Wenn Olha Panina die täglichen Schreckensnachrichten aus der Ukraine hört, die Bilder von den zerstörten Städten sieht, dann holen die eigenen Erinnerungen sie immer wieder ein. Im Februar 2022 ist die 31-jährige Ukrainerin aus ihrer Heimat geflüchtet, alleine, ohne ihre Familie.

Für ihre Mutter und ihren 92-jährigen Opa wollte sie erst einen sicheren Ort finden, um sie dann nachzuholen. Inzwischen sind die drei inklusive der Familienkatze wieder vereint. Aber weitere Familienangehörige leben noch immer in den Kriegsgebieten der Ukraine und die Angst um ihre Lieben ist der ständige Begleiter von Familie Panina.

Olha Panina hat schlimme Monate hinter sich: Kriegsbeginn, Bombenhagel, Todesangst, Flucht ins Ungewisse und die Ankunft in Waldshut. Hier ist die junge Frau endlich angekommen, hat eine Heimat gefunden und hilfsbereite Menschen, die sie unterstützten. In den vergangenen Wochen hat sie in einem leerstehenden Raum ihr kleines Fotostudio Twenvo-Photo eingerichtet. Dort erzählt sie ihre Lebensgeschichte.

Olha Panina ist mit ihrer Schwester bei ihrer Mutter und den Großeltern in Donezk aufgewachsen. Als Russland 2014 die Krim annektierte, verließ sie ihre Heimat und lebte in verschiedenen Städten der Ukraine. Sie hat als Marketingfachfrau und in Restaurants gearbeitet, bis sie vor fünf Jahren die Liebe zur Fotografie entdeckte.

Dafür ist sie in die Millionenstadt Charkiw, 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, gezogen. Drei Autostunden entfernt von ihrer Mutter, dem Großvater und ihrer Katze, die im Osten der Ukraine in Sewerodonezk lebten. Als selbstständige Fotografin lief es gut für Olha Panina, ihre Arbeit war in der Ukraine sehr gefragt, erzählt sie.

Und plötzlich beginnt der Krieg

Dann kam der 24. Februar 2022, als Russland der Ukraine den Krieg erklärte. „Ich wollte es gar nicht glauben, als mich meine Freundin um 6 Uhr anrief und mich mit den Worten ‚Aufwachen, der Krieg hat begonnen‘ in Schock versetzte“, erinnert sie sich. „Ich habe zuerst nicht geglaubt, dass es ernst ist. Gestern war doch noch alles in Ordnung. Es kam so plötzlich.“

An diesem Tag fielen in Charkiw bereits die ersten Bomben, es herrschte Ausnahmezustand und Panik. Viele Menschen verließen fluchtartig ihre Heimatstadt. „Ich wollte nicht fliehen, hatte gehofft, dass dieser Alptraum schnell ein Ende finden würde“, erzählt Olha Panina.

Die ersten Tage im Krieg

Aber der Bombenhagel hörte nicht mehr auf. „Ich traute mich kaum mehr, das Haus zu verlassen. Ich hatte Angst um mein Leben, aber noch viel mehr Sorgen machte ich mir um meine Familie in Sewerodonezk. Dort wütete der Krieg ebenfalls unbarmherzig. Im Haus meiner Familie gab es keinen Strom und keine Heizung mehr“, beschreibt sie die Zustände.

Kontakt zu halten, sei sehr schwierig gewesen und nur möglich, wenn die Mutter irgendwo Gelegenheit fand, ihr Handy zu laden. „Ich flehte meine Familie an, die Stadt zu verlassen, aber sie wollten nicht.“

Die Flucht aus Charkiw

Für Olha Panina selbst wurden die Zustände in Charkiw zwei Wochen nach Kriegsausbruch unerträglich. „Ich fühlte alle Energie aus meinem Körper schwinden und wusste, dass ich mich jetzt auf den Weg machen musste, um einen sicheren Ort für meine Familie zu finden.“ Sie packte das Nötigste in einen kleinen Koffer und einen Rucksack, verstaute ihre Kamera, um die Stadt zu verlassen.

„Es war sehr schwierig. Am Bahnhof herrschte Chaos“, erinnert sie sich. In einem Evakuierungszug, von dem sie nicht wusste, wohin er fährt, stand Olha Panina 16 Stunden lang in einem überfüllten Waggon. Dieser Zug brachte sie schließlich in ein Flüchtlingscamp nach Lviv, die größte Stadt im Westen der Ukraine.

