Jürgen Glocker, in der Region vor allem bekannt als früherer Kulturreferent des Landkreises Waldshut, stellte jetzt im Schloss Tiengen sein druckfrisches Buch „Honoré de Balzacs Universum oder: Wie man einen Menschen liest“ vor. Eingeladen dazu hatten das Bildungszentrum Waldshut, die Goethe-Gesellschaft Hochrhein und der Verein Freunde Schloss Tiengen.
Dessen Vorsitzende Sylvia Vetter freute sich über die gut besuchte Veranstaltung und begann mit dem Autor ein intensives Literaturgespräch. Wer ist dieser Honoré de Balzac (1799 – 1850), der 1834 nicht gerade bescheiden an seine Schwester Laure schrieb: „Verneigt euch vor mir, denn ich bin im Begriff, ein Genie zu werden!“
Warum gerade Balzac? Alles hatte – wie Jürgen Glocker im ersten Kapitel seines Buches schreibt – mit einem Erschöpfungszustand des Autors begonnen, der daraufhin in die Alpen floh, um sich zu erholen. Das schien bei bestem Wetter wunderbar zu klappen, bis sich eine Sturm- und Schneefront näherte und ihn komplett von der Außenwelt abschnitt. In seiner Not griff er auf seinen kleinen Büchervorrat zurück, und das war ausgerechnet Balzacs Roman „Verlorene Illusionen“: „Ich nahm fasziniert zur Kenntnis, wie Balzac schon auf den ersten Seiten ein kleines erzählerisches Feuerwerk der Extraklasse zündete. Ich wollte das Buch nicht mehr aus der Hand legen.“ Das hatte Folgen, die Idee zum Buch entstand. Und Glocker bekennt freimütig: „Ich möchte meine Begeisterung für Balzac und sein Universum weitergeben und auf die Leser übertragen.“ Es wurde ein interessanter Abend: Sylvia Vetter stellte gut informiert Fragen; Jürgen Glocker antwortete, kommentierte oder las immer wieder Passagen aus seinem Buch. So erfuhr man Schritt für Schritt mehr über diesen Großen der Weltliteratur, der aus kleinen Verhältnissen stammte, sich später selber adelte, immer hoch verschuldet war und in seinem Hauptwerk, dem Romanzyklus Comédie Humaine“, ein Sittengemälde der französischen Gesellschaft seiner Zeit zeichnete. Glocker berichtet ausführlich über Balzacs raffinierten Erzähltrick, seine Figuren in den anderen Romanen immer wieder auftauchen zu lassen und sie so miteinander zu verknüpfen. Balzac – so Glocker – war ein sehr genauer Beobachter, der die Kunst der feinen Überzeichnung beherrschte. Und er war ein Arbeitstier, der vor allem nachts mit Hilfe von Unmengen Kaffee besessen schrieb. Und der Kontakt zu allen Großen seiner Zeit hatte, auch zu Goethe und Heine.
Man erahnt, mit welcher Intensität sich der Autor in Balzacs Kosmos eingearbeitet hat und ihn in einen großen literarischen Zusammenhang stellt. So endete dieses Literaturgespräch in einer angeregten Diskussion mit den Besuchern. Glocker dankte abschließend für die Aufmerksamkeit: „Wenn man über Balzac mehr weiß, liest man ihn anders. Ich hoffe, ich konnte Sie neugierig machen. Es lohnt sich, auch in Anbetracht seines 225. Geburtstages im nächsten Jahr.“