Mit „Flussabwärts gegen den Strom“ hat der in Laufenburg lebende Schriftsteller Christian Haller nun die Trilogie abgeschlossen, die er 2015 mit „Die verborgenen Ufer“ begann und 2017 mit „Das unaufhaltsame Fließen“ fortsetzte. Alle drei Teile der als Roman bezeichneten Autobiographie spielen auf den Fluss des Lebens an, dessen stetiges Mäandrieren den Ich-Erzähler vom Kind zum Schriftsteller werden lässt. Doch nicht nur ein metaphorischer Fluss ist gemeint. Es geht ganz konkret auch um den Rhein, der an Hallers Laufenburger Altstadthaus vorbeiströmt. Im Juni 2013 brach der Balkon des Hauses ab und stürzte in den Strom.
Dieses Ereignis wird zur Chiffre für Lebenskatastrophen, von denen in „Flussabwärts gegen den Strom“ der inzwischen 77-jährige Haller eine ganze Reihe schildert. Da ist die Hirnblutung, die die Lebenspartnerin des angehenden Schriftstellers vom einen Tag auf den anderen zur Invalidin macht und ihm die Wort raubt. Da ist der Hirntumor, der kurz darauf seinen Mentor und Freund aus dem Leben holt und für immer verstummen lässt. „Einschlagskrater“ nennt Haller die Folgen jener Katastrophen, die das Leben und Denken seines Ich-Erzählers modellieren – und die dieser wiederum zum Thema seiner Literatur macht. Langsam kehren die Worte zurück: „Es gab mit Zuversicht, das Dunkel, das vor mir lag, zu bewältigen, es mit Sätzen zu durchdringen und zu erhellen.“
Doch Literatur als erfolgreiche Form individueller Weltbewältigung ist nicht unbedingt auch immer kommerziell erfolgreiche Literatur. Auch diese Erfahrung muss der Schriftsteller als bereits gar nicht mehr so junger Mann machen. Ein ums andere Mal lehnen Verlage seine Manuskripte ab. Als 1991 endlich doch sein erster Roman „Strandgut“ bei Luchterhand erscheint, und er sogar eingeladen wird, auf den Solothurner Literaturtagen zu lesen, endet auch dies in einer Katastrophe. Ein Mitglied der Programmkommission entschuldigt sich am Ende beim Publikum sogar dafür, diesen seltsamen Schriftsteller eingeladen zu haben.
Christian Haller schildert eindrücklich, welchen Mut zur Verletzlichkeit Autoren besitzen müssen, wenn sie ihr Werk und damit auch sich selbst dem Urteil Dritter aussetzen. Vor der Veröffentlichung haben Agenten und Verleger das entscheidende Wort, nach der Veröffentlichung Kritiker und Publikum. Vor jedem Erfolg oder gar möglichem Ruhm steht die viel wahrscheinlichere Zurückweisung. Auch der Schriftsteller in Hallers Buch schafft den Durchbruch erst, als ihm sein Verlag fast schon den Stuhl vor die Tür gestellt hat. Erst „Die verschluckte Musik“ wird 2001 zum ersten literarischen und kommerziellen Erfolg. Der Roman befasst sich mit einer konstituierenden Katastrophe im Leben des Verfassers – mit der Geschichte seiner Familie, mit dem „sich feindlich gesinnten Herkommen meiner Eltern“.

„Flussabwärts gegen den Strom“ ist ein Buch über den modernen Literatur- und Kulturbetrieb. Es ist vor allem ein Buch über einen Schriftsteller am Kipppunkt zwischen Anerkennung und Ablehnung, zwischen Erfolg und Misserfolg. In welche Richtung es geht im Leben, darüber entscheiden meist Hartnäckigkeit, oft Zufälle und manchmal auch gute Freunde. So gerät der unbekannte und erfolglose Schriftstller durch Vermittlung einer ehemaligen Arbeitskollegin unter die Fittiche ausgerechnet der legendären Literaturagentin Ruth Liepman. Und auch nach Laufenburg in seine „Flussklause“ findet der finanziell klamme Autor 1994 durch einen hier wohnhaften Freund.
Hallers Ich-Erzähler schildert, wie er am Anfang seines Schreibens bei der Beschäftigung mit dem alten chinesischen „I Ging“ erfuhr: „Ich las aus dem Zeichen den Hinweis, ich solle stets dem Gefälle folgen, wie es das Wasser tut, um so Gefahren und Schwierigkeiten zu vermeiden.“ Gut, dass Christian Haller bei seinem Schreiben nicht jenem Hinweis folgte. Er wäre sonst sicherlich nicht zu jenem Autor geworden, der er heute ist. Doch zum Glück bewegte er sich „Flussabwärts gegen den Strom“.