Die Amerikanerin Mary Elisabeth Belknap Codman (1839–1929) hat in Laufenburg heute noch sichtbare Spuren hinterlassen: das über der Altstadt auf deutscher Seite thronende Schlössle, das Haus Mariagrün und davor die nach ihr benannte Anlage am Rheinufer. Sie gilt als Wohltäterin, nachdem sie Laufenburg (Baden) 1908 das Haus Mariagrün als Kindergarten überlassen hat. 13 Jahre später kam die Revanche: Die Stadt Laufenburg ernannte sie 1921 zur Ehrenbürgerin. Sie lebe nun seit 28 Jahren in Laufenburg, schrieb sie zum Dank, und sie finde, es sei „der schönste Ort, den ich in meinem Leben gesehen habe“. 1929 starb sie hochbetagt im Alter von 89 Jahren. Ihre sterblichen Überreste blieben jedoch nicht in Laufenburg, sondern wurden in ihre Heimat nach Bristol, Rhode Island, in den Vereinigten Staaten überführt. Soweit die bekannten Fakten.
Dass hinter Mary Codman mehr als eine Wohltäterin steckt, macht das neue Buch der in Laufenburg und Berlin lebenden Autorin Petra Gabriel deutlich. Mit „Madame kam aus Amerika“ legt sie druckfrisch ihre erste Biografie vor. Erschienen ist sie im Gmeiner-Verlag in Meßkirch, Baden-Württemberg, Herausgeber ist die Stadt Laufenburg. Sie gab Petra Gabriel den Auftrag, das Leben von Mary Codman aufzuzeichnen – wofür die für historische Romane und Krimis bekannte Autorin sich eine kurze Bedenkzeit ausnahm.
„Zuerst habe ich gezögert“, berichtet Petra Gabriel, „weil Mary Codman in Laufenburg so etwas wie einen Heiligenschein hat“. Ihre Sorge: „Wenn ich daran kratze, verjagen mich die Laufenburger.“ Das ist bislang nicht geschehen, auch nach zwei Lesungen unter Corona-Auflagen hat sie niemand aus dem Städtle gescheucht. Was vielleicht mit der allgemeinen Erkenntnis zu tun hat, dass, wo Licht ist, auch Schatten ist. Mary Elisabeth Codmans Leben war, das haben Recherchen von Petra Gabriel ergeben, zwiespältig.
Auf der einen Seite war sie eine wohlhabende Aristokratin mit einem Sinn für Kunst, Musik und Wohltätigkeit. Andererseits scherte sie sich wenig um Konventionen. Der Reichtum ihrer Familie, die in derselben Liga wie die Rockefellers spielte, wird unter anderem mit Sklavenhandel in Verbindung gebracht. Mary Codman konnte es sich leisten, auf großem Fuß zu leben. Sie besaß an mehreren Orten Häuser, außer in Laufenburg auch in Zürich und Berlin. „Sie war eine klassenbewusste Frau, die den Adel liebte“, konstatiert Petra Gabriel. Aber sie hatte nicht nur Freunde. „Sie hat den Stadtoberen schon mal den Marsch geblasen, wenn es nicht nach ihrem Sinn ging“, beschreibt Gabriel das Temperament ihrer Protagonistin.
Petra Gabriel hat ein Jahr lang recherchiert, hat sich in vielen Gesprächen mit der Person von Mary Codman vertraut gemacht. Sie hat den Laufenburger Künstler Erwin Rehmann (98) aufgesucht, der in einem von Frowald Rünzi produzierten Film schildert, wie Codman mit einer offenen schwarzen Kutsche in der Altstadt einfuhr, um Einkäufe zu tätigen. Petra Gabriels Nachforschungen haben ihres Erachtens sehr viele neue Erkenntnisse zu Tage gebracht.
Zum Beispiel über ihre Herkunft, ihre Familie, von der vieles nicht bekannt war – und eben über ihre Jugend, die von Skandalgeschichten begleitet war. Mary Codman war also kein Kind von Traurigkeit, sondern – so bringt es Petra Gabriel schelmisch auf den Punkt – „eine wilde Hummel“. Was ihr Buch auch wertvoll macht: Die vielen Extras wie Zeittafel, Blicke hinter die Kulissen, die Geschichten der Codman´schen Immobilien, ins Deutsche übersetzte Briefe, die testamentarischen Bestimmungen Mary Codmans zugunsten von Laufenburg und natürlich die zahlreichen historischen Abbildungen. Gabriel hatte sich für ihr Vorhaben viel vorgenommen. „Zu einer Biografie gehört meiner Meinung nach auch das Umfeld – was waren das für Menschen, mit denen sie gelebt hat“, sagt sie, „ich will schon das ganze Bild.“ Mission gelungen: „Madame kam aus Amerika“ bietet auf 254 Seiten Spannung, Drama und Blicke auf eine schon vor über 100 Jahren emanzipierte Frau.
Nachspiel in Aussicht
Petra Gabriels Beschäftigung mit der schillernden Figur der Mary Codman wird ein Nachspiel haben. Die vielseitige Autorin plant einen Agentenkrimi, in dem unter anderem der russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin, der sich von 1914 bis 1917 in der neutralen Schweiz aufhielt, und eine russische Prinzessin vorkommen sollen. Letztere hatte das heute als Russenvilla in Laufenburg bekannte Gebäude bewohnt, ehe sie zwischen Klein- und Großlaufenburg eines Tages spurlos verschwand. Lenin hatte in Zürich gelebt, wo auch Mary Codman ein Haus besaß. Außerdem gibt es den Hinweis, dass Codman mit der Russin befreundet war. Aus dieser Gemengelage will Petra Gabriel den Agentenkrimi entwickeln. Erscheinen soll er übrigens im Herbst 2022.