als ich anfing und haben jetzt eine Familie. Bindungen sind entstanden, so dass der Abschied schon schwer fällt. Ich hätte schon mit 65 Jahren sagen können, tschüss, das war’s, aber ich wollte nicht, dass meine Patienten vor verschlossenen Türen stehen. Ein lachendes Auge habe ich, weil ich mit Frau Hauck eine Nachfolgerin gefunden habe, die es toll macht. Wir haben in den letzten Tagen gemeinsam Hausbesuche bei Patienten gemacht und ich habe gesehen, dass sie genauso empathisch mit den Patienten umgeht wie ich.

Empathie ist wichtig?

Ja, man muss mitfühlen und sich in die Situation des Patienten hinein versetzen. Es war und ist immer mein Leitbild, so zu handeln, wie ich es mir von einem Arzt wünschen würde, wenn ich auf dem Patientenstuhl sitzen würde.

Es war ein langer, aufreibender Weg, bis Frau Hauck gewonnen war, richtig?

Ja, das kann man so sagen. Ich bin aber nicht sicher, ob meine Anstrengungen gereicht hätten, wenn die Gemeinde und Bürgermeister Thomas Schäuble nicht mitgeholfen hätten und zum Beispiel bei der Kita- und Wohnungssuche geholfen hätten. Die Gemeindeverwaltung hat der Familie Hauck gezeigt, wir tun alles was wir können, das war vorbildlich.

Vor 34 Jahren war sicher vieles anders in Ihrer Praxis als heute, was hat sich verändert?

Früher gab es noch für jeden Kontakt Gebühren, heute ist alles pauschaliert. Ein bestimmtes Regelleistungsvolumen steht uns zu, wer mehr braucht, bekommt nichts. Die Hinwendungsmedizin zum Beispiel in Form von Hausbesuchen wird nicht mehr geschätzt. Man bekommt so wenig Geld dafür, dass betriebswirtschaftlich kalkuliert, kaum mehr als der Mindestlohn bleibt. Die ambulante Medizin wird von der Politik als Kostenfaktor gesehen. Legen zum Beispiel Sozialstationen Kompressionsstrümpfe an, kommt heute die Anfrage von Gesundheitskassen, ob das nicht Angehörige erledigen könnten. Alles wird hinterfragt. Es sieht aber nicht so aus, als ob den Gesundheitskassen das Geld fehlt, weil sie bei jedem Marathonlauf noch Kugelschreiber und Fähnchen verteilen können. Tatsache ist, wegen dem Geld wird man heute nicht mehr Allgemeinmediziner. Aber wenn ich mich nochmals entscheiden könnte, ich würde alles wieder so machen wie vor 34 Jahren. Es ist einfach schön, Menschen über viele Jahre hinweg zu begleiten. Verändert hat sich natürlich auch unsere Lebensqualität. Bei einer Angina Pectoris zum Beispiel verschrieb man früher Pillen, heute setzt man einen Herzkatheder oder Stent ein und kann dann gut weiterleben, aber das kostet natürlich Geld.

Haben sich auch die Patienten verändert?

Das Anspruchsdenken an den Arzt ist sicher nicht kleiner geworden. Der Patient sollte es aber auch an sich selber richten und fragen, was kann ich selber für mich tun. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen beidem. Das, was man selber für den eigenen Körper macht, ist viel mehr wert als das, was andere für ihn machen. Zum Beispiel ist regelmäßiges Fahrradfahren oder Schwimmen 100 Mal mehr wert als ein paar Stunden Krankengymnastik, die man verschrieben bekommen hat. Und wer Zucker hat, kann darauf Einfluss nehmen, indem er sich zum Beispiel mehr bewegt und abnimmt.

Sie haben in diesen 34 Jahren sicher auch Dinge erlebt, die Sie nie vergessen werden.

Spontan fällt mir eine 95-jährige, sehr gepflegte und geistig fitte Patientin ein. Altersbedingt waren ihr aber einige Zähne ausgefallen. 'Junger Mann und wenn ich diese Zähne nur noch 14 Tage trage, hat es sich gelohnt', hat sie zu dem etwas skeptisch blickenden Zahnarzt gesagt. Nie vergessen werde ich wahrscheinlich auch einen jungen Mann, der mit leichtem Fieber zu mir kam und ein paar Tage später tot war. Leukämie. Es gibt eben keine 100-prozentige Sicherheit im Leben. Man kann sich regelmäßig durchchecken lassen, auf der sicheren Seite ist man aber nie. Ich könnte zum Beispiel morgen beim Tennis spielen tot umfallen.

Viele holen sich auch medizinische Infos aus dem Internet, was halten Sie davon?

Dort wird immer irgendwo wieder eine andere Sau durchs Dorf gejagt, wie zum Beispiel aktuell die Laktose-, Gluten- und Fruktoseunverträglichkeit. Man sollte dem Internet sehr kritisch begegnen, sonst glaubt man am Ende, dass die leichten Kopfschmerzen ein Gehirntumor sind.

Apropos Internet, was halten Sie von den schnell erreichbaren Ärzten im Internet?

Telemedizin wird immer mehr kommen, weil die Hausärzte fehlen. Die Qualität kann aber nicht dieselbe sein. Bei einem Patienten, der vor mir sitzt, kann ich sehr viel mehr und ganzheitlicher wahrnehmen, als wenn mir jemand auf dem Bildschirm seinen kranken Arm entgegenstreckt.

Eine letzte Frage, welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ich lasse die Dinge auf mich zukommen. Eine Weltreise mache ich aber sicher nicht und bestimmt auch keine Schiffsreise. Schon eher kann ich mir eine Fahrradtour entlang von Flüssen von Basel bis Amsterdam vorstellen. Außerdem mache ich weiterhin Notfallpraxisdienst im Waldshuter Spital und wenn Frau Hauck mich braucht, auch was arbeitstechnische Dinge betrifft, stehe ich natürlich zur Verfügung.

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Zur Person

Praxisübergabe nach 34 Jahren: Helmuth Uhl spricht mit unserer Mitarbeiterin Ursula Freudig über seine Zeit als Allgemeinmediziner mit ...
Praxisübergabe nach 34 Jahren: Helmuth Uhl spricht mit unserer Mitarbeiterin Ursula Freudig über seine Zeit als Allgemeinmediziner mit eigener Praxis in Lauchringen. Bild: Privat

Helmuth Uhl (67) ist in Waiblingen bei Stuttgart geboren und aufgewachsen. Er studierte in Freiburg i. Br. Medizin und arbeitete von 1976 bis 1983 in einem Krankenhaus im Ruhrgebiet. Er war Betriebsarzt, Polizeiarzt und Notdienstarzt, bevor er am 1. Juni 1983 in Unterlauchringen eine Praxis für Allgemeinmedizin eröffnete. Am 1. Juni 2017 hat er seine Praxis an Paulina Hauck übergeben. Er wohnt in Kadelburg und hat zwei erwachsene Söhne. Seine Hobbys sind Fahrrad fahren und Tennis spielen.