Der Bahnhof in Lviv.
Der Bahnhof in Lviv. | Bild: Olha Panina

Der jungen Frau wurde schnell klar, dass es in der Ukraine keine sichere Stadt mehr gibt. Sie beschloss deshalb, nach Europa zu gehen. „Es ging alles so schnell und ich hatte keine Zeit, um einen Fluchtplan auszuarbeiten. Ich wollte nur eines: meine Familie retten.“

Die Flucht nach Waldshut

Der Anruf einer Freundin brachte Hoffnung. Sie war einen Monat vor Olha aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet und lebte inzwischen in Waldshut, wo sie große Hilfsbereitschaft erfahren habe. „Meine Freundin lud mich ein, zu ihr zu kommen. Ich überlegte nicht mehr weiter, sondern machte mich auf den langen und schwierigen Weg nach Waldshut, wo ich dann wirklich wunderbare Menschen kennenlernte, die mir so sehr geholfen haben.“

Olha Panina auf dem Weg nach Waldshut.
Olha Panina auf dem Weg nach Waldshut. | Bild: Olha Panina

Die Situation sei für Olha Panina dennoch weiterhin dramatisch gewesen, denn die Situation ihrer Familie in der Ukraine spitzte sich weiter zu. Nachdem in Sewerodonezk nach Strom und Heizung auch noch die Wasserversorgung zusammengebrochen war, mussten ihre Mutter und Opa aus ihrer inzwischen fast völlig zerstörten Heimatstadt flüchten. „Beide waren mit unserer Hauskatze zu dem Zeitpunkt bereits von einer Hilfsorganisation in ein Flüchtlingslager nach Polen gebracht worden und warteten auf ihre Weiterreise zu mir. Die Zeit drängte so sehr und ich hatte noch keine Lösung.“

Olha Panina fand in Waldshut durch den Verein Zukunft für Ritschow Unterstützung bei der Wohnungssuche und auch bei allen notwendigen Behördengängen. „Die Hilfe dieser Menschen war so wertvoll für mich.“ Bald war eine kleine Wohnung für Olha Panina und auch für Mutter und Opa gefunden.

Die Rettung der Familie

Die neu gewonnenen Freunde halfen der jungen Frau sich einzurichten. Gleichzeitig musste Olha den Transport ihre Familie nach Waldshut organisieren. Die Flucht mit einem Fluchthelfer scheiterte, schließlich brachte sie eine Rettungsorganisation, die Hilfsgüter von Freiburg nach Polen transportierte, auf dem Rückweg nach Deutschland.

Olha Panina trifft ihre Familie in Freiburg. Eine Rettungsorganisation holte sie aus Polen heraus.
Olha Panina trifft ihre Familie in Freiburg. Eine Rettungsorganisation holte sie aus Polen heraus. | Bild: Olha Panina

Alle drei haben in Waldshut inzwischen eine Wohnung und sich gut eingewöhnt. Ihre Mutter hat einen Minijob, Olha Panina hat sich selbstständig gemacht und ihr Opa erkundet mit einem geschenkten Fahrrad die Stadt. Sie sei allen Menschen, die sie unterstützt haben, sehr dankbar.

Die Ankunft in der neuen Heimat

Die Sorge um die Heimat, um die dort verbliebene Familie ist aber weiterhin groß. „Wir hoffen jeden Tag, dass der Krieg ein Ende findet und in unserem Land wieder Frieden und Freiheit herrschen“, so Olha Panina. Hier in Frieden leben zu können, dafür ist die Familie Panina sehr dankbar. Ob sie wieder in die Ukraine zurückwollen? „Ich weiß nicht wie meine Zukunft und die meines Landes aussehen wird. Egal wo ich lebe, die Ukraine ist immer in meinem Herzen.“

Die Mutter von Olha Panina mit ihrem Großvater beim ersten Spaziergang durch Waldshut.
Die Mutter von Olha Panina mit ihrem Großvater beim ersten Spaziergang durch Waldshut. | Bild: Olha Panina

Die Flucht aus der zerstörten Heimat und die Angst um die Verwandten im Kriegsgebiet haben Spuren hinterlassen. Sie erzählt, dass sie mit Depressionen zu kämpfen hatte. Heute blickt sie optimistisch nach vorne, lernt eifrig die deutsche Sprache und möchte möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen.

„Die Ukraine ist ein wunderschönes Land, ich bin glücklich, dass ich dort geboren wurde“, sagt Olha Panina.
„Die Ukraine ist ein wunderschönes Land, ich bin glücklich, dass ich dort geboren wurde“, sagt Olha Panina. | Bild: Olha Panina

Ihre Landsleute auf der Flucht möchte sie motivieren: „Wir müssen nach vorne schauen und an unserer Zukunft bauen. Wir sind stark, wir schaffen das.“

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