160 Jahre nach Beginn der Produktion wird die Papierfabrik Lenz am 30. Juni 2025 stillgelegt. Damit endet die Geschichte der Fabrikgründungen des 19. Jahrhunderts im Wehratal.
Zusammen mit der Buntweberei Brennet, Neflin&Rupp, Herosé&Cie. und der Färberei Hummel hatte die Papierfabrik Ende des 19. Jahrhunderts für den Aufstieg Wehrs zu einer Hochburg der südbadischen Industrie gesorgt. Nun ist diese Ära an ihrem Schlusspunkt angelangt – ein guter Grund, an die Anfänge zu erinnern.
Als Johann Lenz 1864 für umgerechnet 11.115 Mark ein Wohnhaus an der Hauptstraße mit einer Ölmühle und Hanfreibe am Gewerbekanal erwarb, war er 44 Jahre alt und hatte acht Kinder. Als Sohn einer ledigen Mutter war ihm in Schopfheim eine beachtliche Karriere gelungen.
Mit zehn Jahren begann er eine Lehre in der Papiermanufaktur. 1836 wurde er Maschinenführer in Johann Sutters Papierfabrik und um 1850 deren Werkführer. In einem Schreiben vom 8. September 1864 an den Wehrer Gemeinderat nannte er sich selbst Direktor.
Als Spitzenverdiener in Schopfheims Industrie war er ein angesehener Bürger und sogar Mitglied der exklusiven Lesegesellschaft. Doch Johann Lenz wollte sein eigener Herr sein. Er war aus jenem harten Holz der Existenzgründer geschnitzt, die damals mit ungeheurem Einsatz ihre Fabriken aufbauten. Allerdings besaß er mehr Mut und Hoffnung als Kapital und musste für seinen Lebenstraum einen Haufen Schulden machen.
1841 war der Versicherungswert des Wohnhauses mit der 100 Jahre alten Ölmühle auf umgerechnet 5.730 Mark geschätzt worden. Das Wasserrad war defekt, die Mühle nicht mehr in Betrieb. Bis 1864 war ihr Zustand total marode. Wieso zahlte Johann Lenz dennoch den doppelten Preis?
Die Antwort liefert der Gewerbekanal. Mit der Ölmühle waren Wasserrechte verbunden. Diese benötigte Lenz für seine mechanische Papierfabrik. Also erwarb er das überteuerte Anwesen. „Ölmühle, Hanfreibe, Wasserbau und Wasserrad mussten abgerissen werden“, schrieb sein Sohn Carl später in seinen persönlichen Aufzeichnungen. Lenz kaufte eine gebrauchte Papiermaschine aus der Schweiz, die mit viel Mühe in Gang gesetzt werden konnte. 1865 wurde die erste Lage Papier produziert.
Elfjähriger Sohn überwacht die Bauarbeiten
Im selben Jahr zog er mit seiner großen Familie ins Wohnhaus ein. Weil ihm Kapital fehlte, arbeitete er bei Sutter weiter, während der elfjährige (!) Carl nach Schulschluss die Bauarbeiten in Wehr überwachte. 1865 wurde er in Wehr eingeschult. Weil sich der Vater keine Hilfskräfte leisten konnte, erledigte Carl nach der Schule Schwerarbeit. Nachmittags musste er „stramm beim Packen helfen und abends und nachts an den Holländern mahlen, entweder von 7 bis 12 Uhr oder von 12 Uhr Mitternacht bis morgens und dann wieder zur Schule“.
Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Weißes Papier wie bei Sutter bekam Johann Lenz mit der alten Maschine nicht hin. Nachdem er neue Schulden gemacht und Verbesserungen vorgenommen hatte, reichte es wenigstens für Packpapier. Doch als durch den 1870/71er-Krieg das Elsass zu Deutschland kam, konnte dort ein neuer Kundenstamm aufgebaut und endlich richtig Gewinn gemacht werden.
Carl Lenz ging als Papiermachergehilfe in der Schweiz auf Wanderschaft, sammelte berufliche Erfahrungen und kehrte 1871 nach Wehr zurück. Er war die Hauptstütze im aufstrebenden Betrieb. Dann kam es zur Katastrophe. Als 1872 in Wehr wegen des verseuchten Wassers Typhus ausbrach, verstarb Johann Lenz am 3. Oktober 1872 an den Folgen der Krankheit.

Die Familie hielt zusammen und bewältigte die Existenzkrise. Carl war in dieser Situation der führende Kopf. Als der ältere Wilhelm 1876 die Fabrik verkaufen wollte, setzte sich Carl gegen ihn durch und übernahm die Leitung. Er wollte „die von unserem Vater mit so großer Mühe gegründete Heimat ausbauen und nicht wieder verkaufen“.
Unter seiner Leitung überstand die Papierfabrik mehrere Brände. Carl trug innerhalb von acht Jahren den gigantischen Schuldenberg von umgerechnet 280.000 Euro ab. 1903 errichtete er eine Papierschleiferei, 1912 das leistungsstarke Kraftwerk in der Rossmatt und 1914 ließ er eine neue Papiermaschine der Firma Voith im heutigen Wert von 2,5 Millionen Euro montieren.

Wie der gesamte Betrieb wurde die Maschine mehrfach erweitert und modernisiert, blieb aber bis heute in ihrem Grundbestand erhalten. Sein Sohn Ernst und sein Enkel Dieter führten auf dieser soliden Basis das Unternehmen weiter. Dass Carls Urenkel Ulrich 1994 angesichts der Lage der Papierindustrie wie auch des Zustandes der Fabrik keine Zukunft als Unternehmer der 5. Generation sah, ist verständlich.
Immerhin führte die Schopfheimer Unternehmerfamilie Jenisch seit 1994 die Papierfabrik Lenz in alter Bezeichnung weiter. Angesichts des veralteten Maschinenparks waren ihre Tage aber gezählt. Nun schlägt nach 160 Jahren die letzte Stunde der Papierfabrik Lenz.