Herr Sajid, Sie sind Mitglied der SPD, Schriftführer beim Boxring Klettgau, pfeifen als Schiedsrichter bis zur Bezirksliga, engagieren sich bei der Ahmadiyya Muslim Gemeinde, waren Elternbeiratsvorsitzender. Warum ist Ihnen Engagement so wichtig?
Weil ich meiner Gesellschaft etwas zurückgeben möchte. Ich bin ein junge vom Hochrhein, sportbegeistert, dreifacher Vater und Muslim – und in all diesen Eigenschaften möchte ich mich für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Teilhabe und eine faire Auseinandersetzung mit religiöser und kultureller Vielfalt einsetzen. Wir sind alle Menschen, die eine bunte und vielfältige Gesellschaft teilen und diese gemeinsam gestalten können.
In Ihrer Jugend waren sie selbst im Boxring und auf dem Fußballplatz aktiv. Welche Rolle spielt Sport für dieses Zugehörigkeitsgefühl?
Für Kinder und Jugendliche ist das eine tolle Möglichkeit, neben Fitness, Selbstvertrauen und Spaß an der Bewegung auch Teamgeist zu entwickeln. Heute habe ich durch den Sport ein großes Netzwerk im Landkreis Waldshut – Freundschaften und Bekanntschaften fürs Leben!
Sie haben unserer Zeitung geschrieben, weil Ihnen die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen Sorgen machen. Ist die Lage für Muslime in Deutschland schwieriger geworden?
Ja, vor allem aus Großstädten hört man, dass das Alltagsleben oft nicht mehr so friedlich ist und es zu ausländerfeindlichen Zwischenfällen auf den Straßen kommt. Wenn ein Mensch mit muslimischem Hintergrund einen Terroranschlag verübt, werden oft Pauschalurteile gefällt. Das war aber das Fehlverhalten einer einzelnen Person! Was mich ärgert und verwundert: Ich fühle mich zum Beispiel nicht mehr als Ausländer, spreche wahrscheinlich sogar besser Deutsch als meine pakistanische Muttersprache Urdu. Sehr viele Menschen in meiner Generation sind hier geboren, engagieren sich, sind fester Teil der Gesellschaft. Ich frage mich: Wann hört es auf, dass man nur als Mensch mit Migrationshintergrund abgestempelt wird?
Sind Ihnen auch Zwischenfälle am Hochrhein bekannt?
Nein, hier auf dem Land ist die Lage zum Glück entspannt. Und das macht mich auch stolz, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein.
Aktuell ist eine Debatte um eine Moschee oder einen muslimischen Gebetsraum in einer ehemaligen Lagerhalle in Schmitzingen entbrannt, der unter den Anwohnern für teilweise laute Unruhe sorgt...
Das ist schade, denn jeder Mensch sollte einen Ort für Spiritualität haben. Ich rate auf jeden Fall allen Seiten dazu, offen und ehrlich aufeinander zuzugehen: Dialoge von Mensch zu Mensch sind wichtig und wirken Vorurteilen und Ängsten entgegen.
Warum haben wir Ängste im Umgang mit anderen Kulturen?
Was wir nicht kennen, verunsichert uns. Das ist ganz normal. Als Mensch, der zwischen verschiedenen Kulturen aufgewachsen ist, kann ich sagen: Es geht beiden Seiten so. Wir sind alle nur Menschen! Wichtig ist, dass wir aufeinander zugehen und uns trauen neugierige Fragen zu stellen. Dann nehmen Freundschaft und Gemeinschaftsgefühl zu und die Unsicherheit ab.
Sie selbst sind auch in der Öffentlichkeit der Ahmadiyya Muslim Gemeinde in Tiengen engagiert. Wo liegt der Ursprung der Ahmadiyya?
Das ist eine muslimische Glaubensrichtung, die ihren Ursprung in Qadian (Nordindien) hat. Seit rund 50 Jahren werden deren Glaubensanhänger aufgrund unterschiedlicher muslimischer Lehrmeinungen verfolgt und aus Pakistan vertrieben. Das heißt: Alle 170 Mitglieder in Waldshut-Tiengen haben pakistanische Wurzeln. Die allermeisten von uns sind hier geboren und leben bereits in zweiter oder sogar dritter Generation am schönen Hochrhein – wie so viele Menschen in unserer globalisierten Welt.
Dann stelle ich jetzt die gewünschten neugierigen Fragen: Wie sieht das Gemeindeleben hier vor Ort in Tiengen aus?
Über diese Frage freue ich mich, wir sind ja keine geheime Hinterhof-Moschee. Wir haben eine kleine Moschee mit Zierminarett in der Badstraße 22a in Tiengen. Wie in jeder Moschee gibt es zeremonielle Waschmöglichkeiten und nach Geschlechtern getrennte Gebetsräume. Das hat nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun, wie so oft unterstellt, sondern hat praktische Gründe: Jeder kann für sich ohne Ablenkung in Ruhe beten und Frauen können dabei – ohne Sorge, andere zu stören – Kleinkinder betreuen und Babys stillen. Wie in der Kirche auch gibt es regelmäßige Anlässe wie ein großes Frauenfrühstück oder Aktionen, die den interreligiösen Dialog fördern.
Welche zum Beispiel?
Wir laden jährlich Bürger, Kommunalpolitiker und Vertreter anderer Glaubensgemeinschaften am 1. Mai und 3. Oktober zum Tag der offenen Tür ein, bieten regelmäßig Infostände in den Innenstädten. Hier möchten wir unter dem Motto „Muslime für Frieden, Freiheit, Loyalität“ Offenheit zeigen und ins Gespräch mit Mitmenschen kommen. Außerdem pflanzen wir seit den 1990er-Jahren Bäume, 2023 nochmal speziell mehr im Landkreis Waldshut. Zum Anlass hatten wir ein gemeinsames Jubiläum genommen: „50 Jahre Landkreis Waldshut – 100 Jahre Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland“. Mit diesen Bäumen wollten wir zeigen: Auch unsere Wurzeln sind in Deutschland – wir alle sind, so vielfältig wir auch sind, Teil dieses schönen Landes!
Sie sind seit der Landtagswahl 2021 auch Mitglied der SPD in Tiengen. Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Waldshut-Tiengen?
Als Vater von drei kleinen Töchtern würde ich mich sehr über einen Mehrgenerationenplatz freuen, an dem in Tiengen alle Menschen, egal welche Herkunft, welches Budget im Geldbeutel oder welches Alter, zusammenkommen können. Vielleicht nach dem Vorbild von Lauchringen, wo sich rund um Bikepark und Schwimmbad Menschen zum Spielen, Quatschen und Picknicken treffen können.
Und gibt es auch im interreligiösen Austausch noch Luft nach oben?
Unsere Doppelstadt soll ein Ort bleiben, wo sich alle Bürgerinnen und Bürger wohlfühlen können – und es wäre schön, wenn Menschen verschiedener Kulturen mitsprechen möchten und können. Toll wäre ein regelmäßig von der Stadt mitinitiierter runder Tisch der Religionen, an dem alle Menschen Platz finden und aufeinander zugehen. Das fände ich richtig schön. Was auf jeden Fall fehlt, ist zum Beispiel ein muslimischer Friedhof oder zumindest ein Teil auf einem bestehenden Friedhof. Wir sind Deutsche und möchten in unserer Heimat eine Bestattungsmöglichkeit haben.