Der etappenweise Ausstieg aus der Atomenergie hat im Frühling vor 35 Jahren begonnen. Die Explosion des Atomreaktors in Tschernobyl am 26. April 1986 und die Ankunft der radioaktiven Wolke am 30. April auch über dem Landkreis Waldshut traf auf weitgehend ratlose Experten sowie Politiker und eine hilflose Bevölkerung. In den ersten Tagen mit dem stärksten Fallout an radioaktivem Jod und Cäsium sollten Kinder nicht im Freien spielen, die Kühe nicht auf die Weide, Kopfsalat, Tomaten, Radieschen und Spinat in die Mülltonne.
Die zunächst unklaren Auswirkungen der erhöhten Radioaktivität aus der Strahlenwolke waren das alles beherrschende Thema. Zwar schützte die Entfernung von mehr als 2000 Kilometern vor akuten Schäden, doch bei vielen blieben diffuse Ängste vor Langzeitfolgen mit Allergien, Missbildungen oder Krebs. „Raus aus der Atomkraft“ hieß es auf einem der Transparente einer Demo der Waldshuter Grünen. Vom Johannisplatz aus zogen sie durch die Kaiserstraße vor das Landratsamt und kippten verstrahltes Gemüse und Salat als Symbole einer gescheiterten Energiepolitik dem Landrat vor die Tür.
Doch da lag die Katastrophe schon einige Wochen zurück, das Schlimmste war vorüber. Weshalb auch nur ein kleines Häufchen von 60 Demonstranten dem Aufruf zu dieser Anti-Atom-Demo gefolgt war. Das Desinteresse der von Beschwichtigungen inzwischen wieder eingelullten schweigenden Mehrheit lag auch an dem im deutschen Gemüt verwurzelten Vorurteil: „Die Russen können‘s eh nicht“. War es nicht fast zwangsläufig, dass ein unter sowjetischer Planwirtschaft errichteter Reaktor mal in die Luft fliegen würde? Was westlicher Technik und Sorgfalt nicht passieren könnte, das war eine bei vielen Deutschen gängige Meinung.
Doch dann kam am 11. März 2011 Fukushima mit der selbst für hartnäckige Atomfreunde ernüchternden Erkenntnis: Auch wir im Westen haben die Atomkraft letztlich nicht im Griff. Was im Frühling vor 35 Jahren erstmals vehement gefordert wurde, ist nun in Deutschland Konsens: der Ausstieg aus der Atomenergie.